- Politik
- Wolfgang Zarnack
»Aufstehen« ist sehr lebendig
Wolfgang Zarnack über die Sammlungsbewegung und warum Aufgeben keine Alternative zu Aufstehen ist
Wie lange sind Sie bei »Aufstehen«?
Von Anfang an, also seit August letzten Jahres. Fabio De Masi von der LINKEN hatte mich im Sommer angesprochen, ob ich das Projekt unterstütze. Das tat ich gerne, und das tue ich bis heute.
Bisher ist der Aufstand von »Aufstehen« ausgeblieben. Sahra Wagenknecht zog sich zurück. Viele haben sich enttäuscht abgewandt. Was hält Sie bei der Stange?
Viele kommen aber immer noch dazu. Es hat sich ja an den Bedingungen nichts geändert. Ich bin absolut überzeugt davon, dass diese Gesellschaft Bewegung von unten dringend nötig hat. Außerdem hätte ich nicht gedacht, dass es mich so packen würde, mit Gleichgesinnten zusammenzuarbeiten. Vorher fühlte ich mich politisch eher isoliert, denn Mitglied einer Partei wollte ich nicht werden.
Sie sind nicht enttäuscht davon, wie es bisher gelaufen ist? Der Vorstand von »Aufstehen« hat sich aufgelöst, die öffentliche Aufmerksamkeit lässt nach. Einige haben die Bewegung schon für tot erklärt.
Allenfalls die Euphorie vom Anfang hat nachgelassen. Nicht die Überzeugung, dass es notwendig ist zu tun, was wir tun. Der Vorstand hatte sich aufgerieben in organisatorischen Fragen, Fehler wurden gemacht. Große Dinge wurden angekündigt, wenig davon ist umgesetzt. Aber »Aufstehen« lebt. Wir sind bei der Vernetzung unserer Arbeit. Alle ziehen jetzt an einem Strang. Der Trägerverein macht allerdings auch die Arbeit, die irgendwann ein eigener Vorstand erledigen soll. Das heißt, wir entfalten derzeit vielleicht nicht unsere höchste Strahlkraft, aber so etwas muss von unten wachsen.
Am vergangenen Wochenende gab es in Berlin einen Kongress der Bewegung. Welchen Stellenwert hatte der?
Er diente dieser Vernetzung. Und der politischen Debatte. Ich empfand ihn als extrem ermutigend. Wer ihn erlebt hat, weiß, dass »Aufstehen« sehr lebendig ist.
Was ist herausgekommen – außer moralischer Erbauung?
Man kann sich nur formieren, wenn man sich trifft und austauscht. Der Kongress hat gezeigt, dass die Berliner Mitglieder gut aufgestellt sind. In sieben Workshops wurde inhaltlich an den Themen gearbeitet, die uns wichtig sind. Die Ergebnisse werden auf der Homepage des Berliner »Aufstehen« nachlesbar sein.
Sahra Wagenknecht war für viele Menschen Grund, sich der Bewegung anzuschließen. Am Kongress in Berlin nahm sie nicht teil. Reicht Ihnen die Videobotschaft von ihr, die abgespielt wurde?
Ich finde gut, dass sie uns eine Botschaft geschickt hat. Ich finde es aber auch gut, wenn sich nicht alle Aufmerksamkeit auf Prominente, erst recht nicht auf eine Person, fokussiert. Sahra Wagenknecht war für viele ein Grund sich anzuschließen, das stimmt. Und sie unterstützt uns nach wie vor. Aber es hilft uns nicht, wenn wir von Promis abhängig sind. Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren, darauf, was wir politisch wollen. Persönlich habe ich sie als sehr angenehme, kluge Frau kennengelernt. Ihr Rückzug zeigt aber auch, was mit Menschen geschehen kann, wenn zu viele an ihnen zerren.
Das große Pfund von »Aufstehen« war seine Massenbasis. Dass man unabhängig von Parteien spontan agieren kann. Es wurde aber nicht genutzt. Wie soll sich das ändern?
Vor Ort sichtbar sein, das ist das Einzige, was wir tun können. Wir arbeiten an unserer Infrastruktur. Ich finde inhaltliche Diskussionen wichtig. Aber ich glaube, dass wir zu 80 Prozent inhaltlich einig sind. Entscheidend ist es, zu handeln. Kleine Schlachten zu schlagen. Am besten natürlich, sie auch zu gewinnen. Wir müssen sichtbar sein, wenn zum Beispiel irgendwo Unterschriften für eine Petition gegen soziale Ungerechtigkeit gesammelt werden.
Die Mitte-links-Parteien unter Druck zu setzen, war das von Sahra Wagenknecht verkündete Ziel. Die haben offenbar auf absehbare Zeit nichts zu befürchten.
Wir sind nicht die Vorfeldorganisation irgendeiner Partei. Aber Parteien das Fürchten zu lehren, sehe ich auch nicht als unsere Aufgabe. Sie an ihre ureigenen Ziele zu erinnern, das schon eher. Es gibt so klare Mehrheiten in der Bevölkerung für soziale Veränderungen. Es muss doch möglich sein, die gesellschaftliche Stimmung in ihrem Sinne zu ändern. Ich bin überzeugt, dass sich nichts verändern wird, wenn wir nicht selbst aktiv sind. Es sind Chancen vertan worden, ja. Aber es gibt keinen Grund, jetzt aufzuhören. Aufgeben ist keine Alternative.
Sie arbeiten im Vorstand des Trägervereins. Was ist Ihre nächste Aufgabe?
Wir müssen als nächstes unseren Internetauftritt verbessern. Wir brauchen Geduld und kleine Schritte. Wir arbeiten jetzt an unserer Vernetzung. An den Strukturen, es sollte irgendwann auch wieder einen politischen Vorstand geben.
Sie sind Schauspieler, wie viel Zeit finden Sie noch für ihren Beruf?
Wir arbeiten alle ehrenamtlich. Ich versuche beides unter einen Hut zu kriegen. Aber es stimmt. Ich will auch die Strukturen schaffen, dass ich überflüssig werde. Wenn der Laden von allein richtig läuft.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.