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Ägypten vermittelt
Benjamin Netanjahu setzt auf indirekte Verhandlungen mit der Hamas, doch wendet sich in Gaza die Stimmung zunehmend gegen sie
Alles stehen und liegen lassen, Schutz suchen, oder sich wenigstens auf den Boden legen. Für die Menschen in den israelischen Städten und Dörfern in der Nähe zum Gazastreifen ist das mittlerweile eine Routine; eine Gewohnheit, die so mancher nach mittlerweile drei Kriegen und mehr als 100 kurzfristigen Konfrontationen zwischen palästinensischen Kampfgruppen im Gazastreifen und Israels Militär auf die leichte Schulter nimmt: Im Laufe der Zeit ist die Technologie der Armee besser geworden; vor allem vom Raketenabwehrsystem »Iron Dome«, das während des Gazakrieges im Sommer 2014 erstmals zum Einsatz kam, verspricht man sich viel.
Zu viel, wie sich am Wochenende zeigte: Von mehr als 700 Raketen, die seit Samstag aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert worden sind, hat das System nur knapp ein Drittel abgefangen. Das Resultat: Es gab Tote und Verletzte auf der israelischen Seite, und damit auch große Wut auf die eigene Regierung. Das Gerücht macht die Runde, die Regierung habe mehrere Abwehrbatterien abgezogen, um den Eurovision Song Contest (ESC) zu schützen. Die Proben für den dreitägigen Gesangswettbewerb, der zwischen dem 14. und dem 18. Mai abgehalten wird, haben bereits begonnen; die Teilnehmer aus mehr als 40 Ländern samt Tausenden von Fans befinden sich im Land. Regierungs- und Militärsprecher weisen die Vorwürfe zurück. Es sei immer schon so gewesen, dass man nur die Raketen abfange, die in bewohnten Gebieten einzuschlagen drohen.
Seit Montag herrscht nun wieder Ruhe, und wie so oft zuvor war es auch dieses Mal die ägyptische Regierung, die die Waffenruhe ausgehandelt hat, doch dieses mal warnt Ahmed Hafez, Sprecher des ägyptischen Außenministeriums offen vor jeglichem Optimismus: »Die Situation vor Ort wird von Tag zu Tag komplizierter, und nach allem, was ich höre, stoßen die Vermittler zunehmend an ihre Grenzen.«
Seit gut einem Jahr sind die Abgesandten aus Kairo in der Region unterwegs, versuchen eine dauerhafte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas auszuhandeln. Doch im Gazastreifen wendet sich die Stimmung gegen die Hamas; die Lebensbedingungen werden zunehmend schlechter, und immer öfter macht man die regierende Hamas, und nicht die israelische Blockade dafür verantwortlich. Es sind kleinere, radikalere Gruppen wie der Islamische Dschihad, die versuchen, die Gelegenheit zu nutzen, um ihren eigenen Einfluss auszubauen. Die Regierungen Israels und Ägyptens machen den Islamischen Dschihad auch für einen Großteil der Raketenabschüsse am Wochenende verantwortlich. Es stelle sich die Frage, wie es passieren kann dass eine militante Gruppe »einfach so« unter den Augen der Hamas Zugriff auf Hunderte Raketen haben kann, sagte Avigdor Liebermann, Chef der kleinen rechten Partei Jisrael Beitenu in einem Interview mit dem israelischen Militärradio: Der Hamas sei die Macht offensichtlich endgültig entglitten, es sei nun die Zeit für eine großangelegte Bodenoffensive.
Dies bringt nun auch Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in Bedrängnis. Anfang April wurde ein neues Parlament gewählt; bis zum 29. Mai hat Netanjahu Zeit, eine neue Regierung zu bilden. Und dabei ist er auf Jisrael Beitenu angewiesen. Doch anders als Liebermann setzt Netanjahu auf indirekte Verhandlungen mit der Hamas. Israels Militär könne den Gazastreifen selbst nicht kontrollieren; eine Bodenoffensive sei »Selbstmord«, so Netanjahu kurz nach der Wahl, und dass die offizielle Regierung von Präsident Mahmud Abbas jemals wieder die Kontrolle über Gaza übernehme, sei sehr unwahrscheinlich; zu unbeliebt ist der alternde Abbas, der ohne Mandat regiert, seit seine Amtszeit 2010 ablief. Netanjahu: »Wir müssen praktisch denken.«
Doch dies werde immer schwieriger: »Vor dem Hintergrund der israelischen Innenpolitik und der palästinensischen Machtkämpfe werden wir bald eine Situation haben, in der auch uns die Idee ausgehen,« so Ägyptens Außenamtssprecher Hafez.
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