Keine Zeit zum Wundenlecken

Sachsens LINKE beschließt ihr Programm für die Landtagswahl und setzt dabei auf »revolutionäre Realpolitik«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Sachsen ist ein Land, das dem Auge oft gut tut: malerische Gebirgsregionen, romantische Flusstäler. In politischer Hinsicht scheint das gerade ein Problem zu sein. »Je idyllischer die Landschaft, desto zorniger die Menschen«, sagt Luise Neuhaus-Warenberg. Die LINKE, für die sie im Landtag sitzt, habe dem momentan »kaum etwas entgegenzusetzen«.

Die Analyse wird vorgetragen auf einem Parteitag in Chemnitz, mit dem Sachsens Genossen die Kampagne zur Landtagswahl am 1. September eröffnen wollen, indem sie ihr Programm beschließen - auf dem sie aber erst einmal einen Schlag in die Magengrube verdauen müssen. Bei der Europa- und Kommunalwahl im Mai setzte es eine Niederlage; in den Kreistagen verlor man ein Drittel der Mandate. Das sei der »tiefste Einschnitt in die kommunale Verankerung seit 1990«, sagt Landeschefin Antje Feiks und räumt ein, die Partei stecke in einer »existenziellen Krise«. Die Motivation von Basis und Anhängern, schrieb sie zuvor in einer Analyse, sei nach der ersten Runde in diesem sächsischen Wahljahr »geschwächt«.

Verloren geben will die Partei die zweite Runde indes nicht; mit einer »klugen Kampagnenführung«, steht in dem Schreiben, könne man noch ein »starkes Ergebnis einfahren«. Man werde am Wahlabend »eine der stärkeren Parteien in Sachsen« sein, ist auch Rico Gebhardt überzeugt, der die Partei zum zweiten Mal nach 2014 in einen Landtagswahlkampf führt. Damals kam die LINKE auf 18,9 Prozent und wurde zweitstärkste Kraft im Landtag; in aktuellen Umfragen wird sie bei 15 bis 16 Prozent gehandelt - allerdings als dritte Kraft hinter den Kopf an Kopf liegenden CDU und AfD. Ziel ist es, nicht noch weiter an Boden zu verlieren, etwa gegenüber den im Höhenflug befindlichen Grünen. Man habe, sagt Feiks, den »Führungsanspruch im linken Lager«.

Für den Wahlkampf lasse sich von den Grünen lernen, sagt der Meißner Tilo Hellmann: »Sie sind fröhlich, geschlossen und führen einen positiven Wahlkampf; das strahlt aus.« Susanne Schaper aus Chemnitz mahnt zu engagiertem Einsatz. Noch seien neun Wochen Zeit: »Wunden lecken können wir später.« Feiks verspricht, dass eine bereits vor der Kommunalwahl geplante Offensive für den ländlichen Raum, für die 100 000 Euro eingeplant waren, von der aber »nur wenig« zu sehen gewesen sei, nun komme: In ihrem Schreiben avisiert sie »neue Tourkonzepte«. Die Kampagne soll »deutlich vor den Sommerferien«, die am 8. Juli beginnen, starten.

Inhaltlich soll dabei noch einmal zugespitzt werden: Man müsse »klarer, deutlicher, antikapitalistischer« sein, schreibt Feiks. Vor den 185 Delegierten beschrieb sie das Angebot der Partei als »revolutionäre Realpolitik«. Man wolle, fügte sie an, »keine Angepasstheit und Zufriedenheit« mit den gesellschaftlichen Zuständen, und man stelle »die Eigentumsfrage«. Rico Gebhardt führte als zentrale politische Forderung eine »Privatisierungsbremse« für öffentliches Eigentum, ein Vergabegesetz mit Tariftreueklausel sowie mehr direkte Demokratie »ohne weltfremde Quoren« an.

Zudem hat die Partei drei Mindestbedingungen für Gespräche nach der Wahl genannt. Dazu gehören Maßnahmen gegen die steigenden Mieten in den Großstädten - im Wahlprogramm sind ein Mietendeckel nach Berliner Vorbild sowie der Bau von jährlich 20 000 Sozialwohnungen genannt -, zudem die Belebung des ländlichen Raums etwa durch verbesserte Nahversorgung in Dorfläden, wofür eine Landesgesellschaft geschaffen werden könnte; und schließlich das längere gemeinsame Lernen. Wer dieses Vorhaben, zu dem eine von der LINKEN mitgetragene Volksinitiative erst vergangene Woche deutlich mehr als die laut Gesetz erforderlichen 40 000 Unterschriften vorgelegt hatte, nicht unterstütze, müsse am Tag nach der Wahl bei der LINKEN gar nicht erst anrufen, sagte die Landesvorsitzende.

Welche politische Konstellationen nach dem 1. September möglich sind, ist derzeit völlig offen. CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer hat ein Bündnis mit der AfD - wie mit der LINKEN - ausgeschlossen, was heißen könnte, dass eine bis jetzt beispiellose Koalition aus vier Parteien gebildet werden muss. Gebhardt will aber trotz wenig ermutigender Umfragezahlen auch andere Varianten nicht ausschließen.

Er hoffe, dass eine »Mitte-links-Regierung« die CDU von der Macht vertreiben könne. Die seit 1990 im Freistaat regierende Partei »braucht den Absturz, um zur Besinnung zu kommen«, fügte er hinzu - und erteilte etwaigen Überlegungen eine Absage, Kretschmer als eine Art letzten Garant gegen eine bundesweit erste schwarz-blaue Koalition zu unterstützen. Dieser sei als langjähriger Generalsekretär der sächsischen CDU ein »Vorreiter neoliberaler Politik« gewesen und habe in seiner Zeit im Bundestag für »alle Auslandseinsätze« der Bundeswehr, aber gegen den Mindestlohn gestimmt, sagte Gebhardt: »Einen solchen Mann unterstütze ich nicht.«

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