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Wenn Rechte sich einen Anschlag herbeiwünschen
Wie die extreme Rechte das Feuer in Frankreichs bekanntester Kathedrale politisch missbraucht
Nach dem schweren Feuer in der Pariser Kathedrale Notre-Dame ist die internationale Anteilnahme groß. Weltweit bieten Unternehmer und Regierungen an, Frankreich beim Wiederaufbau ihres mehr als 800 Jahre alten europäischen Kulturdenkmals sowohl finanziell als auch technisch zu unterstützen.
Bei solchen Tragödien ist es alles andere als ratsam, bereits über die Brandursache zu spekulieren, während die Feuerwehr noch gegen die Flammen kämpft. Logisch, dass sich seriöse Experten zu diesem Zeitpunkt noch mit Einschätzungen zurückhalten, bevor Brandermittler überhaupt ihre Arbeit aufnehmen konnten. Eine solche Zurückhaltung wünscht man sich auch von der Politik, doch die extreme Rechte nutzt den Brand bereits für ihr Agenda Setting. Doch dazu später, zunächst die Fakten:
Der Brand war am Montagabend im Dachstuhl ausgebrochen und hatte sich nach Angaben eines Feuerwehrsprechers rasend schnell über das gesamte Dach ausgebreitet. Rund 400 Feuerwehrleute kämpften die gesamte Nacht über gegen die Flammen, am Dienstag kurz vor zehn Uhr waren sie dann vollständig gelöscht.
Noch in der Nacht nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf und befragte Arbeiter, die mit Instandsetzungsarbeiten an der Kathedrale beschäftigt waren. Montagmittag hieß es dann aus Paris, eine Brandstifung ist weitestgehend auszuschließen. Deshalb laufe die Untersuchung auch wegen »unbeabsichtigter Zerstörung«. Ähnliche, sehr vorsichtige Äußerungen hatte es in den Stunden zuvor bereits seitens der Feuerwehr gegeben. Hinweise auf ein gezielte Herbeiführung des Feuers? Gibt es bis zur Stunde nicht.
Doch wofür weder Feuerwehr noch Brandermittler Belege fanden, heißt schließlich nicht, dass es sich vielleicht, eventuell, möglicherweise doch anders zugetragen haben könnte - denken sich einige Vertreter der extremen Rechten. Und verbreiten wieder einmal die wildesten Theorien, Spekulationen und Einschätzungen. Ob diese schon von vornherein unsinnig sind oder sich erst mit Abschluss der Ermittlungen zur Brandursache definitiv als völlig falsch heraustellen, ist egal. Die Strategie dahinter ist: Irgendwas wird beim adressierten Publikum schon hängen bleiben und möge es auch nur der vageste Verdacht sein, an den offiziellen Darstellungen könnte etwas nicht stimmen.
Eine perfide Herangehensweise nutzt die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel. Innerhalb von nicht einmal 20 Stunden verbreitete die Politikerin drei Beiträge zum Feuer in Notre-Dame auf Facebook. Während Weidel am Montagabend noch sachlich auf den Brand hinwies und einen Artikel bei »Focus Online« teilte, sah dies am Montagmorgen schon ganz anders aus:
»In der Karwoche brennt Notre-Dame. Im März brannte es in der zweitgrößten Kirche Saint-Sulpice.
Allein im Februar wurden in Frankreich 47 Angriffe registriert. Die Beobachtungsstelle gegen Intoleranz und Diskriminierung von Christen in Europa spricht von einer signifikanten Zunahme.«
Weidel versucht in ihrem Beitrag, gleich mehrere Zusammenhänge zu suggerieren, für die es keine Belege gibt. Wie im Fall von Notre-Dame, wo die Ermittler bisher keine Hinweise auf Brandstiftung haben, verhält es sich auch bei der zweitgrößten Pariser Kirche Saint Sulpice, in der es am 18. März ein Feuer gab. Das Ausmaß dieses Brandes ist aber keinesfalls mit dem aktuellen Fall in Notre-Dame vergleichbar. Weidel rührt beide Fälle in ihrem Beitrag zusammen und stellt sie abschließend in eine Reihe mit Anschlägen auf französische Kirchen in den vergangenen Monaten. Doch in vielen Fällen sind weder die Täter bekannt, noch die möglichen Hintergründe.
Weidel deutet nur an, lässt Schlussfolgerungen gezielt aus und bleibt subtil im vagen, ähnlich wie der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Dieser schrieb am Montagabend auf Facebook:
»Notre-Dame brennt lichterloh. Welches Bild könnte unsere apokalyptische Zeit besser beschreiben? Doch wir, die wir unser europäisches Erbe im Herzen tragen, bekennen: Auch wenn die Kathedrale tausendmal in Flammen aufgeht, wir bauen sie eintausendundeinmal wieder auf.«
Höcke bemüht keine ungeklärten Fälle aus der Vergangenheit, sondern übt sich in Symbolismus. Nun mag die Apokalypse zwar eine beliebte religiöse Erzählung sein, doch sicher ist, dass der Weltuntergang definitiv nicht bevorsteht, nur weil eine bekannte Pariser Kirche brannte. Des Weiteren spricht Höcke vom »europäischen Erbe« und dass die Kathedrale tausendmal brennen könnte und sie immer wieder aufgebaut würde. Nur die Frage ist: Warum sollte Notre-Dame tausendmal in Flammen aufgehen?
Symbolik mit dem Holzhammer betreibt auch Höckes frühere rechte Hand, der Ex-AfDler André Poggenburg. Er deutet versteckt hinter einer Frage an, das Feuer könnte ein »Sinnbild für den Verlust von Kultur, Tradition und Identität in Europa« sein und er hoffe, dies sei keine »bizarre Symbolik für die Folgen der Islamisierung«. Das ist schon ein heimtückisches Kunststück: Ein Feuer, dessen Ursache mit hoher Sicherheit keine Brandstiftung war, in die Nähe der von der extremen Rechten bemühten Erzählung von der angeblichen Islamisierung Europas zu rücken.
Völlig frei von subtilen Andeutungen bleibt die »AfD Solingen« auf ihrer Facebookseite, deren Profil offensichtlich im Verlauf des Montag gesperrt wurde. Zuvor war dort wild spekuliert worden:
»Würde wohl niemanden verwundern, wenn es ein Anschlag mit islamistischen Hintergrund wäre. Doch noch weiß man nichts genaues, aber ob man auch wirklich die Wahrheit später preisgibt? Die Antwort könnte ja die Bürger verunsichern.
Die Attacken auf christliche Hoheitszeichen werden in den nächsten Jahren massiv zunehmen, und wir alle wissen warum!«
Innerhalb von vier Sätzen geht in dem Beitrag sogar der Konjunktiv verloren. Aus der Spekulation, es könnte sein, dass das Feuer Folge eines Terroranschlags war, wird einen Absatz später die Prognose, dass chirstliche Symbole zunehmend bedroht würden. Wie sich das aus den bekannten Fakten zum Brand in Notre-Dame herleiten lässt? Unklar. Aber selbst das könnte ja irgendwie Teil einer großen Verschwörung sein.
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