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Studie: Mehrheit der Geflüchteten will heimisch werden
Thüringen hat als erstes Bundesland Flüchtlinge über ihre Situation, ihre Einstellungen, Erwartungen und Erfahrungen befragen lassen
Erfurt. Die Mehrheit der Geflüchteten in Thüringen will sich integrieren, aber die eigene Kultur nicht verleugnen, will arbeiten und hat ein hohes Vertrauen in Polizei und Bundesregierung: Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie zu Einstellungen, Erwartungen und Erfahrungen von seit 2013 in Thüringen angekommenen Geflüchteten, die am Dienstag in Erfurt vorgelegt wurde. Sie wurde im Auftrag der Landesregierung von Wissenschaftlern der Schiller-Universität Jena erarbeitet. Danach wollen sich 92 Prozent der Geflüchteten in die Gesellschaft integrieren.
Eine Mehrheit von 80 Prozent möchte die deutsche Kultur übernehmen, gleichzeitig aber die Kultur des Heimatlandes bewahren. Zwölf Prozent der Geflüchteten wolle sich assimilieren - unter Aufgabe der Herkunftskultur, sagte der Jenaer Professor Andreas Beelmann. Sein Team hatte 906 Geflüchtete im Alter von 18 bis 68 Jahren im Zeitraum von März bis Oktober 2018 befragt. Die Mehrzahl der Befragten kommt aus Syrien (49 Prozent) und Afghanistan (27 Prozent). Insgesamt wurden Menschen aus 19 Ländern einbezogen.
Die Befragung hätte auch problematische Ergebnisse gezeigt. Etwa die Hälfte der Befragten würde die Vorstellungen von Gleichberechtigung, wie sie in Deutschland und Europa gelten, nicht teilen.
Thüringen sei das erste Bundesland, das eine solche Befragung in Auftrag gegeben habe, sagte Thüringens Migrationsbeauftragte Mirjam Kruppa. Die Ergebnisse könnten helfen, Integration voranzubringen, sagte Migrationsminister Dieter Lauinger (Grüne). Nichts sei dabei wichtiger als der Erwerb der deutschen Sprache, zeige auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, sagte Lauinger.
Laut Befragung suchen 88 Prozent der Geflüchteten aktiv nach einer Arbeit. 20 Prozent seien bereits erwerbstätig, ein Drittel absolviere ein Praktikum oder eine Ausbildung. Lauinger: »Die berufliche Integration scheitert nicht, sie braucht Zeit.« Zwei bis vier Jahre würden im Schnitt vergehen, bis Geflüchtete das Sprachniveau hätten, das sie für eine feste Anstellung brauchten.
Nach Erfahrungen der Landesarbeitsagentur werden Flüchtlinge zwar häufig vermittelt, aber oft nicht lange beschäftigt, weil die Verständigung schwer falle. Die vielfach kleinen Firmen in Thüringen seien nicht in der Lage, Betreuer abzustellen, sagte Arnulf Becker von der Landesarbeitsagentur. Bei der Frage nach erfahrenen Diskriminierungen rangieren Wohnungs- und Arbeitssuche bei den Befragten vorn. Nur 40 Prozent gaben an, in diesen Bereichen keine Diskriminierungserfahrungen gesammelt zu haben.
Bei den Institutionen, denen Flüchtlinge vertrauen, rangierte die Polizei an erster Stelle mit rund 84 Prozent Zustimmung. Die Bundesregierung kam auf rund 80 Prozent, die Gerichte auf 75 Prozent, Sozialarbeiter sowie Hausleitungen von Gemeinschaftsunterkünften aber nur auf 61 beziehungsweise 51 Prozent.
Die Befragung ergab auch, dass mit 41 Prozent nur eine Minderheit der Geflüchteten die Zukunft in Thüringen sieht. 39 Prozent von ihnen wollen in ein anderes Bundesland, 20 Prozent in die Heimat zurück und 6 Prozent in ein anderes Land. »Die Menschen vermissen soziale Kontakte«, sagte Beelmann. dpa/nd
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