Inhalte statt nur einen EU-Hoodie

Warum die meisten Parteien im digitalen Europawahlkampf versagen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer hat vor wenigen Tagen diesen Satz bei Facebook gepostet? »Noch 12 Tage zur Europawahl: Unser Europa ist ein Europa der Menschen, der Reformen & des Aufbruchs.« War es Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) oder SPD-Kandidatin Katarina Barley? Und von wem stammt folgende Äußerung? »Für mich bedeutet Europa Vielfalt und Zusammenhalt, Fortschritt und Freiheit.« Besonders Union (erstes Zitat) und SPD (zweites Zitat) haben sich entschieden, ihr auch aus dem Straßenwahlkampf bekanntes Konzept, statt mit inhaltlichen Forderungen lieber mit emotionalen, aber leeren Politphrasen um Wählerstimmen zu kämpfen, auf die sozialen Netzwerke übertragen.

Wozu der Verzicht auf konkrete Forderungen führen kann, erlebt Barley. Dutzende Artikel beschäftigen sich mit der Frage, warum die SPD-Politikerin in einem Teil der digitalen wie analogen Wahlkampagne mit einem Kapuzenpullover auftritt, der einer EU-Flagge nachempfunden ist. Der Hoodie kommt unter Journalisten nicht gut an.

Hanna Voss fragt auf taz.de etwa: »Glauben wir wirklich, ein schickes blau-gelbes Accessoire hilft, während Europa Feuer fängt?« Jan Petter schreibt auf bento.de vernichtend: »Wer im langweiligen Europawahlkampf noch irgendwie über Europa reden will, kommt an ihm kaum vorbei: dem Europa-Hoodie.« Das Problem, egal ob es dabei um ein trendiges blaues Kleidungsstück, Wahlplakate oder um Werbung in den sozialen Netzwerken geht: Vor allerlei emotionalen Bekenntnissen zur EU haben die PR-Strategen die wichtige Frage nach dem Warum übersehen.

Im Wahlkampf sind die Konsequenzen bereits messbar, zumindest was den Erfolg in den sozialen Netzwerken angeht. buzzfeed.com hat sich für ein Ranking alle seit dem 1. Januar im deutschsprachigen Raum erschienen Facebook-Beiträge mit Bezug zur Europawahl angeschaut. 49 der 100 erfolgreichsten Posts stammen demnach von der AfD, Platz zwei belegt mit weitem Abstand die ebenfalls extrem rechte FPÖ mit 13 Beiträgen. Alle anderen deutschsprachigen Parteien spielen in der Auswertung faktisch keine Rolle, SPD und LINKE sind jeweils mit gerade einmal zwei Beiträgen in den Top 100 vertreten.

Woher der Erfolg? Letztlich sind es nicht allein nur die vereinfachenden, rassistischen und nationalistischen Parolen, so Buzzfeed-Autor Karsten Schmehl. So tue »die AfD auch sehr viel für ihren Erfolg auf Facebook. Eine Vielzahl von leicht teilbaren Bildchen mit politischen Positionen sind der Kern der Social-Media-Arbeit«. Besonders viel verbreitet werden Beiträge, wenn sie Themen aufgreifen und zuspitzen. Wichtige Grundsätze des AfD-Wahlprogramms werden in einfachen Stichpunktlisten dargestellt oder 99-Sekunden-Videos präsentiert. Die Clips der politischen Konkurrenz sind dagegen deutlich länger.

Die Buzzfeed-Analyse bestätigt eine Einschätzung des Medienwissenschaftlers Trevor Davis von der George-Washington-Universität, die Ende April veröffentlich wurde. Davis fand heraus, dass 85 Prozent aller Facebook-Beiträge politischer Parteien, die weiterverbreitet wurden, von der AfD stammen. Als Antwort darauf reicht kein Europa-Hoodie.

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