Agnostik für Fortgeschrittene: Die Katze des Rabbiners

  • Lesedauer: 5 Min.

Katzen sind niedlich, Katzen gehen immer. Dieses namenlose Exemplar allerdings ist sehr eigen, um nicht zu sagen, nervend. Als ihr der Papagei mit seinem Geplapper auf den Wecker ging, hat sie ihn nämlich einfach aufgefressen, infolgedessen sie zu sprechen beginnt. Für den gutmütigen Rabbi, in dessen Haus sie zusammen mit seiner pubertierenden Tochter Zlabya wohnt, ist das ein Wunder und ein Unglück zugleich, denn die Katze leugnet sehr elegant den Mord an dem Vogel. Da die Katze aber nun mal spricht, soll sie die Heiligen Schriften studieren (die sie bereits heimlich gelesen hat), auf den rechten Weg gebracht und ein guter Jude werden. Wenn die Katze aber schon Jude sein soll, dann will sie auch eine Bar-Mizwa, die Feier der Religionsmündigkeit haben. Ein verzwickter Fall, der dem Meister des Rabbis vorgelegt werden muss. Dieser lehnt ab, worauf die Katze ihn nach dem Unterschied zwischen Menschen und Katzen fragt. Der Mensch sei nach Gottes Bild erschaffen, meint der Oberrabbiner, worauf ihn die Katze bittet, ihr doch mal ein Bild von Gott zu zeigen. Zack, Bilderverbot! Der Oberrabbiner plädiert dafür, die Katze zu ertränken … Die katerliche Rabulistik bringt den Rabbi zur Verzweiflung und in gefährliche Situationen - die Welt ist voll von dumpfen Fanatikern aller Glaubensrichtungen -, und beide lernen, dass es manchmal gesünder ist, die Klappe zu halten.

Die insgesamt drei Sammelbände umfassende Geschichte beginnt im Algerien der 1920er Jahre, in dem weder Juden noch Araber in den französischen Cafés bedient werden, mit einem Rückblick auf die Zeit des Osmanischen Reiches. Es ist die Hochzeit des Kolonialismus und der Rabbi soll eine Französischprüfung schreiben, um vom Rat der Pariser Rabbis anerkannt zu werden. Natürlich fürchtet er sich vor der Prüfung, noch mehr vor den eingebildeten Aschkenasen, die auf die afrikanischen Juden herabsehen und wohl seine Stelle übernehmen wollen. Ein junger Pariser Rabbi kommt tatsächlich und verliebt sich dazu in seine Tochter. Da kann nur noch der legendäre Malka helfen, der mit seinem Löwen die Welt durchwandert und eine Mixtur aus Asket, Raufbold und Taschenspieler ist. Gegen den Willen des Vaters heiraten der Pariser Schnösel und Zlabya, und die Frischvermählten besuchen samt Rabbi und Katze das Sündenbabel, wo der Rabbi lernen muss, dass es auch im reichen Europa arme Juden gibt, und dass man die strengen Vorschriften missachten und trotzdem ein gottesfürchtiger Mensch sein kann. Als er diese Erkenntnis nach seiner Rückkehr seinen Schülern verrät, wollen sie ihn aus der Synagoge jagen…

Der beste Freund des Rabbi aber ist Scheich Mohammed, ein Sufi und berühmter Sänger. Der Autor Joann Sfar macht sich einen Spaß daraus, dass beide, Rabbi wie Scheich den Namen Sfar tragen und zum Grab eines Vorfahrens mit dem selben Namen pilgern. Worauf Katze und der Esel des Sufi sich über die Religion des Ahnen in die Wolle kriegen. Überhaupt reflektieren diverse Tiere in diesen Geschichten ziemlich oft philosophische Fragen und natürlich die Beklopptheit der Menschheit, und das mit Raffinesse. Nur der kleine weiße Hund kann da nicht mithalten, der einem ignoranten, besserwisserischen belgischen Reporter mit Tolle und Knickerbockern gehört, der gerade im Kongo unterwegs ist. Dorthin verschlägt es im zweiten Band die Freunde, als plötzlich ein russischer Jude in einer Kiste mit heiligen Schriften liegt, die in Algier ankommt. Der Russe ist Kunstmaler und Kommunist. Leider war er zu modern und zu kommunistisch, weswegen er vor seinen nichtjüdischen Genossen fliehen musste. An den Kommunismus glaubt er immer noch und an die Legende, dass im Herzen Afrikas verborgen ein utopischer Staat, ein Neues Jerusalem liegt. So steht es in den Akten des NKWD, und der hat sich noch nie geirrt. Mit einem Auto, dass ein verrückter, sex- und trunksüchtiger zaristischer Millionär spendiert, geht es in Richtung Süden. Der Maler bringt alle in Schwierigkeiten, denn er spricht nur Russisch. Die Katze könnte dolmetschen, hat aber wegen ungerechtfertigter Anrufung Gottes zwischenzeitlich die menschliche Sprache verloren. Dann malt er auch noch Frauen wie die Rabbitochter - Achtung, Bilderverbot! -, porträtiert heimlich einen Berberfürsten, worauf die Waffen sprechen. Dann verliebt er sich in eine Barfrau, eine Ex-Sklavin, die sich der Gruppe anschließt. Nur, die Frau ist schwarz und keine Jüdin, noch nicht mal Muslima… Und Neu-Jerusalem ist eine Entdeckung ganz eigener Art.

Im dritten Band wird es hart für die Katze: ihre Herrin Zlabya ist schwanger, also wird ein Kind ihre Liebe auf sich ziehen. Aber eine Katze ist doch der Nabel der Welt, und nur eine Katze kann wahrhaft lieben. Dazu wollen noch zwei fremde (!) Katzenbabies ins Haus einziehen. Beziehungsstress auch im Religiösen: Oberrabbi und Obermullah verbünden sich zur Allianz für Intoleranz, als Moschee und Synagoge geflutet und kein Geld für den Klempner da ist. Deshalb soll die sprechende Katze für die Sintflut büßen.

Es macht Spaß, dieser agnostischen, liebenswert selbstsüchtigen Katze und ihrer Wortklauberei zu folgen, ihre Sentenzen wirken auch nach mehrmaligem Schmökern nicht abgegriffen.

Wem das zu viel Tier und Nordafrika ist, der kann sich mit Joann Sfar auf eine Odyssee durch das zaristische Osteuropa begeben.

In »Klezmer«, einer Erzählung in fünf Bänden rauft sich eine Klezmerkapelle zusammen, die mit Hunger, Pogromen, Anarchisten und Gangstern konfrontiert wird. Geschliffene Dialoge und abgründiger Humor erwarten auch hier den Leser. »Chagall in Russland« wiederum ist eine warmherzige Verbeugung vor dem Meister, der nichts lieber wollte, als in seinem Dorf zu bleiben und das Mädchen seiner Träume zu heiraten. Doch dann kommt alles ganz anders …

In Benjamin Steins raffiniert kombiniertem Roman bekommt der Held ein unwiderstehliches Angebot: Jeden Dienstag gibt es eine Geschichte in Fortsetzungen, gegen eine Flasche Wodka, über Wunder, Engel, Sex und Crime und Gott. Und schon geht die Reise quer durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, von Berlin nach Prag und Budapest, in der der Hohe Rabbi Löw von Prag und der mythische Golem eine nicht unwesentliche Rolle spielen. mps

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