- Politik
- Libyen
Vom Wahnsinn des Krieges
Die aktuellen Kämpfe in Libyen stellen alle bisherigen Allianzen auf die Probe
Es ist eine Geschichte wie aus einem Agentenfilm. Elf bewaffnete Europäer verschiedener Nationalitäten sind aus Libyen auf zwei motorisierten Schlauchboot in tunesische Gewässern eingedrungen und haben versucht, die Insel Djerba zu erreichen. Dort wurden sie von der tunesischen Küstenwache festgenommen. Genaue Details wurden von der Regierung nicht bekannt gegeben. Der tunesische Verteidigungsminister Abdelkarim Zbidi bestätigte lediglich: »Elf Staatsbürger diverser europäischer Staaten sind bei der tunesischen Insel Djerba festgenommen, entwaffnet und der Nationalgarde übergeben worden.« Den weiteren Umgang mit den Festgenommenen ließ er offen.
Außerdem wurden vergangene Woche 13 französische Staatsbürger festgenommen, als sie versuchten, die Grenze zu überqueren: Allesamt sollen sie im Besitz diplomatischer Pässe und Schusswaffen gewesen sein. Auch diesen Vorfall bestätige Zbidi, die 13 sollen jedoch nach ihrer Entwaffnung und vorläufigen Festnahme zum Flughafen gebracht worden sein und befinden sich wieder in Frankreich.
In der libyschen Hauptstadt Tripolis kam es deshalb zu spontanen Demonstrationen. Die Teilnehmer forderten ein sofortiges Ende jeglicher ausländischen Einmischung in den Konflikt. In Libyen begann der General Khalifa Haftar vor circa vier Wochen eine Offensive auf die Hauptstadt Tripolis und die dortige Nationale Einheitsregierung, die von der UN anerkannt und von der EU unterstützt wird. Es ginge dem General darum, Libyen von jeglichen »Terroristen« zu befreien. Wer genau gemeint ist, erläuterte er nicht. Er selbst unterstützt eine Parallelregierung mit Sitz in Tobruk, einer Stadt im Osten des Landes.
Doch die Lage ist weitaus komplizierter. Die Truppen beider Seiten bestehen nicht aus Armeen mit klarer Hierarchie, sondern aus Dutzende Milizen, die allesamt eigene Interessen verfolgen. General Haftar erhält offiziell Rückendeckung aus Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten; die Nationale Einheitsregierung unter Ministerpräsident Fayez al-Sarradsch von Europa und der UN. Doch ein veröffentlichter investigativer Bericht des US-amerikanischen Medienportals Bloomberg von vergangener Woche enthüllte eine brisante Kehrtwendung: Angeblich soll der US-amerikanische Präsident Donald Trump in einem Telefongespräch mit General Haftar diesem seinen Zuspruch für die derzeitige Offensive mitgeteilt haben - sehr zur Verwunderung seiner Verbündeten in Europa, aber auch in den USA. Der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte hatte letztens in einem Brief an den Kongress vor der Lage in Libyen im Allgemeinen und vor Haftar im speziellen gewarnt. Er schrieb aus heutiger Sicht ironischerweise: »In Libyen können sich Allianzen ohne Vorwarnung ändern.«
Donald Trump lobte Haftar, der zudem die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, ausdrücklich, insbesondere dessen »signifikante Rolle im Kampf gegen den Terrorismus« - dies ist der Grund, den Haftar nennt, um die von der UN anerkannte Regierung anzugreifen. In diese durchaus wirre und verzwickte diplomatische Situation passen die Vorkommnisse mit den Dutzenden Europäern wie die Faust aufs Auge. Bislang gibt es zwei verschiedene Versionen über den Grund, weshalb sich die bewaffneten Inhaber diplomatischer Pässe in Libyen aufhielten.
Die libysche Nationale Einheitsregierung, die offiziell von Frankreich unterstützt wird, wirft den Männern vor, sie würden für den verfeindeten General Haftar arbeiten. Sie seien militärische Spezialisten, welche vom Luftwaffenstützpunkt al-Watiya aus die Libysche Nationalarmee LNA unterstützt hätten, so berichteten es Regierungsquellen dem arabischen Sender Al-Jazeera.
Die französische Regierung behauptet, die 13 Männer hätten zum offiziellen Wachpersonal der Botschaft in Tripolis gehört. Auch daran sind Zweifel berechtigt, denn diese ist zurzeit geschlossen. Obwohl die Wahrheit derzeit nicht zu bestimmen ist, eines scheint jetzt schon klar: In Libyen ist mächtig was los. Der Krieg stellt jegliche bisherigen Allianzen auf die Probe. Das größte Leid trägt nach wie vor die Bevölkerung. Über 30 000 Menschen befinden sich vor den aktuellen Kämpfen auf der Flucht. Die Frontlinie verläuft mittlerweile durch die Vororte von Tripolis.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.