Über den Stau wegfliegen?

Versuche mit Lufttaxis laufen. Doch eine US-Studie zeigt: Auf Kurzstrecken sind sie nicht umweltfreundlicher als Autos.

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer schon mal seinen Flug oder Fernzug verpasst hat, weil er mit Bus oder Auto im Stau stecken geblieben ist, wird sich sicher gewünscht haben, über all das hinwegzufliegen. Doch bislang ist das bestenfalls eine Option für Politiker und Superreiche, die sich mal eben mit dem Hubschrauber über Niederungen des Straßenverkehrs erheben können.

Glaubt man den Versprechungen des derzeitigen Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer und seiner in der Bundesregierung für die Digitalisierung zuständigen CSU-Parteikollegin Dorothee Bär, soll sich das ändern. Bei der Vorstellung eines Projekts zur Erprobung von Flugtaxis sagte Staatsministerin Bär, dass ein dicht besiedeltes Land wie Deutschland »nicht alle Straßen sechs- oder achtspurig ausbauen« könne und auch »neue Schienenwege knappen Raum« beanspruchten.

Ist der Weg in die Luft also womöglich auch noch umweltschonender? Dem widerspricht in wesentlichen Punkten eine kürzlich im Fachblatt »Nature Communications« (DOI: 10.1038/ s41467-019-09426-0) veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern der University of Michigan (Ann Arbor, USA) und des Forschungszentrums des US-Autokonzerns Ford. Die Wissenschaftler hatten den durchschnittlichen Energieverbrauch von Autos mit Verbrennungsmotor, Elektroautos und von elektrisch angetriebenen senkrecht startenden Flugtaxis verglichen, ebenso den Zeitaufwand. Ihr Ergebnis: Gerade auf den kurzen Strecken, die den Großteil unserer Mobilitätsbedürfnisse abdecken, schneiden Lufttaxis schlechter ab. In der Start- und Aufstiegsphase verbrauchen sie deutlich mehr Energie und können diesen Mehrverbrauch während des effektiveren, aber kurzen Reiseflugs nicht wieder kompensieren. Erst bei Strecken um 100 Kilometer seien sie voll besetzt weniger klimaschädlich als Autos mit Verbrennungsmotor. Elektroautos kommen auch auf diesen längeren Strecken noch besser weg. Der Wert des Vergleichs mit konventionellen Autos wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass bei dem Strom in E-Autos und Flugtaxis der aktuelle Strommix aus dem US-Netz in die Berechnungen einging. Wie die Autoren selbst schreiben, würde der Vergleich bei dem stärker aus erneuerbaren Quellen gespeisten kalifornischen Netz wesentlich stärker zugunsten der Elektroantriebe ausfallen. Die Autoren geben überdies zu bedenken, dass insbesondere bei den an sich vorteilhaften längeren Strecken das Wetter den Energieverbrauch der Flugtaxis nennenswert beeinflusst.

Ein Vorteil der fliegenden Fortbewegung bleibt: Sie ist schneller. So haben die US-Wissenschaftler in ihrer Studie eine Reisegeschwindigkeit von 241 km/h zugrunde gelegt. Damit erreicht man per Flugtaxi sein Ziel in der Regel in einem Fünftel der Zeit, die Autos - ohne Dauerstau - für die gleichen Strecken benötigen. Florian Holzapfel, Professor für Flugsystemdynamik an der TU München, sieht den Vorteil der neuen Fluggeräte vor allem dort, wo Gebirge lange Serpentinenfahrten oder teure Tunnel nötig machen, und dort, wo viele Inseln zu verbinden sind, etwa in Indonesien. So sei in Ruanda ein Unternehmen kommerziell sehr erfolgreich, das Blutkonserven oder dringende Medikamente in dem Land per Paketdrohne ausliefert. Günstig an solchen Multicoptern sei, dass sie keinen ausgebildeten Piloten und weniger Wartung als ein Hubschrauber benötigten. Deshalb seien sie auch als Transportmittel für Notärzte oder die Kranken selbst für Länder mit schlechter Verkehrsinfrastruktur im Gespräch.

Generell, findet Holzapfel, werden Flugtaxis hierzulande zu stark unter dem Aspekt diskutiert, ob sie irgendein Verkehrsmittel ersetzen könnten. Sie seien aber nur eine Ergänzung in der gesamten Mobilitätskette.

Mittlerweile testen mehrere Firmen Prototypen von Flugtaxis, neben Startups auch große Flugzeughersteller wie Boeing, Airbus und Bell Helicopters. Auch deutsche Neulinge im Flugzeugbau wie Lilium und Volocopter sind dabei. Weltweit existieren etwas mehr als 140 Projekte, die Geräte entwickeln, die vertikal starten und landen könnten und elektrisch von A nach B fliegen, einige auch autonom, berichtete Manfred Hajek, Professor für Hubschraubertechnologie an der Technischen Universität München, bei einer Diskussionsrunde des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Davon seien »noch keine 30 in der Luft«.

Bis sie hierzulande abheben können, muss sich allerdings noch einiges tun. Da ist zum einen der fehlende Rechtsrahmen für einige der Neuentwicklungen. Zum anderen ist technisch längst nicht alles gelöst. Ohne eine stark automatisierte Luftsicherung wären zusätzliche Fluggeräte kaum zu managen. Es sei unrealistisch zu erwarten, dass man in fünf Jahren vom Hauptbahnhof zum Flughafen autonom fliegen könne, meint Hajek. »Also ich würde mich nicht reinsetzen in fünf Jahren.«

»Alles, was mit Digitalisierung, mit Software, mit Flugsteuerung und Flug-Kontrollsoftware zu tun hat, ist ein unglaublich aufwendiger, langwieriger Prozess«, erklärte der Hubschraubertechnologe. Deshalb erwartet er frühestens ab 2050, dass Flugtaxis den Nahverkehr in Großstädten wie Berlin ergänzen könnten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.