- Politik
- Windenergie
Energie von weit oben
Drachensysteme sind ein Geheimtipp der Windenergienutzung
Den Song »Blowing in the Wind« von Bob Dylan kennt jeder. Seinen Song »Idiot Wind« dagegen kaum einer. Ähnlich verhält es sich mit der populären bodenbasierten Windenergienutzung und der kaum beachteten fliegenden Windstromerzeugung. Bei Letzterem steigen Drachen und andere Flugobjekte nur an einem Seil befestigt hunderte Meter stetig hinauf und übertragen am Seilende - fixiert am Boden oder auf einer Plattform auf See - ihre Bewegung auf eine Seiltrommel, wo sie in Strom umgewandelt werden kann.
Das klingt futuristisch, wie Bernd Ponick von der Universität Hannover bestätigt. »Die Technik ist aber gar nicht so absurd, wie man auf den ersten Blick meint«, sagt der Professor am Institut für Antriebssysteme und Leistungselektronik. Er verweist auf das Projekt Sky Power 100, das mit Bundesmitteln gefördert wird. Daran sind neben seinem Institut noch die Energieversorger EWE, EnBW sowie die Hamburger SkySails Power GmbH beteiligt. Unter ihrer Regie soll im nächsten Jahr ein Zugdrachen mit einer Leistung von 300 kW den Testbetrieb aufnehmen.
Unterdessen wird das US-amerikanische Unternehmen Makani mit einem 600-kW-Flugdrachen-Objekt wahrscheinlich schon in diesem Sommer vor der Südwestküste Norwegens in die Höhe steigen. Darüber hinaus plant die Firma ampyx power, in die E.on investiert hat, in der Irischen See mit einem 1-MW-Modell alsbald in eine Testphase zu starten.
Doch obwohl sich auf diesem Gebiet weltweit rund 50 bis 60 Firmen tummeln, gebe es »bisher trotz intensiver Forschungsarbeiten überall auf der Welt noch kein einziges kommerzielles Produkt«, konstatiert Roland Schmehl von der Technischen Universität Delft. Er forscht selbst seit fast einem Jahrzehnt an der Windenergienutzung in größeren Höhen und ist Mitbegründer des niederländischen Start-ups Kitepower, das einen Protoyp mit 20 kW Leistung entwickelt hat und diesen aktuell auf 100 kW Leistung hochskaliert.
Statt mit Stahl- oder Betonmasten und gewaltigen Fundamenten kommen die Drachensysteme extrem leicht daher. Im Fall von Kitepower ist das Kunststoffzugseil nur acht Millimeter dick und hält Zugkräften von mehreren Tonnen stand. Die Segel bestehen aus den von Rucksäcken bekannten Kunstfasern Polyamid und Polyester. Das sei kein technologisches Hexenwerk, wie Bernd Ponick versichert.
Und das gelte auch für die elektrotechnische Energieumwandlung der Zugkraft. »Vom Prinzip her handelt es sich beim Sky Power 100 um einen Außenläufer-Generator, bei dem sich das Zugseil von einer Trommel abwickelt, die sich wiederum um einen festen Stator im Innern dreht«, erklärt Ponick. Die Größe des Generators der 300-kW-Testanlage von Sky Power 100 ist mit einem mal einem Meter überschaubar. Der eigentliche Clou des Systems sei aber, so Ponick, »die hohe Konstanz der Erzeugung«, welche für stabile Netze von hoher Bedeutung ist.
Weil der Wind in höheren Regionen deutlich schneller weht als in Nabenhöhen gängiger Windenergieanlagen, gehen Schmehl und seine Mitstreiter davon aus, dass 4000 bis 6000 Volllaststunden möglich sind. Zumal die Phase des Seileinholens, in der kein Strom erzeugt werden kann, durch zeitversetzte Kombination von mehreren aktiven Drachen komplett zu kompensieren sei und somit keine Stromschwankungen entstehen. Ohnehin sei der Energieaufwand für das Einholen der Drachen verhältnismäßig gering; Schmehl erwartet zehn bis maximal 30 Prozent der Systemleistung. So überrascht letztlich auch nicht, dass der Projektkoordinator der Sky Power 100, Martin Lohss, prognostiziert, dass im Zuge weiterer Entwicklungen schon in zehn Jahren Kosten von zwei bis vier Cent pro Kilowattstunde möglich sind.
Kritischer als bei den aktuellen Windrädern ist allerdings die Sicherheit im Luftraum; ein Thema, mit dem sich auch der neugegründete europäische Branchenverband Airborne Wind Energy in Gesprächen mit europäischen wie nationalen Behörden intensiv beschäftigt. Mit Blick auf den Luftverkehr und die enge Bebauung an Land spricht vieles dafür, dass die Drachentechnologie zumindest in Europa eher auf dem Meer eingesetzt würde. Falls es aber dazu käme, müsste sich die »konventionelle« Offshore-Windindustrie warm anziehen. »We’re idiots, babe«, wie der Literaturnobelpreisträger Dylan einst textete ...
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.