- Politik
- Zentrale Mai-Kundgebung des DGB
Trommeln für »Europa«
DGB-Chef fordert in Leipzig Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West
Vor Reiner kam Rainer und blies zur Revolution. »Rainer von Vielen« heißt die Band, die den Leipziger Markt beschallte, bevor dort auf der zentralen Maikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) dessen Bundesvorsitzender Reiner Hoffmann sprach. Die Musiker aus dem Allgäu nutzen Akkordeon und Gitarre, um Haltung zu zeigen: »Tanz deine Revolution!«, heißt ein Titel, mit dem sie den rund 2000 versammelten Gewerkschaftern einheizten.
Auch Hoffmann forderte Haltung, und zwar bei der Wahl des EU-Parlaments. Die Abstimmung und der bei dieser zu befürchtende Rechtsruck setzten das Motto für die diesjährigen Veranstaltungen der Gewerkschaften zum 1. Mai: »Europa - jetzt aber richtig«. Hoffmann nannte es unerträglich, dass »völkische Nationalisten« zunehmend in Parlamenten präsent seien: »Sie sind die Totengräber eines weltoffenen, solidarischen Europas«. Bei der Wahl am 26. Mai müssten sie deshalb »in die Schranken gewiesen« werden. Der DGB wirbt für hohe Beteiligung an der Abstimmung und eine starke »demokratische Mehrheit« im EU-Parlament, gibt aber keine Empfehlungen für Parteien ab.
Hoffmann räumte ein, dass es um das Ansehen der EU nicht zum Besten steht. »Läuft etwas schief, war es Europa«, sagte er. Politische Erfolge verbuche dagegen die nationale Politik für sich. Das müsse sich ändern: »Nehmen wir wahr, wo Europa wirkt!« Er verwies aber auch auf fortbestehende Defizite bei der EU-weiten Regelung von Arbeitsbedingungen, etwa im Transportgewerbe. Nötig sei ein »Rahmen für europäische Mindestlöhne«. Auch öffentliche Aufträge dürften in der Union nicht mehr an nicht tarifgebundene Unternehmen vergeben werden.
Damit hapert es freilich nicht nur in Europa, sondern auch in der Bundesrepublik und in Sachsen, wo es die SPD in fünf Regierungsjahren nicht vermocht hat, eine Überarbeitung des Vergabegesetzes gegenüber dem Koalitionspartner CDU durchzusetzen. Damit fehlt eine wichtige Voraussetzung, um mindestens mit öffentlichen Aufträgen die von Hoffmann beklagte Tarifflucht von immer mehr Unternehmen zu bekämpfen. Diese sei gerade in Ostdeutschland zum »Volkssport der Kapitalisten« geworden, sagte der DGB-Chef. Dort erhielten nur 44 Prozent der Beschäftigten Tariflöhne, im Westen seien es 57 Prozent. Auch bei der Arbeitszeit gibt es weiterhin deutliche Unterschiede. Der Kampf um die 35-Stunden-Woche müsse »endlich auch im Osten gewonnen werden«, sagte Hoffmann; die Ost-West-Angleichung bei den Lebensverhältnissen sei knapp 30 Jahre nach der deutschen Vereinigung »überfällig«.
Leipzig sei immerhin ein gutes Pflaster, um solche Kämpfe zu gewinnen, sagte Bernd Kruppa, der 1. Bevollmächtigte der IG Metall in der Region. Er verwies auf die Kampagne seiner Gewerkschaft im BMW-Werk im Norden der Stadt zum Thema Arbeitszeit. Im Demonstrationszug, der vom traditionsreichen Leipziger Gewerkschaftshaus zum Markt führte, fragten BMW-Beschäftigte mit einem Transparent, warum Ostmetaller pro Jahr einen Monat länger arbeiten müssen als die Kollegen im Westen. Auch andere regionale Arbeitskämpfe der jüngeren Zeit wurden auf Plakaten in Erinnerung gerufen, darunter die erfolgreichen Kampagnen gegen die Schließung des Siemens-Werkes in Leipzig-Plagwitz sowie von Halberg Guss, wo die Metaller mit einem wochenlangen Arbeitskampf Hunderte Arbeitsplätze retteten.
Weniger spektakulär, aber für die Beschäftigten nicht minder wichtig sei die Durchsetzung von Tarifverträgen in Logistikunternehmen der Region gewesen, betonte Kruppa. Man habe es geschafft, eine »Kultur des Widerstands« zu etablieren. Der kämpferische Kurs führe auch dazu, dass der ansonsten verbreitete Mitgliederschwund in der Leipziger IG Metall kein Thema sei; vielmehr habe sich deren Zahl verdoppelt. Dass der DGB nun seine zentrale Kundgebung in Leipzig abhalte, sehe man auch »als eine Art Auszeichnung« für die jüngsten Erfolge, sagt Kruppa.
Die größte DGB-Gewerkschaft hielt ihre Maikundgebung am Mittwoch in Bremen ab. Dort forderte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann vor 5000 Teilnehmern eine »Europapolitik im Interesse der Beschäftigten«. Soziale Spaltung sei die Ursache für den Aufstieg von Rechtspopulisten in der EU: »In vielen Ländern ist ein Großteil der Jugendlichen arbeitslos, jedem fünften Bürger in der EU geht es materiell schlecht.« Für Deutschland forderte Hofmann eine soziale Abfederung des »ökologischen Umbaus« der Automobilindustrie. Denn durch die Umstellung auf Elektroantriebe könnten bis zu 150 000 Arbeitsplätze wegfallen.
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