Halt im Hass

Die Reichsbürger sind eine abstruse Gemeinschaft der Verunsicherung - rechts erfunden und nach rechts offen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Adrian Ursache wurde im letzten Monat zu sieben Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt. Vor nicht ganz drei Jahren hatte er in Reuden einen Polizisten niedergeschossen, der mit seinen Kollegen zur Zwangsräumung angerückt war. Das war das vorläufige Ende einer vielversprechenden aristokratischen Karriere, die 1998 mit der Wahl Ursaches zum »Mister Germany« begonnen hatte. Der Schönheitskönig wurde später Begründer des Ministaats »Ur« im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis. Zur Zwangsräumung hatte sich eine beträchtliche Zahl seines Hofstaats eingefunden, um dem König steinewerfend zur Seite zu stehen.

Der schöne Herr Ursache gilt, auch wenn er es bestreitet, als Reichsbürger. In dieser Szene findet die deutsche Verfassung letztlich ihren rigorosesten Widerspruch. Denn die klarste Distanzierung vom Grundgesetz ist seine Leugnung. Die Reichsbürger, die vor einigen Jahren noch als seltsame, aber ungefährliche Spinner angesehen wurden, bestreiten die Geltung des Grundgesetzes gänzlich. Reichsbürger und Selbstverwalter erklären die Bundesrepublik Deutschland kurzerhand zu einem Trugbild. Sie behaupten, es handele sich um keinen Staat, sondern um eine Firma, eine GmbH, deren Bürger keine Bürger, sondern Personal seien - weshalb sie alle einen Personalausweis erhalten. In Wahrheit bestehe das Deutsche Reich fort. Und dabei ist meist die Rede von einem Reich in den Grenzen von 1937.

Ja, das klingt verrückt. Die Existenz eines funktionierenden sowie international anerkannten Staates schlicht zu leugnen, das brachte lange Zeit nur die Bundesrepublik selbst fertig, als sie die Existenz der DDR nicht anerkannte. Auf eine Anfrage der LINKEN hatte die Bundesregierung 2012 noch Zweifel bekundet, dass bei den Reichsbürgern »ernstzunehmende ziel- und zweckgerichtete politische Verhaltensweisen vorliegen«.

Das Jahr 2016 aber änderte einiges. Nach dem Schusswechsel in Reuden kam es schon im Oktober zum nächsten blutigen Zwischenfall. Ein Reichsbürger erschoss in Georgensgmünd einen Polizisten und verletzte drei andere schwer, die ebenfalls einen Gerichtsvollzieher begleiteten. Der Täter hatte sein Haus zum autonomen Regierungsbezirk erklärt, er »verteidigte« es mit dem Argument, die Behörden der Bundesrepublik seien nicht autorisiert, Steuern zu verlangen oder Recht zu exekutieren. Diese Behauptung eint Reichsbürger aller Couleurs. Einige akzeptieren deshalb auch Knöllchen im Parkverbot nicht und haben schon Ordnungswächter umgefahren.

Die Reichsbürger bilden eine diffuse Szenerie, Aussteiger wie Normalos. Der Autor und Regisseur Tobias Ginsburg, der über Monate in ihren Reihen und »autonomen Gebieten« recherchierte, beschreibt sie als Gemisch aus fundamentalistischen Esoterikern, Globalisierungs- und Kapitalismuskritikern, Ökos und Alternativen. Und vor allem von Nazis, denn ihren Ausgang hat die Gruppierung mit der Verschwörungstheorie eines fremdbestimmten Deutschland und den Überlegungen beispielsweise eines Manfred Roeder genommen, der 1974 der Vorstellung verfiel, das Deutsche Reich sei 1945 nicht untergegangen, sondern existiere noch.

Ginsburg analysiert die Szene, gestützt auf seine persönliche Anschauung, als tendenziell rechts. Auch wenn sie unübersichtlich ist. Rund 25 »Reichsbürger- und Selbstverwalter«-Gruppierungen sind bekannt. Anhänger finden sich nach Angaben der Bundesregierung in allen sozialen Schichten. Häufig handele es sich jedoch um wirtschaftlich Gescheiterte. Und manche unter ihnen kann man offenbar auch mögen, wie Tobias Ginsburg bekennt, der sich längere Zeit auch im »Königreich Deutschland« von Peter Fitzek aufhielt, welcher sich zu dieser Zeit allerdings bereits im Gefängnis befand. Nach acht Monaten in ihrer Mitte beschreibt Ginsburg Menschen, die in psychologischen Notstand gerieten, Gescheiterte oder mit persönlichen Verlusten Geschlagene. Sie scheinen anfällig für die Versuchung, die Ursachen für ihre eigene Not in vermeintlichen Verschwörungen zu sehen. Ginsburg schreibt: »Es sind Geschichten, die mir so regelmäßig wie verlässlich begegnen. Eine der häufigsten handelt vom Tod einer geliebten Person … Am Ende kann der Hinterbliebene den Verlust nicht akzeptieren. ›Das war kein Zufall, das war Mord‹, sagt mir irgendwann ein Witwer, der seine Trauer in Wut verwandeln konnte. Schicksal? Pech? Menschliches Versagen? Nein, der Witwer fühlt sich betrogen, beginnt im Internet zu recherchieren, findet so viele Seiten, die ihm seine vagen Gefühle bestätigen. Aus ohnmächtiger Verzweiflung wird paranoider Hass: Die Schulmedizin ist eine Lüge, und das Internet verrät ihm auch, was sonst noch alles eine Lüge gewesen ist: alles andere.«

2016 änderte sich einiges in der Bewertung der Reichsbürger. Der Verfassungsschutz richtete ein Sammelbeobachtungsobjekt »Reichsbürger und Selbstverwalter« ein. Innenminister wiesen die Behörden der Kommunen an, Waffenscheine zu entziehen, wo möglich. Denn klar geworden war inzwischen auch, dass Reichsbürger überdurchschnittlich oft Waffennarren zu sein scheinen. Ende letzten Jahres verfügten etwa 910 Reichsbürger über eine oder mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse, wie die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Grünen-Anfrage angab. Im Bundesrat liegt eine Initiative von drei Bundesländern vor, die Reichsbürgern den Zugang zu Waffen wenigstens erschweren will.

Parallel zur neuen politischen Bewertung der Reichsbürger oder möglicherweise auch dank der gewachsenen staatlichen Aufmerksamkeit stieg die Zahl registrierter Straftaten, die von Reichsbürgern begangen wurden, von 771 im Jahr 2017 auf 804 im Jahr 2018. Die Bandbreite der Delikte reiche von Körperverletzung, Volksverhetzung, Erpressung und Nötigung bis hin zu Propagandadelikten und Verstößen gegen das Waffengesetz, teilte die Bundesregierung mit.

Die Grünen monieren, dass die Bundesregierung sich unverändert schwer damit tue, die Reichsbürger als im Kern rechtsextrem einzustufen, »was zu gravierenden Folgefehlern im Hinblick auf das Erkennen von Netzwerkstrukturen« führe. Von 19 000 Personen in der Szene spricht die Bundesregierung. Darunter sind rund 950 Personen, die sie dem Rechtsextremismus zuordnet (Stand: 31. Dezember 2018). »Dies entspricht einem Anteil von fünf Prozent.«

Die Grünen finden das ausreichend alarmierend und verlangen, auch Berührungspunkte der Reichsbürger mit der AfD zu untersuchen. Anfang des Jahres hatte der Verfassungsschutz die AfD zum »Prüffall« erklärt. Reichsbürger in ihren Reihen dürften die Entscheidung in einer für die Partei unangenehmen Richtung beeinflussen - die nachrichtendienstliche Beobachtung. Das Urteil, das Tobias Ginsburg im Februar bei einem Fachgespräch der Grünen im Bundestag über die Reichsbürger fällte, passt jedenfalls - ausgenommen die Leugnung der Existenz der Bundesrepublik - ins Argumentationsschema auch der Rechtsaußenpartei: Es herrschten Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit vor. Kurioserweise gilt für Reichsbürger wie für AfD, dass sie ihre Anschauungen wie auch die Abneigung gegenüber dem Grundgesetz letztlich nur dank der darin enthaltenen Grundwerte überhaupt öffentlich vertreten können.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.