Die »anwesende Abwesenheit« der Rechtsextremen

Jordi Borràs über den Aufstieg der rechtsextremen VOX auf Kosten der konservativen Volkspartei und der rechtsliberalen Bürgerplattform

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie würden Sie den Chef der aufsteigenden VOX- Partei einstufen?

Santiago Abascal zeigt sich bei öffentlichen Auftritten nicht als klarer Franquist, obwohl er einer ist, wie alle in dieser Partei. Und es ist falsch, dass mit VOX angeblich erstmals Rechtsextreme in ein Parlament eingezogen sind: Wer das behauptet, weiß nicht, wie Rechtsextreme hier funktionieren. Spezialisten wie Xavier Casals, Professor an der Universität Ramon Llull, spricht von ihrer »anwesenden Abwesenheit«. Auch wenn Rechtsextreme nicht in Form einer großen Partei repräsentiert waren, wurden ihre Vorstellungen über konservative Parteien wie der Volkspartei (PP) repräsentiert. Sie waren so schon fähig, die politische und juristische Tagesordnung mitzubestimmen.

Jordi Borràs
Der katalanische Fotojournalist und Journalist Jordi Borràs fokussiert seine Arbeit besonders auf rechtsextreme Gruppen und Organisationen, sowohl in der Region Katalonien als auch im spanischen Staat, sowie auf ihre Netzwerke und Verbindungen in Europa. Über die spanische Rechte und ihre Parteien sprach mit ihm für »nd« Ralf Streck

In welchen Formen geschah das?

Neben der Beeinflussung der Parteien hat VOX auch massiven Einfluss auf die Justiz über ständig neue Anzeigen genommen. Sie tritt als Nebenkläger in vielen Verfahren auf, wie auch in dem wegen angeblicher Rebellion gegen katalanische Politiker.

Wie kam es zu dem massiven Zuwachs bei den Wahlen im Dezember 2018 in Andalusien?

Das Phänomen ist dem sehr ähnlich, das die PP mit den rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) zuvor erlebt hat. Als die Cs aufgetaucht sind, gingen Kader, Mitglieder und Wähler von der PP zu den Cs über. Und heute sieht man, wie sich viele in Richtung VOX bewegen. Die Rechtsextremen konnten über die anwesende Abwesenheit das Zentrum immer weiter nach rechts verschieben. Nun fordern sogar schon führende Sozialdemokraten, katalanische Unabhängigkeitsparteien zu verbieten. Ihr großer Erfolg ist, dass es ihnen auch ohne große Partei bisher gelungen ist, ihre Ideen durchzusetzen, die die Politik und die Medien dieses Landes bestimmen.

Wie sind die Verhältnisse zwischen PP, Cs und VOX? Kann man Cs und VOX als Abspaltung der PP bezeichnen?

Schauen wir uns die Parteiführer an: Santiago Abascal war PP-Mitglied, auch Cs-Chef Albert Rivera war PP-Mitglied, obwohl er das bestreitet. Eine Zeitung hat aber die Mitgliedsurkunde von Rivera in der PP-Jugend veröffentlicht. Ich habe Dokumente veröffentlicht, die belegen, dass Josep Bou Vila, PP-Kandidat für das Bürgermeisteramt in Barcelona, 1978 Mitglied der rechtsextremen Fuerza Nueva war. Die drei Parteien gehen aus dem gleichen Stamm hervor und kommen nicht aus einer christdemokratisch-liberalen Rechten. Sie kommen aus einer franquistischen Tradition. Das ist die Realität. Es gibt zum Beispiel zur baskischen oder katalanischen Rechten einen klaren Unterschied: Das waren Anti-Franquisten.

Die Cs nennen sich »liberal«, sind aber dabei, der PP rechts den Rang abzulaufen und sich nicht vor Bündnissen mit VOX scheuen. Wer steht hinter dieser Partei?

Geboren wurde sie in Katalonien. Sie entstammt einem Sektor aus frustrierten spanischen Nationalisten, der Sozialdemokratie (PSOE), der PP, aber auch aus der extremen Rechten. Zunächst ging sie gegen die katalanische Sprache vor. Ihr größtes Anliegen war, dass die Kinder in der Schule in spanischer statt in katalanischer Sprache unterrichtet werden. Das war 2006. Erst ab 2015 machte die Partei den Sprung nach Spanien, da sie von einigen faktischen Mächten im Land gefördert wurden. Das war eine Antwort von rechts auf das linke Phänomen Podemos. Geplant war aber keine Rechtspartei, sondern eine Zentrumspartei.

Dass es die Cs gibt, gefällt einigen in der PP, ja sogar in der PSOE. Bekannt ist, dass Alfonso Guerra, ehemaliger PSOE-Vizepräsident, Rivera mit Miguel Rodríguez von Festina bekannt gemacht hat. Ein sozialdemokratischer Regionalfürst hat für die Finanzierung der ersten nationalen Wahlkampagne der Cs gesorgt, die in Katalonien seiner Partei viele Stimmen abgenommen hat.

Dazu ist bedeutsam, wie eine Partei wie die Cs - oder jetzt auch VOX - von großen Medien gefördert wird. Nun wird sogar der VOX-Chef Abascal - ein Anti-Demokrat - zu Debatten eingeladen, als wäre er ein normaler Politiker. So wurde zuvor schon Rivera groß gemacht, während andere dort nicht auftauchen.

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