Kretschmer entdeckt den Osten

Sachsens Ministerpräsident löst Kontroverse zu Sanktionen gegen Russland aus

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war nicht viel, was Michael Kretschmer und den russischen Präsidenten Wladimir Putin am Freitag in Sankt Petersburg trennte. Die beiden Politiker saßen beim Internationalen Wirtschaftsforum nebeneinander - zwischen ihnen nur ein kleiner Tisch mit einem Blumenstrauß darauf und zwei Schreibblöcken. Kretschmer ist auf solche Bilder dringend angewiesen. Denn der sächsische Regierungschef und seine CDU müssen fürchten, dass bei der Landtagswahl am 1. September nicht mehr sie, sondern die AfD stärkste Kraft im Freistaat wird.

Um dies zu verhindern, versucht Kretschmer, sich als Ministerpräsident darzustellen, der im Ausland selbstbewusst die Interessen seines Bundeslandes vertritt. Im Kurznachrichtendienst Twitter erklärte Kretschmer, dass Russland ein »strategisch wichtiger Partner« sei. Für eine bessere Beziehung »brauchen wir ein Ende der Sanktionen«. Zuvor hatte Kretschmer dieses Thema lange ignoriert. Die Sanktionen waren im Zuge des Konflikts in der Ukraine und der Sezession der Krim unter anderem von der Europäischen Union und den USA verhängt worden. Kretschmer konstatierte, dass die Sanktionen gerade für die sächsische und ostdeutsche Wirtschaft ein großes Problem seien.

So sieht es auch die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft. Nach Angaben des Verbands hat die sächsische Wirtschaft früher vom Handel mit Russland stark profitiert. Die Exporte stiegen von 2010 bis 2013 um 86 Prozent. Seit dem März 2014 hat die EU schrittweise restriktive Maßnahmen gegen Russland verhängt. Von 2013 bis 2018 wurde ein Rückgang der sächsischen Exporte nach Russland um 60 Prozent verzeichnet. In Deutschland gab es insgesamt einen Rückgang von 32 Prozent.

In der eigenen Partei geriet Kretschmer sofort in die Kritik. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte der »Bild am Sonntag«, die Sanktionen gegen Russland seien die »Reaktion auf das völkerrechtswidrige Verhalten der russischen Regierung auf der Krim und in der Ostukraine«. Solange sich am russischen Verhalten dort nichts ändere, gebe es auch »keinen Spielraum für eine Änderung in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit«.

Diese Aussagen entsprechen weitgehend der Haltung der schwarz-roten Bundesregierung. Kramp-Karrenbauer hat sie etwas verschärft vorgetragen. Das ist nicht verwunderlich. Sie hat vor einigen Monaten ihren Vertrauten Nico Lange, einen harschen Kritiker von Putin, in die CDU-Zentrale eingeschleust. Lange hatte einst das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew geleitet und dort die Opposition gegen den russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch unter anderem durch Lehrgänge unterstützt. Die »Welt« schrieb einmal, dass Lange für den ukrainischen Boxer und konservativen Politiker Vitali Klitschko einer der »Brückenköpfe in den Westen« gewesen sei. Nachdem Kramp-Karrenbauer vergangenes Jahr zunächst Generalsekretärin der CDU wurde, holte sie Lange aus der saarländischen Staatskanzlei nach Berlin. Dort ist er nun stellvertretender Bundesgeschäftsführer der Partei.

Kretschmer wollte seiner Parteichefin nicht komplett widersprechen. »Wir brauchen die Befriedung dieses Ukraine-Konfliktes, in dem jeden Tag Menschen sterben. Aber wir wollen auch, dass die Sanktionen so schnell wie möglich enden«, sagte er gegenüber der dpa. Freundliche Töne für Kretschmer waren hingegen in Erfurt zu hören. Er unterstütze Kretschmers Bemühungen um einen verbesserten Dialog mit Russland und ein Ende der Sanktionen, teilte Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow am Montag mit. Auch der LINKE-Politiker verwies auf die Folgen für die ostdeutsche Wirtschaft.

Allerdings gibt es auch kleine Bewegungen in den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Am Freitag unterschrieb Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in Sankt Petersburg mit seinem russischen Amtskollegen Maxim Oreschkin eine Absichtserklärung für eine Effizienzpartnerschaft. Deutsche Technologien sollen der russischen Wirtschaft etwa mit neuen Maschinen helfen. Die Bundesrepublik verfolgt eine Doppelstrategie gegenüber Moskau. Einerseits setzt sie auf eine militärische Aufrüstung in der EU, die sich auch gegen Moskau richtet. Andererseits soll Russland als Wirtschaftspartner und Rohstofflieferant trotz Sanktionen nicht komplett verprellt werden.

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