Von wegen Spaß

Martin Sonneborn macht im EU-Parlament Politik. So arbeitsscheu wie er sich gibt, ist er nicht

  • Marion Bergermann, Brüssel
  • Lesedauer: 7 Min.

Es ist windig, der Himmel grau wie die hohen Gebäude des EU-Parlaments. Brüssel. Martin Sonneborn und sein Assistent überqueren den Parlamentsvorplatz. Sie diskutieren, ob die Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager, Chancen hat, Kommissionspräsidentin zu werden.

Die beiden kennen den Politikbetrieb sehr gut. Dabei hat Sonneborn immer damit kokettiert, als EU-Abgeordneter spät aufzustehen und auch sonst nicht so richtig teilzunehmen am Parlamentsleben. Aber nun arbeitet der 53-Jährige. Und zur nächsten EU-Parlamentswahl kandidiert er wieder für die satirische PARTEI (Partei für Arbeitsschutz, Rechtsstaatlichkeit, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative).

Die PARTEI

Die PARTEI macht als Satirepartei medienwirksame Aktionen, bei denen sie Politiker*innen aufs Korn nimmt. Die Mitglieder überkleben NPD-Wahlplakate und machen oft Witze, die mit Bier und Alkoholkonsum zu tun haben. Gleichzeitig liefert sich die Partei für Arbeitsschutz, Rechtsstaatlichkeit, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative juristische Auseinandersetzungen.

In dritter Instanz trifft sie sich mit der Bundesregierung vor Gericht. Vorherige Instanzen hatten der PARTEI Recht gegeben, dass ihre Aktion, Geld für den gleichen Betrag zu verkaufen und so Zuschüsse vom Staat zu bekommen, im Rahmen des Parteienfinanzierungsgesetzes lag. Einnahmen einer Partei wurden bisher vom Staat verdoppelt. Damit wollten die Satiriker*innen darauf aufmerksam machen, dass sich die AfD mit ihrem Goldverkauf nach gleicher Methode Einnahmen aus Steuergeldern sichert. Dass Einnahmen und Ausgaben nach einer Gesetzesänderung nun gegeneinander aufgerechnet werden müssen, wertet die PARTEI als Erfolg für sich.

Gerade wollen deutsche Politiker*innen eine Wahlrechtsreform auf EU-Ebene durchbringen. Dann würden kleine Parteien keine Sitze mehr im EU-Parlament bekommen. Auch dagegen setzt sich die 2004 gegründete PARTEI ein. Rund 32 000 Mitglieder hat sie laut ihrer Bundesgeschäftsstelle, das sind etwas weniger, als die AfD mit momentan 33 600 Mitgliedern hat. 40 Mandatsträger gibt es zur Zeit, sie sitzen etwa im Kommunalparlament in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg und im Freiburger Gemeinderat.

Lea Joy Friedel war Vorsitzende des Berliner Landesverbands West und ist vor Kurzem aus der PARTEI ausgetreten. Der 25-jährigen Musikerin gefällt nicht, dass mittlerweile, besonders in ihrem Landesverband Berlin, um Posten geschachert werde. Damals, als Sonneborn dort noch Vorsitzender war, habe sich »alles lustiger, netter und freier entwickelt als in letzter Zeit.« mbn

In der Abgeordneten-Bar im Parlament haben nur die gewählten Volksvertreter*innen und ihre Gäste Zutritt. Gedämpftes Stimmengewirr, Männer in dunklen Anzügen, Frauen in Kostümen. Sonneborn trägt wie oft ein ungebügeltes, schwarzes Hemd. Ein älterer CDU-Abgeordneter tritt an seinen Tisch. »Sie sind nicht mein Favorit, Herr Kollege, aber der Artikel war gut über Reul.« »Danke. Welcher Artikel?«, fragt Sonneborn höflich. Der Abgeordnete meint ein Interview der Rheinischen Post, in dem Sonneborn den ehemaligen EU-Abgeordneten Herbert Reul kritisierte. Kurz äußert sich der Politiker noch abfällig über seinen CDU-Kollegen Reul und geht weiter. Sonneborn schaut überrascht.

Sonst ist das Überraschungsmoment meist auf seiner Seite. Nach seiner Wahl 2014 hatte er lässig angekündigt, immer abwechselnd mit »Ja« und »Nein« stimmen zu wollen. Das tut er inzwischen nur noch, wenn die Mehrheiten ohnehin klar sind. Sozialdemokraten und Konservative machen die Sache meist unter sich aus. Doch manchmal kommt es ihm darauf an. Für Seenotrettung stimmte Sonneborn, für mehr Datenschutz in digitaler Kommunikation, gegen ein Freihandelsabkommen mit Südkorea. »Man stimmt natürlich nicht wissentlich gegen Dinge, von denen man überzeugt ist«, sagt er.

Ansonsten orientiert sich Sonneborn, fraktionslos, daran, wie Grüne und Linke stimmen. In der monatlichen Plenarwoche wird zu den unterschiedlichsten Themen abgestimmt, von Fischerei bis Asylpolitik, von Zusatzstoffen im Dönerfleisch bis Freihandelsabkommen. Ein fraktionsloser Abgeordneter kann das kaum bewältigen. Anders als die Fraktionen, denn sie beschäftigen eine Unzahl von Mitarbeiter*innen, die sich um anstehende Themen kümmern und den Parlamentarier*innen zuarbeiten. Vor jeder Entscheidung liegen zig Seiten Papierstudium. Allein in der Märzwoche gab es in Straßburg über 240 Abstimmungen.

Aufgefallen ist der PARTEI-Politiker mit seinen einminütigen Reden im Plenum. In fünf Jahren brachte er es auf sieben Auftritte, was ihm jedes Mal Millionen Klicks in den sozialen Medien bescherte. Zuletzt bat er Angela Merkel, ihr »Land besenrein« zu übergeben. Die Kanzlerin war nach Straßburg gekommen, um über die Zukunft Europas zu reden. Für Sonneborn ein zweifacher Triumph; mit seinem Auftritt hatte er ihr Paroli geboten und zugleich verhindert, dass die Redezeit an den anderen deutschen fraktionslosen Abgeordneten ging, Udo Voigt von der NPD. »Moderne Turbopolitik« nennt Sonneborn diese kurzfristige Rede. Bloß Populismus? »Er kann es gut, keine Politik zu machen und trotzdem Politik zu machen«, sagt Frank Puskarev, der seit langem für einen LINKE-Abgeordneten im Parlament arbeitet.

Während Sonneborn und Büroleiter Dustin Hoffmann, der wirklich fast so heißt wie der bekannte US-Schauspieler, in der Abgeordneten-Bar reden und zu ihren aufleuchtenden Smartphones greifen, malen ihre beiden Praktikanten im Nebengebäude Plakate. Grund ist die Abstimmung über die Reform des Urheberrechts. Einige Tage darauf wird das EU-Parlament entscheiden, dass das Hochladen von Inhalten mit Auflagen belegt wird. Sonneborn ist dagegen, deshalb kümmern sich Laetitia und Jakob gerade um die Schilder für eine kleine Demonstration vor dem Büro des Vorsitzenden der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber. »Kein Meme ist illegal« steht auf einem der Pappschilder. Die beiden bekommen je 1500 Euro im Monat Gehalt. So viel zahlt niemand anderes der Abgeordneten seinen Praktikant*innen.

Neben Verbraucherdatenschutz beschäftigt Sonneborn die geplante EU-Armee. Dass mit dem EU-Finanzrahmen ab 2021 eine gemeinsame Armee der Union entstehen soll, kritisiert er immer wieder. »Seitdem wir wissen, dass Gelder in diese EU-Armee gesteckt werden sollen, was nach dem Lissabonner Vertrag vollkommen unmöglich ist, begleiten wir das.« Das klingt nach einem ehernen demokratischen EU-Befürworter, nicht nach einem Störenfried.

Sonneborn hat ein Buch geschrieben über seine ersten fünf Jahre EU-Parlament. Nach den 400 Seiten versteht man dieses Gebilde aus Institutionen, das Europäische Union heißt. Und wird unterhalten in einer Art Politkrimi mit Boulevardzeitschriftencharakter.

Das Parlament ähnelt einem Raumschiff, Aufzüge und Rolltreppen gehen in alle Richtungen. Sonneborn und Hoffmann werfen sich Namen vorbeilaufender Leute zu und gleichen Informationen ab. In Hoffmanns Büro steht man zwischen PARTEI-Merchandise. Sprühdosen mit Sonneborns Konterfei in einem Karton, alte Postkarten mit einem Foto von Alice Weidel: »Afd-Wähler aufgepasst: Alice Weidel ist lesbisch!«. Aus einer Kiste zieht Sonneborn eine Bierflasche »Sonnebräu«. Auf dem Etikett ein Mann in Uniform, der seinem Volk zuwinkt. All dies lassen sie von Sonneborns Aufwandspauschale herstellen. Rund 4400 Euro monatlich können Abgeordnete für Werbematerial und ihre Büros ausgeben.

Sonneborn läuft hin und her, wechselt zwischen Tablet und Handy. »Dustin, was ist diese Woche an Abendveranstaltungen?« Zu Events mit Gratishäppchen, die in Brüssel jeden Abend stattfinden, geht der ehemalige Journalist oft. Abendessen der südkoreanischen Botschaft - er ist Mitglied der Parlamentarierdelegation für die Beziehungen zur Koreanischen Halbinsel -, Straßenfest der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens. Der 53-Jährige schaut dort vorbei, um sich Anekdoten aus der Welt der Mächtigen zu notieren.

Abgesehen davon verfolgt er Ausschusssitzungen, gibt Interviews, führt Besucher*innen durchs Parlament, macht PARTEI-Auftritte in Deutschland. Das ist alles Arbeit, auch wenn er diese nach außen lustig aufbereitet. Immer wieder wurde Sonneborn vorgeworfen, er verschwende als Komiker im Parlament Steuergelder. Die monatliche Diät liegt immerhin bei 8611 Euro brutto plus Zuschlägen. Dazu sagt er gelassen: »Brüssel habe ich nicht als Lotteriegewinn gesehen, sondern eher als Verpflichtung, sich mit dem Parlament auseinanderzusetzen.«

Vermutlich haben viele erst durch seine Videos und Posts in sozialen Medien erfahren, wer alles im EU-Parlament sitzt und welche Auswirkungen dortige Entscheidungen auf ihr Leben haben. Der einstige Titanic-Chefredakteur und Reporter der ZDF-Satiresendung »heute-show« hatte dabei einen Vorteil: Er musste nicht erst um Aufmerksamkeit kämpfen. Die hatte er schon. Jetzt nutzt er seine Position als Abgeordneter, um »unsere irre kapitalistische Gesellschaft« aus dieser Perspektive zu reflektieren. Er freue, sich Einblick zu haben »in bizarre Vorgänge« und »über mediale Möglichkeiten, ihnen Öffentlichkeit zu verschaffen«, sagt Sonneborn.

Hinter jedem Promi stehen fleißige, bescheidene Mitarbeiter. Bei Sonneborn ist das Dustin Hoffmann. Statt grauer C&A-Anzüge für 49 Euro, Markenzeichen der PARTEI, trägt er Tuchhose und Hemd unter dem Pullover. Hoffmann ist PR-Assistent, Sekretär und Rechtsberater. Der 31-Jährige hat Jura studiert und war lange im Berliner Landesverband der PARTEI aktiv.

Sein Chef hat eines seiner Ziele schon erreicht: den CDU-Abgeordneten Elmar Brok politisch zu überleben. Der sitzt seit 1980 im Parlament und tritt bei der kommenden Wahl nicht mehr an. Bei den Konservativen scheint man auch nicht allzu viel von der Arbeit des Satirikers zu halten. »Während die breite Mehrheit aller Kolleginnen und Kollegen hart um praxisgerechte Lösungen für ein besseres Europa ringt, versucht sich ein selbst ernannter Satiriker in der Verächtlichmachung unserer Arbeit«, teilt Daniel Caspary mit. Humor sei Ansichtssache, findet der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe. »Aber konstruktive Arbeit sieht anders aus.«

Sonneborn und sein Assistent schreiben in öffentlichen Mitteilungen vom »Lügen-Caspary«. Die meisten Abgeordneten hätten Angst vor Sonneborn, sagt ein deutscher Mitarbeiter aus dem Parlament. »Man legt sich lieber nicht mit ihm an, weil es stärker zurückfeuert«.

Dass der PARTEI-Abgeordnete für Bürger*innen aufbereitet, was in Brüssel an Netzwerken und Kumpanei vorhanden ist, war 2014 wohl nicht zu vermuten. Mit 0,6 Prozent der deutschen Stimmen zog er ins EU-Parlament ein. »Ich wusste vorher nicht, ob es funktioniert, als staatlich bezahlter Hofnarr zu agieren«, sagt er ernst. Bevor er sich als Kandidat aufstellen lassen konnte, musste er aus allen anderen Parteien austreten. Entgegen der Vorschrift war Sonneborn gleichzeitig Mitglied bei CDU, SPD, Grünen, FDP und LINKE. Für die EU-Wahlliste ging das nicht. Man darf nur in einer Partei sein.

Jetzt soll es anders weitergehen. »Überall naiv reinzugucken und darüber zu berichten war ein gutes Konzept für die ersten Jahre.« Sonneborn will mit seiner PARTEI am 26. Mai zwei Mandate erzielen. »Dann werden wir ein neues Konzept brauchen. Ich verspreche für die zweite Legislaturperiode einen wesentlich höheren Unterhaltungswert und soziale Veränderungen für ganz Europa.«

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