Höchste Anspannung in Caracas

In Venezuela ruft Guaidó das Militär zur Meuterei auf, nur wenige Streitkräfte laufen über

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Video hatte es in sich: Um sechs Uhr morgens Ortszeit des 30. April zeigte sich der venezolanische Oppositionsführer Juan Guaidó auf Twitter umringt von Soldaten und verkündete die Aktivierung der »Operación Libertad« (»Operation Freiheit«), um die »Usurpation« des Präsidentenamtes durch Nicolás Maduro zu beenden. Er rief das übrige Militär zum Überlaufen auf und bat seine Anhänger*innen, sich zum Luftwaffenstützpunkt La Carlota im Osten von Caracas zu begeben.

In dem Video rechts hinter ihm stand der frühere Oppositionsführer Leopoldo López, den die Opposition bis dahin als den prominentesten politischen Gefangenen des Landes ansah. Er gilt als Mastermind hinter Guaidó und führte bis zu seiner Verhaftung im Februar 2014 dessen Partei Voluntad Popular an. Wegen seiner Rolle bei den gewalttätigen Straßenprotesten Anfang 2014 war López in einem umstrittenen Verfahren zu fast 14 Jahren Gefängnis verurteilt worden, die er seit Mitte 2017 im Hausarrest absaß. Offenbar mit Hilfe seiner Bewacher war López in der Nacht aus seinem Haus entkommen.

Die Aktion fand genau einen Tag vor der für den 1. Mai geplanten Großdemonstration statt, die Guaidó als die größte »in der Geschichte Venezuelas« angekündigt hat. Der venezolanische Oppositionsführer versucht somit einmal mehr, den durch seine Selbstausrufung zum Interimspräsident am 23. Januar eskalierten Machtkampf für sich zu entscheiden. Doch schnell zeigte sich, dass Guaidó nur eine kleine Gruppe von Soldaten für sich gewinnen konnten, mit denen er den Autobahnverteiler Altamira außerhalb des Militärstützpunktes blockierte. Einige der Soldaten zogen sich später zurück und gaben an, von ihren Vorgesetzten aus der Kaserne beordert worden zu sein, ohne zu wissen, dass es sich um einen Einsatz unter der Leitung Guaidós handelte. Im Laufe des Tages trafen dort einige Tausend Personen ein, teilweise kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit staatlichen Sicherheitskräften. Laut der venezolanischen Menschenrechtsorganisation Provea wurden 60 Personen verletzt.

Lokale Proteste gab es auch an anderen Orten Venezuelas, der große Aufstand blieb zunächst jedoch genau so aus wie das erhoffte Umschwenken des Militärs. Verteidigungsminister Vladimir Padrino stellte sich einmal mehr hinter Präsident Nicolás Maduro und versicherte, im Militär sei landesweit alles ruhig. Maduro bekräftigte, sämtliche Kommandanten hätten ihm ihre »absolute Loyalität« versichert. Vor dem Präsidentenpalast Miraflores im Westen von Caracas versammelten sich Tausende Anhänger*innen, um Maduro gegen den von der Regierung als »Putschversuch« gewerteten Vorfall zu schützen.

Vertreter der US-Regierung unterstützten das Vorgehen Guaidós. John Bolton, der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump drohte dem venezolanischen Verteidigungsminister, dies sei die »letzte Chance«, die Seiten zu wechseln. Außenminister Mike Pompeo behauptete in einem Fernsehinterview, Maduro habe in einem bereits bereitgestellten Flugzeug das Land in Richtung Kuba verlassen wollen, sei von der russischen Regierung jedoch davon abgehalten worden. Auch andere Regierungen, die sich im Machtkampf früh hinter Guaidó gestellt hatten, stärkten diesem den Rücken. Der Tag endete damit, dass Guaidó untertauchte und Leopoldo López mit seiner Familie Zuflucht in der spanischen Botschaft suchte. 25 an dem Putschversuch beteiligte Soldaten flüchteten in die brasilianische Botschaft. Die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation ist aber nicht gebannt.

Am Abend veröffentlichte Guaidó ein weiteres Video, in dem er zur Teilnahme an der Großdemonstration am 1. Mai aufrief und versicherte, dass Maduro »nicht die Unterstützung der Streitkräfte« habe. Präsident Maduro wendete sich in einer Fernsehansprache am Abend an die Bevölkerung. Er warf den Strippenziehern des Putschversuchs vor, ein »Massaker« provozieren zu wollen und sagte, diese Aktionen könnten »nicht straffrei« bleiben. Seine Anhänger*innen rief er zur »massiven Teilnahme« an der chavistischen 1. Mai-Demonstration auf, um »den Frieden zu bewahren«.

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