Eine komplizierte Beziehung

Jürgen Trittin (Grüne) fordert, dass die Europäer Russland ein Angebot zur nuklearen Abrüstung machen

  • Jürgen Trittin
  • Lesedauer: 4 Min.

Deutschland und Russland - das ist eine wechselhafte Geschichte.

Deutschlands Modernisierung war Vorbild für Peter den Großen. Rilke war fasziniert von der Spiritualität der russischen Orthodoxie, viele Deutsche schwärmten für russischen Weiten.
Das deutsche Kaiserreich stürzte Russland und Europa in den ersten Weltkrieg. Und der deutsche Kaiser beendete ihn im Osten, in dem er Lenin im Zug nach Russland schickte. Am Ende Revolution stand die Erschießung von Wilhelms Cousins Zar Nikolaus in Jekaterinburg.

Auch die Zusammenarbeit mit rechten Anti-Demokraten ist nicht neu: Die Sowjetunion half trotz Versailler Vertrag heimlich bei der Wiederaufrüstung der Reichswehr. Stalins Russland und Nazi Deutschland teilten sich gewaltsam Polen auf. Deutschland überfiel die Sowjetunion. Seinem Vernichtungskrieg fielen Millionen Menschen zum Opfer.

Und dennoch leiten die Bundesrepublik und die Sowjetunion schon Anfang der Siebziger Jahre mit der Entspannungspolitik das Ende des Kalten Krieges ein. Unterlegt war dies übrigens mit einer schon damals von den USA bekämpften wirtschaftlichen Zusammenarbeit - Röhren gegen Gas.

Der größte Teil der importieren fossilen Rohstoffe in Deutschland kommen aus Russland, Deutschland ist für Russland nach China eines der wichtigsten Import- und Exportländer.
Man sieht: Deutschland und Russland, das ist eine komplizierte Beziehung - zumal das heutige Russland nicht das zaristische und auch nicht die Sowjetunion ist.

Aber die wechselseitige Geschichte hat nicht zu Feindschaft geführt. Russen mögen Deutsche. Deutsche halten zu Zweidrittel Putins Russland für zuverlässiger als Trumps USA.
Und doch ist das deutsch-russische Verhältnis in einer tiefen Krise. Sie begann nicht erst mit der Annektion der Krim und dem Krieg in der Ost-Ukraine. Es stimmt: Russland hat vergeblich gegen die Stationierung des US-Raketenabwehrschirms protestiert. Der damalige EU-Kommissionspräsident Barroso hat die Assoziierung der Ukraine als eine Absage an Russland inszeniert.

Doch nichts davon rechtfertigt den einseitigen Bruch genau jener Friedensordnung, die aus der Entspannungspolitik erwuchs. Die Unverrückbarkeit von Grenzen, die freie Wahl von Bündnissen ist Teil der Friedensordnung, die die Sowjetunion mit gestaltete. Und nichts rechtfertigt den Bruch jener völkerrechtlichen Pflichten, die Russland im Budapester Memorandum zusammen mit Großbritannien und den USA für die atomare Abrüstung der Ukraine übernommen hat.

Die von Europa verhängten daraufhin verhängten Sanktionen unterscheiden sich von denen der USA. Sie sind keine beleidigte Bestrafung. Sie zielen auf eine Verhaltensänderung. Russland soll seine selbst übernommenen Pflichten und vor allem seine Zusagen aus dem Abkommen von Minsk umsetzen. Dann würden die Sanktionen enden. Das ist der Konsens aller EU-Mitglieder von Griechenlands Tsipras bis zu Polens Morawiecki.

Die USA zielen mit ihren Sanktionen auf etwas anderes. Sie wollen – parteiübergreifend – Russland bestrafen und wirtschaftlich in die Knie zwingen. Dafür wollen sie auch europäisches Geschäft mit Russland durch Sekundärsanktionen – von Gas bis Öl - unterbinden.
Europa darf sich das nicht gefallen lassen. Nicht nur wegen des Geschäfts. Europa hat kein Interesse an einem failed state wie zu Jelzins Zeiten.

In die Kategorie des Kaputtrüstens gehört auch die Forderung, alle NATO-Mitglieder sollen mindestens zwei Prozent ihres Etats für Rüstung ausgeben – Deutschland seinen Wehretat also gut verdoppeln. Es würde dann allein mehr für Rüstung ausgeben, als Russland. Dabei geben die europäischen NATO-Mitglieder zusammen heute schon dreimal so viel aus.

Sicherheit in Europa gibt es nur mit Russland – und nur mit Abrüstung. Deshalb war die Kündigung des INF-Vertrages falsch und sie wurde durch Putins freudige Annahme nicht richtiger. Europa muss endlich ein Angebot machen, dass diese Waffen, die taktischen Atomwaffen in Büchel wie in Kaliningrad, die NATO-Raketenabwehr aus der Mitte des Kontinents verbannen.

Es wäre ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Europa mindert seine nukleare Bedrohung. Russland seine ökonomische. Denn obwohl Russland nicht so schlecht da steht, wie die Sowjetunion in den 80er Jahren, wäre eine massive Investition in neue Nuklearwaffen für Putin ein innenpolitisches Risiko.

Seit fünf Jahren gehen die Realeinkommen in Russland zurück. Das Rentenalter musste hochgesetzt werden. Die Atommacht Russland hat ein geringeres Bruttoinlandsprodukt wie Italien. Dauerhafte Stabilität wird es im Haus Europa nur mit wirtschaftlicher Entwicklung beim Nachbarn Russland geben.

Wirtschaftliche Entwicklung führt nicht automatisch zu Demokratie – wie lange Gerhard Schröder und Angela Merkel glaubten. Aber wirtschaftliche Stabilität mindert die Neigung, mit Machtpolitik nach außen Herrschaft zu legitimieren. Deshalb ist – bei aller harten Kritik am neuen russischen Autoritarismus – eine bessere Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland im beiderseitigen Interesse.

Das ist im Interesse der Deutschen, der Russen und ihrer Zivilgesellschaft.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -