Großrazzia womöglich rechtswidrig

Polizeieinsatz gegen Geflüchtete in Ellwangen fand ohne Durchsuchungsbeschluss statt

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war eine klare Machtdemonstration. Hunderte Polizisten und Spezialkräfte stürmten am Morgen des 3. Mai 2018 die Landeserstaufnahmeeinrichtung in der baden-württembergischen Stadt Ellwangen. Ein Teil der rund 150 Bewohner hatte sich dort zuvor passiv gegen eine Abschiebung gewehrt. Die Beamten griffen hart durch: Türen wurden eingetreten, 18 Flüchtlinge in andere Einrichtungen verlegt, der gesuchte 23-Jährige nach Italien abgeschoben.

Schnell wurde der zivile Ungehorsam der Geflüchteten wie auch der folgende Polizeieinsatz zu einem Politikum. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach von einem »Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung«, CDU-Innenpolitiker Armin Schuster forderte die Einschränkung von Asylverfahren. Thomas Strobl (CDU), der Innenminister von Baden-Württemberg, stellte sich bedingungslos hinter seine Beamten. »Bei uns setzen sich Polizei und Rechtsstaat durch«, so die selbstsichere Verlautbarung.

Vielleicht etwas zu selbstsicher. Laut dem Jugendrichter des Amtsgerichtes Ellwangen bestehen nun doch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Beamten. Die Polizisten hatten in der Erstaufnahmeeinrichtung Türen aufgebrochen und Zimmer durchsucht, ohne einen richterlichen Dursuchungsbeschluss zu besitzen. Nach Ansicht des Gerichts handelte es sich bei den Räumen jedoch um grundgesetzlich geschützte Wohnungen.

Auf den Einspruch des Richters hin setzte das Gericht nun drei Verfahren gegen ehemalige Ellwanger Geflüchtete aus. Gegen diese hatte die Staatsanwaltschaft wegen »Widerstands gegen Vollzugsbeamte« ermittelt. Sollte die Razzia jedoch nicht rechtens gewesen sein, hätten sich die Schutzsuchenden möglicherweise auch nicht strafbar gemacht. Die Staatsanwaltschaft wurde um weitere Ermittlungen gebeten, heißt es von einem Sprecher. Zu klären sei vor allem, inwieweit das Hausrecht des Regierungspräsidiums zur Legitimation der polizeilichen Handlungen ausreiche. Der Einsatz in Ellwangen war Auslöser für 25 Strafverfahren.

Die Polizei sieht sich trotz des Einwands des Gerichts im Recht. »Wir stützen unsere Maßnahme auf das Polizeigesetz«, sagte ein Sprecher der zuständigen Polizei in Aalen am Dienstag. Das Regierungspräsidium in Stuttgart sei Eigentümer der Landeserststaufnahemeinrichtung und habe die Zustimmung zum Betreten und Durchsuchen gegeben.

Beim Regierungspräsidium und Innenministerium äußerte man sich jedoch nicht so eindeutig. »Der Polizeieinsatz in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen wurde - entsprechend der bei der Polizei Baden-Württemberg geübten Verfahrensweise - durch das Polizeipräsidium Aalen als einsatzführende Dienststelle sowohl geplant als auch verantwortlich durchgeführt«, heißt es in einem Statement. Man müsse nun die Entscheidung des Verwaltungsgericht Stuttgart bezüglich mehrerer Klagen gegen den Polizeieinsatz abwarten.

Eine der Klagen stammt von dem Geflüchteten Alassa M., der ebenfalls von der Razzia betroffen war. »Die Maßnahmen am 3. Mai 2018 erfolgten ohne Rechtsgrundlage und ohne richterliche Anordnung, waren willkürlich und in krassem Maße unverhältnismäßig«, erklärten seine Anwälte im Oktober 2018. »Gefahr im Vollzug oder eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit lagen unter keinem Gesichtspunkt vor.«

Auch die Motivation des Polizeieinsatzes wurde in der Klageschrift in Frage gestellt. »Der Protest von Flüchtlingen gegen eine routinemäßige Dublin-Abschiebung war durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt und friedlich«, heißt es. Das Land Baden-Württemberg habe dennoch eine »Strafaktion« gegen die Flüchtlinge durchführen wollen.

Verschiedene Flüchtlingsinitiativen haben für Donnerstag zu einer Kundgebung in Ellwangen aufgerufen. »Massenlager, Anker-Zentren und Erstaufnahmeeinrichtungen erweisen sich zunehmend als staatliche Institutionen, in denen immer mehr Grund- und Menschenrechte der Bewohner latent unterlaufen werden«, teilen die Gruppen in einer gemeinsamen Mitteilung mit. Da die Polizeirazzia in Ellwangen »offensichtlich« keine rechtliche Grundlage hatte, fordere man die sofortige Einstellung aller Prozesse und die Aufhebung aller bereits gefällten Urteile.

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