»Zeugen einer Schmierenkomödie«

In Madrid findet unter geringer europäischer Resonanz ein fragwürdiger Prozess gegen zwölf katalanische Unabhängigkeitsbefürworter statt

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist der internationalen Öffentlichkeit und Beobachtern zu verdanken, dass die spanische Wahlbehörde (JEC) vor den Parlamentswahlen am Sonntag einen Schwenk machen musste. Inhaftierten katalanischen Politikern wurde es schließlich doch erlaubt, in den Wahlkampf einzugreifen. Zwölf führenden Unabhängigkeitsbefürwortern aus Politik und Kultur wird seit Februar wegen »Rebellion«, »Aufruhr« oder »Veruntreuung« der Prozess in Madrid gemacht, weil sie am 1. Oktober 2017 die Bevölkerung in Katalonien in einem Referendum über die Unabhängigkeit abstimmen ließen.

Erst vor dem Osterwochenende ließ die JEC plötzlich einige »Pressekonferenzen« von politischen Gefangenen wie Oriol Junquera, Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), per Videoschaltung aus dem Gefängnis zu. Dabei wurden die Unabhängigkeitsbefürworter vor die spanische Fahne und dem Bild des Monarchen gesetzt. Dass sie auch zu wenigen Parteiveranstaltungen zugeschaltet wurden, war für Junqueras ein »erster Sieg gegen die Repression«. Junqueras führt die Liste der ERC für den spanischen Kongress an und sitzt seit 18 Monaten im Gefängnis. Er und andere Kandidaten konnten aus dem Gefängnis für ein unabhängiges Katalonien werben.

Die partielle Wende im Umgang mit den politischen Gefangenen dürfte unter anderem der Europarat bewirkt haben, der »besorgt« ist und Parallelen zur Türkei zieht. Er will nun die Lage »speziell in Spanien und der Türkei« untersuchen, da dort die Zahl derer steigt, die für ihre politische Arbeit angeklagt werden. Dazu hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Wahlbeobachtung beschlossen. Sie will speziell Vorgänge in Katalonien prüfen. Das führte letztlich zur Feigenblatt-Beteiligung der Gefangenen am Wahlkampf. Aus Sicht hochrangiger Juristen müssten sie ohnehin frei sein, da eine Untersuchungshaft bis zu einem rechtskräftigen Urteil die absolute Ausnahme sei.

Ließe die Staatsanwaltschaft den absurden Rebellionsvorwurf fallen, wären sie ohnehin längst frei. Gründe dafür gäbe es viele, denn die Schweiz, Schottland, Belgien und Deutschland haben Auslieferungen von Exilpolitikern wie dem Ex-Regierungschef Carles Puigdemont abgelehnt. Das Oberlandesgericht in Schleswig sah nicht einmal die für eine Auslieferung wegen Aufruhrs nötige Gewalt für einen Landfriedensbruch.

Seit Wochen kann im Prozess keine Gewalt der Wähler am Referendumstag belegt werden. Die Anklage kann auch weder Geldströme nachweisen noch Rechnungen vorlegen, die für Veruntreuung sprechen. Martín Pallín, der lange an dem Obersten Gerichtshof tätig war, an dem das Verfahren läuft, meint deshalb: »Man kann das Urteil längst schreiben und bestenfalls wegen Ungehorsam verurteilen.«

Dennoch berichten gebetsmühlenartig Nationalpolizisten und Guardia Civils, die nachweislich friedliche Wähler verprügelt haben, von »tumultartiger« Gewalt gegen Beamte. Die seien getreten, geschlagen und bespuckt worden. Das kann mit Bildmaterial aber nicht belegt werden. Der zuständige Staatssekretär José Antonio Nieto musste sogar zugeben, dass nicht ein einziger Beamter im Krankenhaus behandelt wurde. Von einem bewaffneten militärischen Aufstand, wie ein Putsch in Spanien als »Rebellion« bezeichnet wird, fehlt ohnehin jede Spur.

Beobachter der »International Trial Watch«, die ohne offizielle Genehmigung über jeden Prozesstag berichten, kritisieren hart, dass das Gericht die Zeugenbefragung massiv eingeschränkt, was »im Gesetz nicht vorgesehen ist«. Erstaunt sind die Experten darüber, dass Aussagen der Beamten wie abgesprochen klingen und die Verteidigung »die Zeugen nicht mit Videoaufnahmen konfrontieren« kann. Denn die verfügt über zahllose Aufnahmen. Die zeigen meist das Gegenteil dessen, was Polizeizeugen aussagen. Konfrontiert mit den Videos, würden ihre Aussagen massiv in Zweifel gezogen oder sogar Ermittlungen wegen strafbarer Falschaussagen eingeleitet werden. Das passiert nicht.

Es erstaunt nicht, wenn sich der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Felix von Grünberg gegenüber dem »nd« entsetzt zeigt. Er sagte selbst als Zeuge aus, da er das Referendum beobachtet hat. Er war »tief beeindruckt« von der »eisernen Disziplin« und der »Friedfertigkeit« der Katalanen. Er sieht »in einer Unabhängigkeit Kataloniens kein Heilmittel. Es muss eine demokratische Lösung her, womit die eigentlichen Ursachen bekämpft werden können.«

Schärfere Worte finden die Bundestagsabgeordneten der LINKEN nach der Prozessbeobachtung. Zaklin Nastic und Diether Dehm sprechen von einem »Schauprozess«, man werde »Zeuge einer Schmierenkomödie«. Für Dehm handelt es sich um »ein Stück aus dem Tollhaus«. Er spricht von weitgehend »gestanzten« und »identischen« Aussagen der Polizei. Er ist bestürzt, dass dem Richter von einem Nebenkläger der rechtsextremen »VOX-Partei assistiert« wird und dass die deutsche Öffentlichkeit das Wiederauferstehen des Geistes von Diktator Franco kaum zur Kenntnis nehme.

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