Junge Ärzte, frisches Blut

Das Cottbuser Carl-Thiem-Krankenhaus soll zur Universitätsklinik gemacht werden

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Bislang ist das Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum (CTK) akademisches Lehrkrankenhaus der Berliner Universitätsklinik Charité. Einige junge Menschen, die in der Hauptstadt Medizin studieren, absolvieren hier praktische Teile ihrer Ausbildung. Jetzt will das CTK selbst Universitätsklinik werden. Zum Wintersemester 2023/2024 sollen die ersten 100 Studenten anfangen, schließlich sollen hier einmal 1000 junge Männer und Frauen Medizin studieren.

Das ist ein ambitionierter Plan. Brandenburg ist das einzige Bundesland, das selbst keine Ärzte ausbildet. Dies mit gutem Grund. Die Wissenschaftsministerium vertrat lange die Ansicht, dass sich ein kleines Bundesland dies nicht leisten könne. Es vertraute auf Berlin. Doch wenn junge Brandenburger einmal in der Metropole waren, dann wollten sie viel zu selten zurück aufs Land, wo Ärzte fehlen.

Fakten

Mit 1203 Betten und 2500 Mitarbeitern ist das Carl-Thiem-Klinikum (CTK) größtes Krankenhaus Brandenburgs und eines der größten in Deutschland.

Pro Jahr werden im CTK 100.000 Patienten stationär oder ambulant behandelt.

1914 hatte der Unfallchirurg Professor Carl Thiem in Cottbus die Vereinigte Städtische und Thiemsche Heilanstalt eröffnet. af

Nun eröffnet sich eine Chance, die so die nächsten 100 Jahre nicht mehr kommt, findet Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Im Zuge des geplanten Ausstiegs aus der Braunkohle bis spätestens 2038 erhalten die betroffenen Reviere von der Bundesregierung 40 Milliarden Euro. Die Lausitz, die aus einem brandenburgischen und einem sächsischen Teil besteht, bekommt 17 Milliarden Euro ab. 1,1 Milliarden Euro möchte Brandenburg für die Umwandlung des CTK in eine Universitätsklinik abzweigen.

Schätzungsweise 400 Millionen Euro werde der Aufbau kosten, heißt es. Jährliche 50 bis 60 Millionen Euro werden für den laufenden Betrieb veranschlagt. »Diese Chance hatten wir noch nie«, schwärmt Wissenschaftsministerin Martina Münch (SPD) am Montag im CTK, wo sie mit Ministerpräsident Woidke über die Pläne informiert. Münch ist überzeugt: »Diese Chance müssen wir ergreifen.«

Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) freut sich schon über das »frische Blut« der 1000 zusätzlichen Studierenden in seiner Stadt und hofft, dass einige davon nach dem Abschluss hier bleiben werden. Es freut sich auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der ebenfalls ins Klinikum gekommen ist. »Brandenburg hat gut vorgearbeitet«, lobt er den erreichten Stand des Projektes und die Idee, einen Teil der Strukturhilfen des Bundes für eine Medizinerausbildung in der Lausitz zu nutzen. Schließlich benötige auch Sachsen Ärzte.

Klinikdirektor Götz Brodermann ist überzeugt, dass es einen »Klebeeffekt« gibt und junge Ärzte in der Region bleiben. Er spricht von einem »Aufstieg in die Champions League«, was zeigt, wie ehrgeizig das Vorhaben ist. Gleichzeitig versichert Brodermann, dass CTK habe gute Voraussetzungen. Das Krankenhaus sei fast komplett, verfüge bereits über alle Bereiche, ausgenommen nur die Herzchirurgie und die Transplantationsmedizin. Auch gebe es keinen Sanierungsstau.

Umgesetzt werden soll der Plan mit der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, die ebenfalls nicht unbeleckt ist. Die Gesundheitswissenschaft gehört schon zu den Standbeinen der Universität, nur ein klassisches Medizinstudium gibt es dort noch nicht.

Nachdenkliche Töne sind indessen aus dem Hause von Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij (LINKE) zu hören. Ihr Staatssekretär Andreas Büttner ist irritiert, dass sein Ressort nicht beteiligt wird, obwohl es doch für die Zulassung der jungen Ärzte zuständig wäre. Wird der Bund überhaupt einverstanden sein, Sach- und Personalkosten aus seinen Mitteln zu bestreiten? Wäre das nicht ein Präzedenzfall? Würden sich dann nicht auch andere Bundesländer melden? Muss der Bund nicht allein deswegen Nein sagen?

Die Verhandlungen laufen, erklärt Ministerpräsident Woidke. Die Medizinerausbildung in Cottbus soll aber kommen - so oder so. Der Bundestagsabgeordnete Ulrich Freese (SPD) betont, die Möglichkeit, auch Personalkosten mit den Strukturhilfen zu decken, sei extra schriftlich fixiert worden.

Trotzdem hat Ronny Kretschmer ein Problem damit, wie es läuft. Kretschmer ist Kandidat der Linkspartei für die Landtagswahl im September. Früher war er Betriebsrat bei den Ruppiner Kliniken. Genau daher rührt seine Verstimmung. In Neuruppin besteht seit fünf Jahren die Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB), die sich bislang vergeblich um ein Engagement des Landes bemühte. Von der Papierform her handelt es sich um eine private Hochschule. Träger sind allerdings die kommunalen Ruppiner Kliniken, das Städtische Klinikum in Brandenburg/Havel, die Stadtwerke Neuruppin und die Sparkasse.

Mit elf Prozent beteiligt ist außerdem die gemeinnützige Immanuel-Diakonie Bernau. Da ist niemand mit einer Gewinnerzielungsabsicht dabei, sagt Kretschmer. 125.000 Euro Gebühr kostet ein Medizinstudium an der MHB. 85.000 Euro übernehmen die Kliniken, wenn sich der Student verpflichtet, nach dem Abschluss bei ihnen zu arbeiten. Würde das Land sich finanziell beteiligen, könnte der Eigenanteil der Studenten gesenkt, vielleicht abgeschafft werden. Das wäre billiger, als in Cottbus etwas Neues aufzuziehen, heißt es.

Immerhin stellt Woidke am Montag in Aussicht, dass die MHB Hilfe vom Land bekommt. Sie soll für den Norden Brandenburgs die Funktion übernehmen, die dem CTK für den Süden zugedacht ist.

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