Die Chemnitzer Fanszene wird »langsam recht homogen«

Grüne: »Das Negieren und Verharmlosen von Rechtsextremismus war in Sachsen über Jahrzehnte Regierungspolitik«

  • Jörg Schurig
  • Lesedauer: 4 Min.

Chemnitz. Für viele ist es eine erneute Steilvorlage: Als Fußballfans des Chemnitzer FC (CFC) am vergangenen Samstag mit Duldung des Vereins und einer aufwendigen Choreographie an den Tod eines Hooligans und Rechtsextremen erinnerten, tauchten sofort Bilder aus dem Spätsommer 2018 wieder auf. Damals kam es nach einer tödlichen Messerattacke, für die Flüchtlinge verantwortlich gemacht wurden, zu Protesten und Angriffen auf Ausländer und Antifaschisten. Maßgeblich beteiligt waren Hools und andere Rechte. Chemnitz aber sah sich zu Unrecht an den Pranger gestellt und verwies auf seine Weltoffenheit.

So ist es auch wieder nach dem neuerlichen Vorfall. Und irgendwie klingt das wiederholte Bekenntnis der Stadt zu Toleranz und Weltoffenheit hilflos. Denn dieses Mal ist mit dem CFC ein Aushängeschild von Chemnitz direkt beteiligt. Ein Spieler hält nach seinem Torjubel ein Trikot mit der Aufschrift »Support your local Hools« (Unterstütze deine lokalen Hools) in die Höhe. Es wurde einst gefertigt, um den erkrankten Thomas Haller - führender Kopf der früheren Vereinigung »HooNaRa« (»Hooligans-Nazis-Rassisten«) - zu unterstützen. Schon am Tag danach gibt es Proteste und Konsequenzen.

Und es gibt Fragen, viele Fragen. Zum Beispiel die, wie es so weit in Chemnitz und auch anderswo in Sachsen kommen konnte. Haller war mit dem CFC zeitweilig verbandelt, hatte dort den Ordnungsdienst geleitet. »Der Club hat zunächst jahrelang kein Problem gehabt, sich vom Gründer der HooNaRa und seinen Leuten Dienstleistungen einzukaufen«, sagt die Chemnitzer SPD-Politikerin Hanka Kliese. Selbst nach der Trennung von ihm habe man Hallers Leute immer wieder beim CFC gesichtet, etwa beim Hallen-Masters: »Eine tatsächliche Trennung wurde demnach nie konsequent vollzogen.«

Kenner der Chemnitzer Neonazi-Szene bestätigen, dass Haller bei den Demos nach der Messerattacke dabei war. Gerade die Verbindungen zwischen Chemnitzer Sicherheitsfirmen und der rechten Szene seien bislang nicht ausreichend beleuchtet worden, kritisiert Franz Knoppe von »Aufstand der Geschichten«, einem Chemnitzer Projekt, das sich mit dem NSU-Komplex und dem Thema Rechtspopulismus auseinandersetzt. Es stelle sich die Frage, inwiefern der Verein und die Stadt mit Security-Aufträgen letzten Endes rechte Strukturen mitfinanzierten. »Wir fordern endlich eine echte Aufarbeitung, um diese Netzwerke offen zu legen.« Diese Aufgabe dürfe sich aber nicht auf Chemnitz beschränken, da die Verbindungen weit über die Stadt hinausgingen.

Kliese vermutet, dass der Verein aus Sorge um den Verlust von Fans zu passiv war und keine rote Linie zog. Diese Schwäche sei nun ausgenutzt worden. Ob das eine »typisch sächsische Schwäche« sei, möchte die Landtagsabgeordnete nicht sagen: »Aber ich habe das Gefühl, dass hier im Osten Deutschlands Meinungsfreiheit manchmal ein bisschen anders verstanden wird. Mir fehlt da einfach die Schmerzgrenze.« Kein Verein in Deutschland sei frei von Rassismus, sagt Kliese. Doch vielerorts seien die Fanszenen stärker vermischt. In Chemnitz werde es dagegen »langsam recht homogen«.

Der Chemnitzer Grünen-Abgeordnete Volkmar Zschocke formuliert es noch einen Zacken schärfer: Dass andere Zuschauer des Spiels mit der Aktion des Fanblocks offenbar kein Problem hatten, gehört für ihn zu einer »weit verbreiteten Grundstimmung« in Sachsen. »Kein Wunder; das Negieren und Verharmlosen von Rechtsextremismus war in Sachsen über Jahrzehnte Regierungspolitik.« Grenzüberschreitungen dieser Art dürften auf keinen Fall relativiert werden, »auch wenn es anderswo rechte Fanszenen gibt«.

»Der Chemnitzer FC hat es über Jahrzehnte verpasst, substanziell in Prävention zu investieren. Er hat sich maximal auf der Ebene von Symbolpolitik und kurzfristigen Maßnahmen bewegt«, sagt der Hooligan-und Fan-Forscher Robert Claus. Zudem habe es die Stadt über Jahrzehnte hinweg versäumt, effektiv gegen die wirtschaftlichen Netzwerke der extremen Rechten in der Stadt vorzugehen. Die hätten sich mit Musiklabels, Kneipen, Kampfsport oder Security-Firmen ihr eigenes wirtschaftliches Fundament gelegt: »Das alles passiert im Netzwerk zwischen Hooligans und Kameradschaftsgruppen.«

Genauso wichtig ist für Kliese, Zschocke und andere aber nun die Frage, wie die Stadt damit umgeht. »Es ist Teil des Problems, dass in Chemnitz jetzt darüber diskutiert wird, in welchem Licht die Stadt überregional nun wieder erscheint«, sagt Zschocke. Dabei müsse es doch zuerst darum gehen, sich mit dem fehlenden Problembewusstsein beim CFC hinsichtlich seiner rechten Fans auseinandersetzen. SPD-Politikerin Kliese meint zwar nicht, dass Chemnitz stets zu Unrecht in der Kritik steht. »Aber die Stadt wird eben oft sehr einseitig betrachtet und das wird ihr nicht gerecht«, sagt die 38-Jährige.

»Für alle, die sich um ein positives Bild der Stadt Chemnitz bemühen, ist das ein Schlag ins Gesicht«, räumt Katrin Hoffmann für die Initiative »Chemnitz ist weder grau noch braun« ein. Das Bündnis aus Firmen und Vertretern der Kreativwirtschaft hatte sich nach den Ereignissen vom August 2018 gegründet. Nun sehen sich die Macher um die Früchte ihrer Arbeit geprellt. Lange habe man versucht, das Image der grauen Industriestadt abzulegen, 2018 sei dann noch das braune Image hinzugekommen. Hoffmann will nicht resignieren. Aber eines möchte sie auch auf keinen Fall: Die Lage in Chemnitz schönreden. dpa/nd

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