Vom Gefängnis ins Hohe Haus und wieder zurück
Konstituierende Sitzung des spanischen Parlaments mit inhaftierten katalanischen Politikern
An spektakulären Nachrichten mangelt es rund um das neu konstituierte spanische Parlament 2019 nicht. Darin sitzt mit VOX erstmals eine offen rechtsextreme Partei, die auch Holocaust-Leugner in ihren Reihen hat. 24 Sitze hat VOX, die bei den vorgezogenen Neuwahlen am 28. April rund zehn der Stimmen bekommen hatte. Bestimmt wurde die Konstituierung der beiden Parlamentskammern aber von der Tatsache, dass fünf Parlamentarier aus dem Gefängnis in Soto de Real von der paramilitärischen Guardia Civil ins Madrider Parlament gebracht werden mussten, die nun als spanische Abgeordnete oder Senatoren vereidigt wurden. Sie kommen allesamt aus Katalonien.
Fünf Abgeordnete katalanischer Unabhängigkeitsparteien im spanischen Parlament sitzen zum Teil seit mehr als eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Ihnen wird mit sieben Mitangeklagten in der Hauptstadt seit Februar der Prozess wegen einer angeblichen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung von Steuergeldern im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien am 1. Oktober 2017 gemacht.
Ihr Amtsschwur war besonders und zudem kaum zu hören, weil die VOX-Abgeordneten und Parlamentarier der beiden Rechtsparteien Ciudadanos (Bürger) und Volkspartei (PP) viel Lärm gemacht haben, um sie zu übertönen. Sie schworen »als politische Gefangene« nur aus »gesetzlicher Pflicht« auf die Verfassung, sie fühlen sich vielmehr der »Republik« und dem »demokratischen Mandat des 1. Oktober der Bevölkerung Kataloniens« verpflichtet.
Anders als im Fall der im Dezember 2017 ins katalanische Parlament gewählten Gefangenen hat der Oberste Gerichtshof nicht erneut gefangene Abgeordnete suspendiert. Mit Verweis auf die Gewaltenteilung wollte das Gericht das dieses Mal nicht einfach anordnen. Vielmehr muss das neu gewählte Parlamentspräsidium die Suspendierung beschließen.
Damit wurde vom Obersten Gerichtshof das eigene frühere Vorgehen in Zweifel gezogen und der einstigen Argumentation des katalanischen Parlaments gefolgt, das erklärt hatte, nur dem Parlament stehe die Entscheidung zu. Bis entschieden ist, dürfen die Parlamentarier aber nicht ihrer Abgeordnetentätigkeit nachgehen. Der Oberste Gerichtshof verbietet ihnen sogar, mit der Presse zu sprechen oder sich mit der Fraktion zu besprechen. Nach der konstituierenden Sitzung wurden sie sogleich wieder zurück ins Gefängnis verfrachtet.
Für einige hochrangige Juristen ist all das verfassungswidrig. Der andalusische Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo erklärt, die katalanischen Parlamentarier seien seit dem Wahlsonntag »illegal inhaftiert«, denn sie genießen seither »parlamentarische Immunität«. Artikel 71 der Verfassung sehe »keinerlei Ausnahme« vor, erklärt der Professor. »Das Ende der Untersuchungshaft ergibt sich automatisch« und »in keiner Form kann die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft« begründet werden, kritisiert er das Vorgehen des Obersten Gerichtshof als »verfassungswidrig«.
Ganz ähnlich sieht das sein Kollege Joaquín Urias, ehemaliger Rechtsreferent am Verfassungsgericht. Er spricht von »Rechtsbeugung«, denn es werde etwas »Unmögliches« versucht. Man versuche, die »Immunität« außer Kraft zu setzen. Die sei aber die Voraussetzung für eine Suspendierung durch das Parlament, erklärt dieser Professor.
Wie das neue Parlamentspräsidium entscheiden wird, ist bisher unklar. Erwartet wird, dass die neu gewählte Parlamentspräsidentin Meritxell Batet von der sozialdemokratischen PSOE, der stärksten Fraktion im Parlament, zunächst eine Stellungnahme des juristischen Dienstes einholt. Ihre sozialdemokratische Parteikollegin und geschäftsführende Vize-Ministerpräsidentin hat sich aber schon auf die Suspendierung festgelegt.
Carmen Calvo meint, das Parlamentsreglement sei »klar« und liegt damit ganz auf der Linie der Rechtsparteien. Doch die Linkspartei Podemos, die nun auch im Präsidium sitzt und bisher die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Pedro Sánchez gestützt hatte, sieht das anders. Parteichef Pablo Iglesias weist zudem darauf hin, dass es eine Unschuldsvermutung gibt und bisher niemand verurteilt wurde. Deshalb müssten sie »frei ihre Wähler vertreten können«.
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