Kramp-Karrenbauers Postdemokratie

Es liegt eine Stimmung in Deutschlands Luft, als wäre Kramp-Karrenbauer die Kanzlerschaft sicher - doch Roberto J. De Lapuente hat sie noch nicht überzeugt

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

In meinem eigenen kleinen Weltausschnitt, manche nennen ihren auch Bubble, tobte letzte Woche die Empörung. Wegen Annegret Kamp-Karrenbauer. Nein, an dieser Stelle soll nicht darüber befunden werden – es wurde bereits ausreichend darüber berichtet, kommentiert und beraten. Interessant fand ich an der ganzen Diskussion was völlig anderes: Man warf der Frau vor, dass sie als künftige Bundeskanzlerin so nicht sprechen dürfe. Jemand schrieb sinngemäß, dass er Merkels Eigenschaft, immer im richtigen Moment die Klappe zu halten, schon jetzt ziemlich vermisse. Andere orakelten schon, nun sehe man ja, was uns demnächst blühe. Frau Bundeskanzlerin, so nicht!

So eine Ergebenheit in den Ablauf der Dinge kennt man wahrscheinlich nur in Monarchien. Dort, wo die Nachfolge schon lange vor der Amtsübergabe durch die Blutlinie festgelegt ist. In einer Demokratie sollte das anders, auf jeden Fall offener laufen. Arrangements werden freilich parteiintern getroffen – aber am Ende muss dann noch gewählt werden. Kanzler ist keiner, bevor er nicht vom Bundestag dazu gemacht wurde. Fragen Sie mal Ex-Vorabbundeskanzler Martin Schulz.

Handlungsmöglichkeiten haben, den Abläufen diese oder eine andere Richtung zu geben, ja Alternativen zu haben: Das ist das ureigenste Wesen einer Demokratie. Die Alternativlosigkeit hingegen »suggeriere sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe« - so urteilte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) vor bald zehn Jahren, als sie »alternativlos« zu ihrem Unwort des Jahres kürte. Der Begriff drohe die Politikverdrossenheit zu verstärken.

Die Alternativlose wird früher oder später Geschichte sein – das ist klar. Selbst in der Union, wo man momentan das Früher oder Später aushandelt. Die noch amtierende Kanzlerin hat den Menschen im Lande offenbar die Alternativlosigkeit derart aufgeschwatzt, dass die sich gar nicht mehr ausmalen können, es könnte ja doch einen offenen Wahlausgang geben. In einer derart postdemokratisch geprägten Kultur sind Wahlen gewissermaßen sogar überflüssig. Man weiß ja eh, was kommt. Wofür noch abstimmen? Das Amt übernimmt ja eh die Person, die gerade der Union vorsitzt.

Man kann diese Stimmung schon nachvollziehen. Der große Gegenspieler hat sich über Jahre zersetzt, die Sozialdemokraten tapsen nur wenig rebellisch durch die Szenerie. Sie erklären zwar lang und breit, dass ab jetzt das Alleinstellungsmerkmal für eine soziale Rückentwicklung über sie zu laufen habe – aber einer vorzeitigen Ablösung der seit 2005 Alternativlosen oder gar Neuwahlen stimmen sie nicht zu. Sie fühlen sich stark als Bremse für Kamp-Karrenbauer, auch wenn das bedeutet, weiterhin eine Kanzlerin namens Angela Merkel zu ermöglichen.

Dass mit einem Kontrahenten aus diesem Lager keine Stimmung aufkommen mag, in welcher die Wahl als ein Vorgang betrachtet wird, die einen halbwegs offenen Ausgang nehmen könnte, kann man schon verstehen. Warum noch mit der Amtsvergabe warten, bis die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag so aufgestellte sind, dass Kamp-Karrenbauer zur Kanzlerin gewählt wird? Diese Mehrheitsverhältnisse werden sich wohl so oder so ergeben. Und die Sozis sind noch immer eingeknickt – man kennt das Prozedere ja hinlänglich. In der bundesrepublikanischen Postdemokratie kann doch außerdem nur eine Unionsvorsitzende ins Kanzleramt kommen. Alles andere ist schlichtweg nicht mehr vorstellbar.

Allerdings ist das gefährlich. Diese Stimmung schürt nicht nur die Politikverdrossenheit, wie das die GfdS schon 2010 festhielt. Sie ist dazu geeignet, die demokratischen Standards auszuhöhlen und zur Disposition zu stellen. Wenn die Demokratie ihr Überraschungsmoment verliert, die Fähigkeit mit einer Wahl etwas zu drehen, so macht sie sich überflüssig und wandelt sich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. In der sind Wahlen dann nicht mehr nötig – eine letzte Alternative, die in diesen alternativlosen Zeiten von einigen sicher sehr gerne für eine Reform aufgegriffen würde.
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