Sagen, wenn es zu viel wird

In unserer Wirtschaftsordnung hat man uns eingetrichtert, dass man immer mehr Leistungsfähigkeit zeigen muss. Diese krude Systemideologie ist gesundheitsgefährdend.

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein klein wenig erinnerte mich der Rückzug Sahra Wagenknechts vor einer Woche an jenen Rückzug des vorherigen Papstes. Der fühlte sich seinem Amt nicht mehr gewachsen, erklärte diesen ersten päpstlichen Rücktritt seit Jahrhunderten mit der Furcht davor, im Laufe seiner letzten Lebensjahre den Anforderungen einer modernen Welt nicht gerecht werden zu können. Auch wenn Kritiker ihm seinerzeit andere Motive unterstellten, besonders im Hinblick auf die Missbrauchsthematik, musste seine Entscheidung doch Respekt abringen. Da stand nämlich einer, der von sich sagte, dass er schwach sei, seinen Aufgaben nicht so nachkommen könne, wie es die Pflicht eigentlich von ihm verlange: Das hatte durchaus Symbolcharakter für die Überlasteten und Ausgebrannten dieser Erde.

Sicherlich ist Sahra Wagenknecht kein geistiges Oberhaupt und es stand nie im Raum, dass sie der Sammlungsbewegung bis ans Ende ihres Lebens zur Verfügung stehen muss. Und auch wenn sie nicht aus Gründen der Altersschwäche ihren Rückzug verkündigte, sondern wegen Arbeitsüberlastung, sind etwaige Parallelen nicht gänzlich konstruiert. In beiden Fällen geht es nämlich um ein Quantum, von dem man sich schier erdrückt fühlen kann. Und um einen Ausweg, den es für viele in unserer Gesellschaft nicht gibt – den es unter anderem auch deswegen nicht gibt, weil es zum guten Ton der herrschenden Wirtschaftsordnung gehört, individuelle Schwächen zu kaschieren.

Natürlich sprechen die Zahlen der Krankenkassen mittlerweile trotzdem eine deutliche Sprache: Überlastungen, sogenannte »Burnout«-Syndrome, haben in den letzten zwei Jahrzehnten massiv zugenommen. Die Menschen gehen damit zum Arzt, oft sind sie für Wochen, manchmal auch für mehrere Monate krankgeschrieben. Sie lassen sich psychologisch betreuen, tanken Ruhe, benötigen Abstand. Dass es Ausgebrannte gibt, wissen wir alle. Das ist kein Geheimnis. Konkret darüber zu sprechen gilt aber weiterhin als ein bisschen unangenehm, schließlich handelt es sich um was Psychologisches – und wer ist schon gerne ein Psycho?

In unserer Wirtschaftsordnung hat man uns über einen langen Zeitraum eingetrichtert, dass man der Entrepreneur seiner eigenen Leistungsfähigkeit sein muss. Schwächen hat zwar jeder, aber um Himmels willen, man verberge sie und stehe nicht dazu! Man habe sich auf dem Arbeitsmarkt voller Elan, Energie, ja als Aushängeschild der Belastbarkeit zu präsentieren. Ja, die Belastbarkeit ist geradezu ein magisches Wort der Kunst der Stellenausschreibung. Jeder hat belastbar zu sein oder wahlweise zu fordern. Wir wissen als Menschen zwar, dass niemand grenzenlos ist - aber auf der Jobsuche blenden wir das aus, beteuern unsere absolute Belastbarkeit wie ein Mantra. Wir strotzen potent, weil nur das Erfolg verspricht.

Diese krude Systemideologie ist gesundheitsgefährdend. Jede Mehrarbeit, jedes zusätzliche neue Aufgabenfeld, jede Neubelastung wird hingenommen und geschluckt, weil man zu denen gehören will, die nicht schwächeln. Wer schwächelt macht sich angreifbar, ist irgendwie auch schuldig, eine Belastung für seine Kollegen, seinen Chef. Es ist eine ideologisch verordnete Härte gegen sich selbst, gegen die eigene Konstitution. Wie niedrige Löhne oder schlechte Arbeitszeiten gehört dieser Komplex zu unserer modernen Arbeitswelt dazu. Die Selbstdisziplinierung über ein Maß hinweg, das gerade noch vertretbar wäre, sodass man stattdessen sukzessive ausbrennt: Sie ist ein ganz wesentlicher Pfeiler der hiesigen Ausbeuterökonomie.

So betrachtet wäre Sahra Wagenknechts Rückzug ein wertvoller Beitrag für eine Debatte über diese Arbeitswelt. Ja, etwas zynischer könnte man sogar behaupten, dass es dieser Rückzug ist, der ihre Kritik der modernen Arbeitswelt nochmal unterstreicht. Sie ringt Unmenschliches von den Menschen ab, will immer mehr und mehr, einknicken gilt aber nicht – bis es gar nicht mehr anders geht, man tatsächlich ausgebrannt ist. Zuzugeben dass man nicht mehr kann, dass es zu viel ist: Das ist im Grunde ein linkes Anliegen. Besser wäre es natürlich, man sagte es bevor man gar keine Energiereserven mehr hat. Denn Überlastung ist kein Naturgesetz. Man muss sich wehren. Und das ist keine Schwäche: Das können nur die Starken!

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