Kuscheltiere und Blumen

In Hamburgs »Aufstehen«-Basis kommt kein Zweifel an Sahra Wagenknecht auf.

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Jazz-Klassiker »The Shadow of Your Smile« tönt aus dem Lautsprecher, als am Donnerstagabend ein riesiger Menschenstrom in das Kulturzentrum Fabrik in Hamburg-Altona drängt. Anspielung auf Sahra Wagenknecht? Immerhin wird der Schatten besungen, den eine Person nach ihrem Abschied hinterlassen wird. Nach dem am vergangenen Wochenende überraschend angekündigten Rücktritt der Politikerin aus der ersten Reihe von »Aufstehen« und auch der LINKEN-Bundestagsfraktion könnten neue Schatten heraufziehen, und dunkle dazu. Diese Sorge ist sicher ein Grund für den Ansturm.

Die vielen »Aufstehen«-Banner deuten darauf hin: Es sind vorwiegend Aktivisten und Sympathisanten der Sammlungsbewegung gekommen, um Wagenknecht zu würdigen. Mit rund 4000 registrierten Anhängern zählt die Hansestadt zu dem Hochburgen von Aufstehen. Zu Beginn der Podiumsdiskussion mit dem SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Mathias Petersen unter dem Titel »Aufstehen für ein soziales Land« platzt das Gründerzeit-Gebäude fast aus allen Nähten - nicht alle der knapp tausend Besucher erhalten noch Einlass.

Als Fabio De Masi, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und bekanntester Aufsteher der Hansestadt, die Bühne betritt, den Conférencier gibt und Scherze macht, lichtet sich der Schleier der Melancholie. Die Stimmung steigert sich zur Begeisterung, nachdem Sahra Wagenknecht angekündigt wird. Als die gebürtige Thüringerin sogleich ihr Talent für hanseatisches Zurückhaltung ausspielt, ohne jedoch dabei Erbarmen für »Miethaie«, Privatisierer, und Trump-Vasallen wie SPD-Außenminister Heiko Maas erkennen zu lassen, und klarstellt, das Ziel von Aufstehen sei kein geringeres als »die Wiederherstellung der Demokratie«, ist aus dem Publikum eine fast schon euphorische Trotzhaltung zu vernehmen. »Jetzt erst recht!«, lautet die Losung dieses Abends.

Mathias Petersen bleibt nur, den moralischen Zeigefinger zu heben, wenn das Publikum seine Lobpreisung von SPD-Verdiensten, gar die von Olaf Scholz, mit Buhrufen beantwortet. »Schröder«-Rufe wollen ihn daran erinnern, dass ein dunkles Kapitel vermeintlicher SPD-Vergangenheit in der GroKo noch immer Gegenwart ist und voraussichtlich Zukunft bleiben werde. Für »lächerliche Anmache« und »SPD-Bashing« brauche er »hier nicht zu sitzen«, sagt Petersen etwas beleidigt.

Aber mit den »Aufstehen«-Politikern an seiner Seite kämpft er sich wacker hoch auf der Beliebtheitsskala im Saal − spätestens, als die 49-jährige Grande Dame der Linkspartei auch die eigene Partei für einen oftmals »arroganten« Umgang mit den Abgehängten tadelt und ihre Anhänger zur Einsicht mahnt, dass ohne eine nach links gerückte starke SPD keine Veränderung der Machtverhältnisse in diesem Land zu haben sei. »Aufstehen« sei ein Projekt zur Überwindung der Spaltung der Linken.

Die Sozialdemokratie habe den ersten Angriffskrieg in der Geschichte der Bundesrepublik und viele neoliberale Übel zu verantworten − warum sollte man sie noch unterstützen?, so eine der wenigen kritischen Stimmen, die dennoch aus dem Publikum kommen. Das sei doch gerade ein Grund sich einzumischen, hält Wagenknecht dagegen, verweist auf eine wachsende Zahl von »Zynikern« unter den Politikern, die darauf hofften, dass die Armen gar nicht mehr wählen gehen. Immerhin eine Antwort. Eine antikapitalistische Alternative, auf die sie früher bei solcher Gelegenheit verwiesen hätte, bleibt ausgespart. Zu Wagenknechts Rückzug und Zukunft von »Aufstehen« gibt es nicht einmal eine Frage auf dem Podium.

Die Organisatoren hätten sich lieber voll und ganz auf das Gespräch mit Wagenknecht und Petersen über die bereits vor Monaten angekündigten Themen konzentriert, begründet Konstantin Eulenburg, Moderator und einer der Sprecher von »Aufstehen« Hamburg, später im Gespräch das Schweigen. »Es ging heute um die Vermittlung von Gemeinsamkeiten, nicht um interne Probleme der Linkspartei und der eigenen Bewegung.« Er persönlich habe sich wegen Wagenknecht bei »Aufstehen« engagiert, sei »sehr betroffen« über ihre Entscheidung und weiß nicht, ob die Bewegung ohne sie funktionieren kann, gesteht der parteilose Fotograf. »Sie ist schon eine wichtige PR-Maschine.« Auch viele Anhänger reagierten sehr emotional auf die schlechte Nachricht, berichtet Eulenburg. »Sie haben uns vor der Veranstaltung Blumen und Kuscheltiere zugeschickt.«

Zu dem Übel des Verlusts der Galionsfigur kam vor einigen Tagen die Mitteilung von vier Mitgliedern des provisorischen Bundesvorstands, dass sie ihre Mandate ruhen lassen werden. Quo Vadis, »Aufstehen«? Das müsse erst einmal beraten werden, lautet De Masis wortkarge Antwort. Konstantin Eulenburg gesteht, dass er es auch nicht weiß. »Wir brauchen in jedem Fall einen Neuanfang«, meint er und zeigt sich optimistisch. In Hamburg werde es in jedem Fall weitergehen; es seien schon neue Aktionen geplant. Beifall für Wagenknecht, sogar für ihren Rückzug? Ein trotziges Ja ist die Antwort. Man begrüße den Rückzug, »weil wir uns endlich basisdemokratisch von unten organisieren müssen«. Eulenburg betrachtet die veränderte Lage mit nur einem weinenden Auge. »Das Kind muss jetzt erwachsen werden und auf eigenen Beinen laufen lernen.«

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