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Bittbrief nach Brüssel

Großbritanniens Regierungschefin Theresa May ersucht bei der EU um Verschiebung des Brexit an

  • Peter Eßer, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

In gut einer Woche sollte es so weit sein: Für den 29. März ist der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union angesetzt. Doch die Anzeichen verdichten sich, dass sich der Brexit um einige Wochen verzögern wird. Die britische Premierministerin Theresa May verschickte am Mittwoch eine entsprechende Anfrage nach Brüssel, um einen ungeordneten Austritt nächste Woche zu verhindern. Sie bittet darin um eine Verlängerung der Frist bis zum 30. Juni.

Zuvor war May zweimal krachend damit gescheitert, den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag vom Unterhaus in London ratifizieren zu lassen. Das britische Ersuchen um einen Aufschub stellt nun erneut die Geschlossenheit der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten auf die Probe.

Seitens der EU gibt es für eine Brexit-Verschiebung zunächst eine zeitliche Einschränkung, nämlich die Europawahl Ende Mai. Aus Sicht der EU-Kommission sind einem internen Papier zufolge, das am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur vorlag, nur zwei Optionen für den Aufschub des Brexits sinnvoll: eine kurze, »technische Verlängerung« bis zum 23. Mai ohne Teilnahme an der Europawahl; oder eine »lange Verlängerung« bis mindestens Ende 2019 mit der Option einer Verkürzung, falls vorher eine Lösung gefunden wird. In jedem Fall solle es nur eine einmalige Verlängerung geben, heißt es weiter.

Am Mittwochmorgen machte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zudem klar, dass es keine Nachverhandlungen zu dem ausgehandelten Abkommen geben werde. »Wir haben uns auf Großbritannien zubewegt«, sagte der Luxemburger im Deutschlandfunk. »Mehr geht nicht.« Wenn es nun keine Aussichten gibt, dass Theresa May die Zustimmung ihres Parlaments für diesen Text erhält, wozu den Brexit dann um ein paar Wochen verschieben?

Die Haltung des Kommissionspräsidenten zu Nachverhandlungen ist unter den Mitgliedstaaten bislang Konsens. Doch auch die Angst vor einem chaotischen Brexit ist groß, besonders in Deutschland, das wirtschaftlich viel zu verlieren hat. Aus Frankreich gibt es daher die Befürchtung, dass Berlin die bisher geschlossene Ablehnung von Neuverhandlungen aufbrechen könnte.

EU-Ratspräsident Donald Tusk etwa liebäugelt auch mit dem Gedanken, die Austrittsfrist um Monate oder sogar Jahre nach hinten zu verschieben. Der Brexit-Unterhändler der EU-Kommission, Michel Barnier, nannte als Voraussetzung für einen solchen langen Aufschub »einen neuen politischen Prozess« in Großbritannien. Das könnten zum Beispiel ein zweites Referendum über den Austritt oder Neuwahlen sein.

Allerdings wäre jegliche Verlängerung der Austrittsfrist über die Neuzusammensetzung des Parlaments am 1. Juli hinaus heikel. Den EU-Verträgen zufolge müsste Großbritannien dann eine Wahl abhalten, um seine 73 Sitze im EU-Parlament neu zu besetzen. Die britischen Wähler zur Urne zu rufen, obgleich sie in absehbarer Zeit den Club verlassen sollen, wäre wohl nur schwer zu vermitteln.

Sollte London sich weigern, die Wahl zu organisieren, bliebe der EU nur der Gang zum Europäischen Gerichtshof nach Luxemburg. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien könnte sich über Jahre ziehen. In der Zwischenzeit stünde jegliche Entscheidung, die auf EU-Ebene der Zustimmung des Parlaments bedarf, rechtlich auf wackeligen Füßen, da die Volksvertretung nicht regelkonform konstituiert wurde. Und auch wenn Großbritannien seine Abgeordneten wählen würde, brächte dies Probleme mit sich. So sind einige der britischen Sitze im Rahmen der Brexit-Vorbereitungen bereits an andere Mitgliedstaaten verteilt worden. Um Bevölkerungsschwankungen auszugleichen, haben etwa Frankreich und Spanien je fünf zusätzliche Sitze zugesichert bekommen. Die entsprechenden Abgeordneten werden Ende Mai gewählt. Bliebe Großbritannien vorerst EU-Mitglied, könnten diese Parlamentarier ihre Mandate nicht antreten.

Außerdem stehen zu Beginn der Legislaturperiode eine Reihe wichtiger Parlamentsentscheidungen auf der Agenda - an denen die britischen Abgeordneten dann natürlich beteiligt werden müssten. Die wichtigste dieser Entscheidungen ist die Wahl des höchsten EU-Postens, des Präsidenten der EU-Kommission. Kaum jemand in den 27 verbleibenden Mitgliedsländern hat wohl ein Interesse daran, dass ein künftiger Drittstaat derartigen Einfluss auf die so grundsätzliche Ausrichtung der Gemeinschaft hat.

Am Donnerstag und Freitag kommen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel zum EU-Gipfel zusammen. Laut Kommissionspräsident Juncker ist bei dieser Gelegenheit aber noch nicht mit einer Entscheidung über die Brexit-Verschiebung zu rechnen. May habe weder in ihrem Kabinett noch im Parlament »Zustimmung zu irgendetwas«, sagte er zur Begründung. »Solange wir nicht wissen, wozu Großbritannien Ja sagen könnte, können wir auch zu keiner Beschlussfassung kommen.«

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