»Es fehlt oft am Bewusstsein, dass man gegen den Datenschutz verstößt«

Der Jurist Peter Wedde sieht vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen die Gefahr von zunehmender Kontrolle und Überwachung durch die Chefs

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Sie vertreten bei den diesjährigen Big-Brother-Awards die These, dass Beschäftigte zunehmend der Überwachung am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Die großen Überwachungsskandale beim Discounter Lidl, bei der Bahn und der Telekom sind gut zehn Jahre her. Was ist neu an Überwachung im Betrieb?

Die Überwachung hat in den letzten zehn Jahren nicht abgenommen. Das hat eine Untersuchung, die wir vor fünf Jahren gemacht haben, gezeigt. In der Privatwirtschaft war es ein bisschen weniger, im öffentlichen Dienst hat uns jeder dritte Personalrat von zunehmenden Kontrollen berichtet. In großen Firmen sind dagegen Kontrolle und Überwachung nach den Skandalen stark zurückgegangen. Probleme sehe ich deshalb eher bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, in denen Chefs überhaupt nicht einsehen wollen, dass sie vorhandene Beschäftigtendaten nicht auch umfassend auswerten dürfen. Oft fehlt es am Bewusstsein, dass man gegen den Datenschutz verstößt.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Stellen sie sich ein Unternehmen mit rund 500 Beschäftigten im produzierenden Bereich vor. Im Vertrieb tauchten auf einmal sogenannte Rennlisten auf.

Rennlisten?

Listen, in denen genau ersichtlich ist, wer im Support oder Vertrieb was geleistet hat und in welcher Zeit. Diese Rennlisten ließen sich einfach aus der vorhandenen Anwendungssoftware ziehen. Hier konnten Arbeitgeber sehen, welche Beschäftigten am wenigsten verkauft haben. Diesen wurde vom Arbeitgeber nahegelegt, sich einen anderen Job zu suchen. In einer anderen Firma hat der Arbeitgeber in den vorhandenen Daten gezielt nach Informationen über eine ältere Außendienstmitarbeiterin gesucht, die er für entbehrlich hielt. Damit konnte er nachweisen, dass sie an bestimmten Tagen weniger als acht Stunden gearbeitet hat. Er begründete damit eine Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug. Dass die Mitarbeiterin in der Woche regelmäßig mehr als 40 Stunden gearbeitet hat, interessierte ihn nicht.

Der Europäische Gerichtshof hat vor kurzem entschieden, dass die Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzeichnen müssen. Ist das demnach gut oder schlecht?

Im Prinzip ist es gut, dass die individuellen Arbeitszeiten detailliert werden müssen. Das darf aber nicht heißen, dass sekundengenau jede Tätigkeit überwacht werden muss. Ähnlich wie bei Fahrtenschreibern in Lkw ist es vielmehr nur interessant, dass ein Berufskraftfahrer nicht länger als acht Stunden fährt. Das kann für eine Arbeitszeitkontroll-Software im Vertrieb heißen, dass der Arbeitgeber am Ende der Woche lediglich die Summe der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit von Beschäftigten sieht. An der Stelle kann man neue Technik sinnvoll einsetzen. Einige neue Softwareanwendungen im Dienstleistungsbereich sind viel dramatischer.

Was heißt das denn konkret?

Bei einer Bank werden externe IT-Administratoren bei ihrer Arbeit umfassend durch Videokameras kontrolliert. Bei den im selben Raum tätigen internen Administratoren fehlt diese Kontrolle, weil der Betriebsrat ihr nicht zustimmt. Begründet wird diese Überwachung mit Anforderungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Diese schreibt allerdings derartige Kontrollmaßnahmen nicht vor, sondern fordert nur ganz allgemein wirksame Kontrollen.

Im gleichen Büro. Ist das legal?

Der Betriebsrat der Bank hat die Kameraüberwachung verhindert. Daran muss sich der Arbeitgeber halten. Dem Betriebsrat des externen Dienstleisters hat der dortige Arbeitgeber allerdings gesagt, dass er den Auftrag verlieren wird, wenn er etwas gegen die Kameraüberwachung unternimmt. Das Beispiel zeigt, unter welchem Druck Betriebsräte oft stehen. Ich finde es absurd, dass an der Stelle die Persönlichkeitsrechte nicht besser geschützt werden.

Welche Möglichkeiten haben Betriebsräte und Beschäftigte sich zu wehren?

Die Einführung von neuer Software im Betrieb ist mitbestimmungspflichtig. Wenn es einen Betriebsrat gibt, kann er mögliche Überwachungen ausschließen oder beschränken. Einzelne Beschäftigte könnten sich beim Chef beschweren oder sich vertraulich an die Aufsichtsbehörden wenden. Das Problem ist aber, dass wir in Deutschland keinen wirklich wirksamen Schutz für Whistleblower haben. Beschäftigte riskieren eine Kündigung, wenn auffliegt, dass sie sich an eine Aufsichtsbehörde gewandt haben.

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