Der schmutzige Wahlkampf der AKP

Die türkische Regierungspartei setzt in Istanbul vor allem auf rechtsnationalistische Unterstützer

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Entscheidung, die Kommunalwahl vom 31. März in Istanbul annullieren zu lassen, könnte sich noch als schwerer Fehler von Recep Tayyip Erdogans AKP erweisen. Meinungsforschungsinstitute sind geschlossen der Meinung, dass der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem Imamoglu, bei der Wahlwiederholung am Sonntag seinen hauchdünnen Vorsprung sogar auf zwei bis vier Prozentpunkte ausbauen kann. Die Meinungsforscher lagen allerdings auch am 31. März daneben, als sie eher den Kandidaten Binali Yildirim, der von Staatschef Erdogan unterstützt wird, mit geringem Abstand vorne liegen sahen.

Doch auch wenn man nicht bei den Instituten schaut, bekommt man rasch den Eindruck, dass Imamoglus Kampagne eher gut und Yildirims Kampagne eher schlecht läuft. Entsprechend versucht die AKP es nun mit der Dämonisierung des politischen Gegners. Vor der vergangenen Wahl hatte die Zeitung »Hürriyet« verbreitet, im Falle eines Wahlsieges der Opposition würden Istanbul und Ankara von Kurden verwaltet werden. Als Beleg diente ein erfundenes Zitat des kurdischen Politikers Sezai Temelli. Geholfen hat die Geschichte wenig, beide Städte gingen an die Opposition.

Doch nationalbewusste Türken sollten achtgeben, Imamoglu sei womöglich ein Grieche und Istanbul solle wieder Konstantinopel werden, heißt es nun. Das wusste man vor der Wahl am 31. März noch nicht, doch nun kommt es aus allen Ecken, man hört es angeblich sogar von den Griechen. Der stellvertretende Vorsitzende der AKP, Nurettin Canikli, sprach es aus: »Die Griechen sagen, Ekrem Imamoglu ist Grieche.« Da gebe es doch nun viele Fragen und Zweifel, nämlich an Imamoglu, meinte Canikli.

Dürsten nach Gerechtigkeit
Vor der Bürgermeisterwahl in Istanbul wird der CHP-Kandidat Ekrem Imamoglu auch von linken Kurden unterstützt

Die Behauptung ist allerdings eher von AKP-nahen Türken als von Griechen in die Welt gesetzt worden. Sie basiert darauf, dass Imamoglu aus Trabzon stammt, einer früher einmal griechischen Stadt am Schwarzen Meer, das auf Griechisch Pontos hieß. Etwa 300 000 Pontos-Griechen wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Schwarzmeerregion vertrieben. Die »Umsiedlung« wurde im Vertrag von Lausanne legalisiert. Am Ende aber sind ja »Krypto-Griechen« beziehungsweise »Krypto-Christen« in der Region verblieben?

Just in dieser Gemengelage setzte Imamoglu seinen Fuß in seine Geburtsstadt Trabzon und wurde dort von einer unüberschaubaren Menge begeistert empfangen. Der Vorsitzende der Vereinigung der türkischen Kammern und der Istanbuler Handelsbörse, Ali Topuz, nahm das als Beweis: Die Griechen in Trabzon feiern Imamoglu. Anscheinend gibt es von dieser bisher im Verborgenen existierenden Minderheit noch viel mehr. Imamoglu setzte seine Tour durch andere Schwarzmeerstädte fort und überall strömten Massen zusammen, um ihn zu feiern.

Insgesamt dürfte die versuchte Diffamierung dazu geführt haben, dass Imamoglus Identität als Kind der Schwarzmeerregion gestärkt wurde. Das ist in Istanbul nicht unwichtig, denn ein großer Teil der heutigen Bewohner sind selbst oder ihre Eltern aus der Schwarzmeerregion zugezogen. Imamoglu versucht seinerseits nicht, seinen Gegner anzuschwärzen beziehungsweise anschwärzen zu lassen. Stattdessen macht er soziale Versprechen, wie etwa die kostenlose Benutzung des städtischen Nahverkehrs für Arbeitslose.

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