Der Sechskantschlüssel zur Stadt

Adbuster verändern Werbeplakate, um Gesellschaftskritik zu leisten.

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 7 Min.

Thimo Schuster und Toni Greiff stehen in einem dunklen Hauseingang in Berlin-Kreuzberg. Sie tragen einfache Arbeitskleidung, fallen nicht weiter auf. Es ist einer der ersten warmen Abende in diesem Jahr. Passanten strömen an ihnen vorbei, einige mit Einkaufsbeuteln in der Hand, noch mehr tragen Bierflaschen, man hört Lachen und quirlige Gespräche. »Warnwesten sind eine Art Zaubermantel«, sagt Schuster. »Die legitimieren so gut wie jede Handlung in der Öffentlichkeit.« Und dann geht es los. Der 29-Jährige zieht sich eine orangefarbene Weste mit zwei silbernen Querstreifen über, sein 27-jähriger Begleiter ebenso. Greiff und Schuster, so stellen sie sich vor, setzen sich schwarze Basecaps auf die Köpfe und ziehen sie tief nach unten. Kapuzen auf den Mützen lassen in der anbrechenden Dunkelheit noch weniger von ihren Gesichtern erkennen. Ein letzter Blick auf die Uhr. Jetzt langsam laufen. Souveränität ausstrahlen, als sei man im offiziellen Auftrag unterwegs.

Nach einigen Metern erreichen die beiden eine kleine Kreuzung an der Kohlfurter Straße. Hier gibt es Architektenbüros, ein Künstlerhaus, hippe Restaurants. An einer beleuchteten Bushaltestelle bleiben sie stehen. Greiff kniet sich auf den Boden und inspiziert die Beschaffenheit der Glasvitrinen. Eine Minute. Er hat gefunden, wonach er gesucht hat. Aus der Bauchtasche holt er einen bearbeiteten Sechskant-Rohrsteckschlüssel heraus und setzt ihn an den versteckten Drehverschluss der Werbevitrine an. »Einige der Tafeln haben Flügelschrauben, hier muss man in die Schlüssel noch entsprechende Schlitze reinsägen«, erklärt Greiff. In einer Fahrradwerkstatt könne man das problemlos machen, fügt er grinsend hinzu. Während Greiff die Schrauben löst, steht Schuster neben ihm und beobachtet die Umgebung. Buspassagiere sind bisher an der Haltestelle keine zu sehen, die Passanten interessieren sich kaum für sie. »Die Leute schnallen es nicht«, sagt Schuster. »Es sieht zu normal und routiniert aus.«

Zwei Minuten. Die Schraube ist ab, das abdeckende Glasfenster klappt auf. Greiff löst das alte Plakat von einer Verankerung, rollt es ein und versteckt es im geräumigen Kasten des Schaufensters. Schuster holt aus einer mitgebrachten Papierrolle ein neues Plakat heraus und übergibt es an Greiff. Dieser legt die obere Kante des selbstklebenden Papiers auf die obere Kante des Schaufensters auf. Langsam rollt er dann das Plakat hinunter und streicht es glatt. Alles passt perfekt. In aller Ruhe schließt Greiff wieder die Glasabdeckung. Die Schraube wird mit zügigen, geschickten Griffen in ihre Halterung zurückgesetzt. Schuster und sein Mitstreiter werfen zufrieden einen letzten Blick auf ihr Werk. Sie nicken sich zu, sind schon wieder in der Dunkelheit verschwunden. Drei Minuten.

Bundeswehr-Outing

Auf der manipulierten Schautafel ist nun das bekannte Werbemotiv einer Bundeswehr-Serie über das Kommando Spezialkräfte (KSK) zu erkennen. Ein muskulöser, tätowierter Mann mit verschränkten Armen schaut inmitten von zwei maskierten Elitekämpfern entschlossen in Richtung Fußgänger. Doch etwas ist anders als im Original. Die Augen des Mannes sind verdreht, über seinem Kopf ist eine Sprechblase angebracht. »Kein Bock auf Bundeswehr-Werbung? - Crossmedia schon - Hier ums Eck«, steht darauf. Auf wen bezieht sich die Anspielung? Die Agentur Crossmedia ist gemeinsam mit der Partneragentur Castenow seit einigen Jahren verantwortlich für die Werbekampagnen der Bundeswehr. Crossmedia produzierte in diesem Rahmen verschiedene Webserien, darunter die Reihe »KSK - kämpfe nie für dich allein«. Vor allem Jugendliche will man mit den Formaten erreichen. Was viele nicht wissen: Die Agentur Crossmedia hat gerade im linksliberalen Kreuzberg eines ihrer Büros. Nur knapp hinter der eben veränderten Bushaltestelle.

»Die Arschlöcher sollen sich rechtfertigen müssen«, sagt Schuster. Auch wenn die Bundeswehr sich nun als familienfreundlicher Arbeitgeber inszeniere, bei dem man »Abenteuer« erleben und »Verantwortung« übernehme könne, ändert das aus Sicht des Aktivisten nichts an ihrer grundlegenden Funktion: »Krieg bleibt Krieg«. Greiff und Schuster sind mittlerweile bei der nächsten Bushaltestelle angekommen und wiederholen dort die gleichen Handgriffe. »Den Mitarbeitern soll es unangenehm werden, dort zu arbeiten«, sagt Greiff. Die originalen Bundeswehr-Plakate hatten die Aktivisten einige Monate zuvor aus Schaufenstern entwendet, um sie bearbeiten zu können.

Frustriert von Demos

Schuster und sein Mitstreiter sind sogenannte Adbuster. Die Bezeichnung steht für Menschen, die Werbeflächen im öffentlichen Raum verändern. Beide sind Teil einer rund 15-köpfigen Berliner Gruppe, die Altersspanne reicht von 18 bis 40 Jahren. »Demos oder Transparente erreichen oft nur die gleichen Leute«, erklärt Greiff. »Die Frustration darüber hat uns kreativ werden lassen.« Sie suchen gemeinsam eine Kampagne, überlegen sich ein neues Layout, basteln die veränderten Plakate. Je nach Anlass und Anspruch kann die Vorbereitung mal ein paar Tage und mal ein paar Monate dauern.

Ein Passant im Trainingsanzug hat derweil bemerkt, dass die beiden Warnwestenträger offenbar nicht im offiziellen Auftrag unterwegs sind. Er schmunzelt und wartet einige Sekunden, um zu sehen, was auf dem neuen Plakat zum Vorschein kommt.

Irritieren um zu verändern

Die Idee hinter Adbusting ist vor allem Irritation. »Irgendetwas ist anders, die Erwartungen an das Gesehene werden nicht erfüllt, sei es aufgrund der Form oder des Inhalts«, erklärt Schuster. Die dadurch gewonnene Aufmerksamkeit könne man dann nutzen, um die eigene Botschaft zu setzen. »Die Irritation soll dazu führen, dass sich die Leute Gedanken machen - ein Schritt in Richtung Veränderung.« Doch auch Konzerne und Institutionen greifen mittlerweile einen verspielten Umgang mit Sprache und Bildern auf. Einige geben sich in ihrer Außendarstellung bewusst selbstironisch, verspielt und vermeintlich subversiv. Sie provozieren, um im Aufmerksamkeitswettstreit nicht zu unterliegen. Kann sich die Kraft von Adbusting durch professionelles Guerilla-Marketing abnutzen?

Extreme Rechte haben die Protestform ebenfalls für sich entdeckt. Die »Identitäre Bewegung« hatte am Donnerstag in Berlin Plakate in Vitrinen gehangen, die Geflüchtete zur Rückkehr nach Syrien aufforderten. »Die Aktionsform an sich bedeutet noch nicht, dass sie emanzipatorisch ist«, sagt Schuster. »Adbusting ist nur ein Werkzeug, die kritischen Inhalte unterscheiden uns von den Rechten.« Der Passant, der beim Auswechseln des Plakates zugeschaut hat, nickt zufrieden und geht seines Weges.

Für linke Adbuster ergibt sich eine weitere Herausforderung: Die PR-Experten großer Konzerne oder Institutionen reagieren mittlerweile betont gelassen auf die Verfremdungen ihrer Kampagnen. Bundeswehr-Oberstleutnant Marcel Bohnert beispielsweise, ehemals Projektleiter der Bundeswehr-Webserien, sammelt auf seinem Instagram-Account regelmäßig Bilder von Werbetafeln, die von Militärgegnern verändert wurden. »Danke für die Plakatumgestaltung ihr Scherzkekse - damit verschafft ihr uns eine Menge zusätzlicher Aufmerksamkeit«, schreibt er dann. Als 2015 die Fassade einer Berliner Rekrutierungsstelle der Bundeswehr mit blutroter Farbe beschmiert wurde, brachten Soldaten daneben ein Poster mit dem Slogan »Wir kämpfen dafür, dass Du gegen uns sein kannst« an. Greiff ist jedoch davon überzeugt, dass diese Gegenstrategie nicht immer aufgeht. »Eine radikale Kritik macht die Wiederaneignung unserer Aktion unmöglich.«

Öffentlichen Raum aneignen

Für die Aktivisten bedeutet Adbusting auch, die Machtverhältnisse im öffentlichen Raum zu thematisieren. »Leute mit viel Geld haben einen einfacheren Zugang zu Außenwänden und Werbeflächen als Menschen, die kein oder wenig Geld haben«, sagt Schuster. Dadurch werde auch selektiert, wem man zuhöre und wem nicht. »Mit Hilfe eines kleines Schlüssels aus dem Baumarkt umgehen wir diese Macht.« Die von immer mehr Städten diskutierte Option, Werbung auf öffentlichen Plätzen ganz zu verbieten, lehnt die Adbustinggruppe ab. »Wir freuen uns eher, dass vor jedem halbwegs wichtigem Gebäude in Berlin eine Tafel steht, die nur auf uns wartet.« Der Sechskant-Schlüssel passt diesmal bei der Werbevitrine nicht in die Fassung. Vermutlich die falsche Größe. Greiff knirscht mit den Zähnen. Nach fünf Minuten Probieren brechen sie den Versuch ab. Weiter zur nächsten Haltestelle.

Laut der jüngst im Selbstverlag erschienenen Broschüre »Adbusting - Veränderte Werbung als Gesellschaftskritik?« des »Berliner Buster’s Social Club« wurden bisher nur wenige Adbuster verurteilt. Plakatierer, die Werbung verfremden, würden eher selten erwischt, Verfahren in der Regel eingestellt. Nichtsdestotrotz heißt es im Strafgesetzbuch zum Thema Sachbeschädigung: »Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.«

Ob die Aktionen ihnen einen Kick verschaffen? Schuster muss lachen. »Natürlich ist man jedes Mal voller Adrenalin. Und man freut sich, wenn es gut gegangen ist.«

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