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Der Rechtsrausch
Rechtsextremismus als Volks- und als Killerdroge.
Was ist Rechtsextremismus? Eine »Meinung«? Eine »Überzeugung«? Eine »Ideologie«? Ein »Weltbild«? Eine bizarre Verblendung, in der moralische Grundwerte abhandenkommen? Eine antimoralische und antirationale Herrschaftsform? Eine Bündelung aller antiliberalen und antihumanistischen Impulse aus der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaften: Retromanie, Rassismus, Sexismus, Homophobie, Nationalismus, Blut-und-Boden-Geraune, Führerprinzip, völkische Gesinnung, Identitätspolitik, Untertanengeist, Fremdenfeindlichkeit, Anti-Modernismus, Anti-Intellektualismus - und am Ende und immer wieder: Antisemitismus?
Alles das, ja. Und jede dieser Definitionen wird zu einer Antwort auf die Frage führen, ob man »mit Rechten reden« kann oder nicht. Die Erfahrungen dabei sind indes eher negativ: Widerspricht man, gar noch mit Argumenten und Fakten, ist man automatisch Verräter und Feind; sucht man den Kompromiss, tritt das Gesetz vom kleinen Finger und der ganzen Hand in Kraft. Man spricht dann gern von einem »geschlossenen« Weltbild, da ist kein Heran- und kein Hereinkommen mehr möglich.
Vielleicht hilft es, den Rechtsextremismus noch einmal von einer anderen Seite her anzusehen, von seinen Subjekten her, die sich so offenkundig darin besser fühlen als vorher. Rechtsextremismus ist offenbar (unter anderem) der Versuch, eine angeschlagene, widersprüchliche, enttäuschende, schwer erträgliche, langweilige oder einsame Biografie zu »heilen«. Ein fundamentaler Eingriff in die eigene Psyche. Nennen wir es: eine Droge.
Der Drogen-Charakter des Rechtsextremismus wird deutlich, wenn man die Auswirkungen mit jenen vergleicht, die man im allgemeinen Konsens im Suchtstadium als gefährlich bis tödlich für den Heavy User wie für seine Umwelt ansieht. Immer geht es dabei darum, dass der Person, zwischen Lust und Zerstörung, zwei grundlegende menschliche Eigenschaften abhandenkommen: Die Vernunft und die Moral.
Was die Droge attraktiv macht
Die Droge nimmt Hemmungen sozialer, persönlicher und moralischer Art. Wer sich Rechtsextremismus als Droge gibt, setzt gewöhnliche Hemmungen wie Respekt, Mitleid, Ehrlichkeit oder Fairness außer Kraft; die klassische Seelenarchitektur gerät außer Kraft: Ein monströs aufgeblähtes Über-Ich erlaubt, ja fordert das Es dazu heraus, sich nach allen Möglichkeiten auszutoben; das Ich einer Person überlebt diese Allianz nur als taktische Instanz, es empfindet keinerlei Scham oder Schuld. Die Enthemmung ist sexuell, semantisch, aggressiv und regressiv, sie erfasst nicht nur das Denken, sondern auch den ganzen Körper. Der will treten.
Die Droge entschuldet. Nicht Ich bin schwach, sondern Es ist stärker. Wo Ich war, soll Es sein. Dem Ich ist nichts zuzurechnen, es muss doch sein. Aber den anderen geht es genauso. Daher werden wir gemeinsam zum Es. Wenn die Droge wirkt, gibt es keine Verantwortung mehr. Die Droge füllt den Platz des Gewissens vollkommen aus. So heißt es nicht so sehr: Wir gegen die anderen. Es heißt Gewalt/Lust gegen Angst/Entwürdigung. Alles, was dem gutbürgerlichen Subjekt verboten ist, ist dem faschistischen Subjekt erlaubt, unter einer einzigen Voraussetzung: Es muss auf das völkische, rassistische, nationalistische Über-Ich bezogen sein.
Mit der Droge fühlt man sich stark, ja unbesiegbar. Man erkennt sich nicht mehr als der armselige Alltagsmensch, der man ist, sondern sieht sich groß und schön und stark. Die Welt scheint einem zu Füßen zu liegen, man schreit sie an. Wenn Es vom Ich Besitz ergriffen hat, bläst es sich unendlich auf. Auf Droge gibt es erst einmal kein Scheitern und keine Zurückweisung. Die Bewegungen werden traumhaft, mechanisch, unkontrolliert, und der Verlust der Fähigkeit zur klaren Sprache steht im Verhältnis zu einem zwanghaften Artikulationsschub. Etwas muss raus. Etwas gerät in eine Schleife. Im Rausch wird das eigene Spiegelbild toxisch verführerisch. (So wird im Wortsinn toll, was gerade noch zum Kotzen war.)
Mit der Droge fühlt man sich verbunden mit anderen. Wir grölen die gleichen Lieder, hören auf die gleichen Signaltöne; was uns sonst eher unangenehm ist, die Nähe, der Geruch, die Regression, das wird auf Droge selig und lustvoll. Die Droge lässt uns in einem Kollektiv verschmelzen, ob es real oder imaginär ist; die Droge macht aus der Kommunikation das Ritual; die Droge macht aus dem Wir einen süßen Brei. Aber der muss sich ergießen. Unter Drogenabhängigen gibt es die Deals der gegenseitigen Nachsicht und des Verständnisses. Der Rausch von Vergessen, Erstarken, Entschuldung und Verbindung wird zu einer Subkultur gegenseitiger Entlastung. Zum Subjektrausch kommt der Kollektivrausch; der Genuss ist nicht nur die Droge in mir, sondern auch die Droge in den anderen.
Die Droge hilft zu vergessen. Die erste Rechtfertigung für den Drogengebrauch findet sich immer in der trostarmen Wirklichkeit. Wer Sorgen hat, hat auch Likör. Das hatte ich jetzt wirklich nötig. Anders als berauscht ist das doch nicht zu ertragen. Die Droge verspricht Trost. Doch das, was man vergessen wollte, spukt noch im Rausch und im Zwangsritual weiter, es nimmt assoziative und dämonische Formen an. Ich vergesse, wer ich bin, weil ich es im Außen als Schreckgespenst noch bezwingen kann. Die Droge akkumuliert sich um eine Spirale von Hass und Selbsthass herum.
Mit der Droge sieht man alles klar und einfach. Das Denken verändert sich; einerseits entrückt es in Sphären der Irrealität, wenn nicht gar der Halluzination; andererseits reduziert es sich auf simple Standards, die, wie man es von Betrunkenen kennt, beständig wiederholt werden. Der Wiederholungszwang ist ein Phänomen der Droge wie die Entgrenzung der Verhältnismäßigkeit. Auf Droge ist alles so, wie man es sich vorstellt; die Welt des Wirklichen kann einen mal. Auf Droge ist nichts widersprüchlich und komplex. Die Droge erklärt die Welt.
Die Droge erzeugt ihr eigene Ästhetik, ihre eigene Sprache, ihre eigene »Kultur«. Man muss sich erkennen und tarnen, man muss sich bestätigen. Man muss Räume und Zeichen schaffen gegen die Kräfte, die die Droge wegnehmen könnten. Der Genuss der Droge will immer nach innen und nach außen. Tanzt die Droge, drogt der Tanz? Jede Droge hat ihre spezifische Form, sich in körperliche Bewegung umzusetzen. Die Droge Rechtsextremismus in Zombie Walking und in stumpfe Gewalt. Das Schwache muss geschlagen werden, weil das Schwache an das vorherige, das andere Leben erinnert, ohne die Droge, mit Vernunft und Moral.
Die Droge sucht nach Kontaktdrogen. So wie der Upper den Downer braucht oder der Schläger den Alkohol, die Zigarette das Bier und die Geltungssucht den Koks, sucht auch der Rechtsextremismus seine diversen Kontaktgifte, oben Kokain und unten Bier, oder der sexuelle Fetisch die politische Propaganda. Die Komplementär- und Kontaktdroge verstärkt die Wirkung der ersten Droge und gibt Impulsen eine Form. Das Kontaktgift zu Rechtsextremismus kann schließlich auch Macht sein. So dass wir bei manchen Dealern der Rechtsextremismus-Droge nicht zu sagen wüssten, ob ihre Machtgier sie rechtsextrem oder ihr Rechtsextremismus sie machtgierig gemacht hat.
Die Droge ist das Instrument der »Erlaubnis«. Der Genuss der Droge definiert, was verboten und was erlaubt ist, neu. Die Verschiebung der Grenzen betrifft zwar in erster Linie die Drogenkultur selbst, aber sie hat auch ein Echo in der Mainstream-Gesellschaft. In dieser wird, nur zum Beispiel, toleriert, dass an einem Biertisch andere Sitten herrschen als in einem Museum für griechische Plastiken; und was sich Onkel Willy wieder einmal geleistet hat … nun ja, wir hatten alle einiges getrunken. Droge und Verhalten befinden sich in einem dialektischen Verhältnis.
Die Steigerung der Dosis
Die Droge macht nicht nur abhängig, sie verlangt auch nach der Steigerung der Dosis. Dafür gibt es körperliche, psychische und soziale Gründe. Einer davon liegt in der Struktur des Vergessens selbst: Nicht nur das Defizit im eigenen Leben wird durch die Droge vergessen, sondern auch die eigene Schuld; doch in der Praxis der Droge wird immer weiter Schuld angehäuft, die wiederum durch die Droge vergessen werden soll, usw. Jede Droge erzeugt über kurz oder lang eine spezifische Art von Angst und Paranoia. Die »Bewegung« des Rechtsextremismus führt nicht nur in Gier, sondern auch in Angst zu immer neuen Schüben der »Radikalisierung«. Jede Droge meint am Ende: »die ganze Welt« einzuverleiben.
Die Droge hat etwas freigesetzt. Etwas, gewiss, das auch ohne die Droge da war, aber verborgen bleiben musste, kontrolliert, vielleicht unterdrückt. Die Droge holt das Monster nur hervor, geschaffen wurde es schon vorher. Aber mit der Droge wird es unkontrollierbar, gewalttätig, zerstörerisch. Als Droge wird Rechtsextremismus umfassend und total, von der »Einstellung« zur Sucht, vom »Weltbild« zum Welt-krieg.
Nehmen wir »Bestätigung« und »Aufmerksamkeit« als begehrte Wirkungen dieser Droge, individuell wie kollektiv, so wird klar, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt mediale Aufmerksamkeit, »Skandalisierung« oder Zustimmungswellen im Internet nicht mehr genügen. Der nächste Kick muss in einer Gewalttat zu finden sein. Man kann, wie der Rechtsextremismusforscher Gideon Botsch kürzlich im »Tagesspiegel« (17.6.), einen Zusammenhang zwischen den nicht erreichten Erwartungen und der Gewalt postulieren. Er hält es für »wahrscheinlich, dass mit dem Abflauen der Aufmerksamkeit für solche Gruppen die terroristischen Akte zunehmen werden«. Bis Mitte 2018 hätten diese Gruppen einen politischen Umsturz propagiert. Das habe nicht funktioniert, und der Frust darüber könne nun einige Zellen weiter radikalisieren: »Da hat die AfD deutlich mitmarkiert, da hat Pegida mitmarkiert. All diese Kräfte, die sich offiziell von Gewalt distanzieren, haben sehr deutlich zur Hetze beigetragen.«
Denn in einer ersten Phase wird die Öffentlichkeit gerade gesucht, man kann auf Droge Aufmerksamkeit erzielen (und man vergisst, wie unangenehm das für die Eigenen wie für die anderen sein kann), man will sogar auf sich aufmerksam machen; aber was, wenn diese Aufmerksamkeit nachlässt, wenn man sich an das Gegröle der Betrunkenen gewöhnt hat und die Party woanders weitergeht? Ein Knackpunkt in jedem einzelnen Drogenerlebnis mag die Kränkung sein; es ist der Augenblick, an dem die Sucht nach Zustimmung in Gewalt umschlagen muss. Die durch die Droge erzeugte Gemeinschaft erweist sich stets früher oder später als derbste der Illusionen; Junkies verurteilen sich gegenseitig vielleicht nicht, aber zur »Solidarität« werden sie nicht mehr fähig. Die »Kameradschaft« der Rechtsextremen hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem, was man Freundschaft nennt.
Aber die Gewalt ist auch eine immanente Auswirkung der Droge Rechtsextremismus. Sie wird, wie uns die historischen Beispiele zeigen, auch dort eingesetzt, wo der Rechtsextremismus Herrschaft und Regierung übernommen hat. Die Gewalt ist das innere Wesen dieser politischen Droge. Die Selbsterhöhung in ihrem Gebrauch ist unabdingbar verbunden mit der sadistischen Erniedrigung der anderen. Der faschistische Drogentrip ist die rauschhafte Inszenierung der eigenen Übermenschlichkeit gegenüber der Entmenschlichung anderer.
Was die Droge anrichtet
Ein erster positiver Kontakt mit der Droge muss zugleich Ausweg und Versprechen sein. Auch hier kann man gewiss »Einstiegsdrogen« (Rechtspopulismus), Gewöhnungseffekte (»Radikalisierung«) und »harte Droge« (neofaschistische Subkulturen) unterscheiden, ein mal langsameres, mal rascheres Gleiten von scheinbar harmlosen Anfängen zu den Punkten, an denen es so gut wie keine Rückkehr mehr gibt. All das, was die Droge verspricht, das Sich-stark-Fühlen, die Enthemmung, die Vereinfachung, die Gemeinschaft der User, die Drogenräume und -träume, ist ja nicht erreicht, sondern verschwindet wieder, sobald die Droge abgesetzt ist, die Wirkung nachgelassen hat. So braucht man Nachschub.
Die Droge muss um jeden Preis beschafft werden. Anderswo spricht man von »Beschaffungskriminalität«. Wenn zunächst die Droge Hemmungen abbaut, dann müssen nun wiederum Hemmungen überwunden werden, um in ihren Genuss zu kommen. Mehr und mehr wird die Droge zum System, in dem Zeichen, Gesten, Riten, Narrative, Symbole, Begriffe besetzt und umgewandelt werden. Die Droge besetzt nach und nach den ganzen Menschen; er kann außerhalb ihrer nicht mehr denken und nicht mehr empfinden. Weder Erziehung noch Belehrung, weder Moral noch Vernunft gelten, wenn man die Droge haben muss. Deshalb ist es folgerichtig, selbst noch die absehbare Verwandlung vom berauschten Übermenschen in das Häufchen Elend zu instrumentalisieren: Hat man nicht gekriegt, was man wollte, ist man sogleich das arme Opfer; das Selbstmitleid ist so hemmungslos wie die sadistische Gewalt.
Die Dealer der Droge werden die wichtigsten Menschen im Leben. Sie haben die Abhängigen vollkommen in der Hand. Wo man mit einer Droge handelt, der legalen und viel mehr noch der illegalen, da entstehen auch kriminelle Netzwerke, wird Geld gewaschen oder werden lästige Mitwisser beseitigt. Drogen machen nicht allein Menschen, sondern auch soziale Systeme krank. Die Dealer geben ihren Kunden immer wieder dasselbe, immer ein bisschen mehr davon, und sie verlangen immer dasselbe und immer ein bisschen mehr davon, und sie geben es ihnen nach den immer gleichen Regeln: offene Verdecktheit, verdeckte Offenheit. Sind die Dealer selber drogenabhängig, oder sind sie von einer Meta-Droge abhängig, der Lust an der Abhängigkeit ihrer Kunden, den Geldflüssen, die wie bei jeder Droge auch hier eine bedeutende Rolle spielen? Wer pumpt die Droge in welche Ghettos, und mit welchem Interesse geschieht es? Der kritische Blick auf die Spendengeschichten der öffentlichen Rechten und der Finanz- und Materialflüsse von dort zur Subkultur und zum Untergrund zeigen hinlänglich auf einen Zusammenhang von Ökonomie, Kriminalität und Droge.
Die Droge führt zu einem Bruch in der Biografie, es ist ein Bruch mit der Gesellschaft. Das meint nicht so sehr den Bruch mit den anderen (jedenfalls den »Cleanen«), es meint vielmehr den Bruch mit dem Konzept Gesellschaft. Es ist auch die Droge, die verlangt, Gesellschaft durch »Gemeinschaft« zu ersetzen, denn Gemeinschaften wissen, anders als die Gesellschaft, das Geheimnis zu bewahren. Der Gebrauch der Droge hat aus der Gesellschaft ein Wir und die Anderen gemacht, und nach und nach wird aus einem temporären Zustand dabei ein institutioneller. Nie werden »die Anderen« verstehen (dürfen), was im Wir vor sich geht. Jede Drogenkultur schottet sich mehr und mehr ab, muss das Außen als feindlich empfinden. Droge und Bande bedingen einander.
Die Droge ist toxisch auch für das Umfeld. Wer abhängig von ihr ist, will auch andere abhängig machen. Deshalb sagt sich nicht nur der Drogierte, sondern auch sein familiäres und nachbarschaftliches Umfeld gern, man könne jederzeit aufhören, man habe die Sache im Griff. Daher die beständige Versicherung, noch nicht den entscheidenden Schritt in die Abhängigkeit getan zu haben: Du bist kein Nazi, bloß weil du bei Pegida und AfD bist, versichert ein Buch eines ehemaligen Polizeibeamten; man will nicht »in die rechte Ecke gestellt werden«, bloß weil man Hitler und Mussolini gar nicht mal so schlecht fand, und einer »linksgrün versifften« Unordnung jede Diktatur vorziehen würde. Die allgemeine Leugnung der Drogenabhängigkeit ist mindestens so gefährlich wie die individuelle. Bis tief in die Mitte der politischen Klasse hinein ist schwer zu sagen, ob die Protagonisten selber schon der Droge verfallen sind oder einfach weiter nach Zustimmung fischen, im Bierzelt und im Rechtsrausch. Wir erinnern uns an das Kontaktgift Machtgier.
Die Droge schließlich macht leichtgläubig und lässt die Grenzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit verschwinden. Man glaubt alles, wenn es nur in Zusammenhang mit der Droge steht. Nur so ist es verständlich, dass Menschen, nur zum Beispiel, immer wieder an Versprechungen und falsche Anschuldigungen der Rechtspopulisten glauben, obwohl diese mehrfach bewiesen haben (etwa Boris Johnson, der schon als Bürgermeister Steuersenkungen versprach, die er nie durchführte, und nun im Wahlkampf dieselben Lügengeschichten verbreitet, oder Donald Trump, der auf eine atemberaubende Anzahl leicht nachweisbarer Lügen kommt), dass sie nur heiße Luft verkaufen. Nüchtern würde ihnen niemand glauben, aber im Rausch der Selbstermächtigung und des Wir-Gefühls würde man glauben, die großen weißen alten Männer würden ganz persönlich ein Geldgeschenk vorbeibringen, wenn es die »jüdisch-bolschewistischen« oder »islamisch-linksgrünen« Verschwörer*innen nicht verhinderten.
Was die Droge tödlich macht
In jeder Drogenkarriere gibt es vier oder fünf Punkte, die eine fundamentale Veränderung der Lebensführung, der Wahrnehmung und der Kommunikation mit sich bringen: Die Kontaktaufnahme mit der Droge. Der explizite Suchtcharakter, der sich als toxisches Verlangen äußert. Die Unmöglichkeit, die Sucht vor den anderen noch zu verbergen. Der Bruch mit der bürgerlichen Biografie. Die Verzweiflungstat (Überdosis, Suizid, Amoklauf).
Der Bruch mit der bürgerlichen Biografie liegt in der Erlaubnis zu hassen; Rechtsextremismus ist die Vorzugsdroge des »autoritären Charakters«. Den Hass auf dieser Droge sieht man zumindest nur unvollkommen, wenn man nicht zugleich die Lust am Hassen sieht, eine obszöne, sadistische Lust an Angst, Schmerz und Tod des anderen, der dafür freigegeben wurde. Die Empfindung der eigenen Macht ist gebunden an den fundamentalen Verlust von Empathie; »Gaffer« auf der Autobahn, die Retter behindern und verprügeln, sind gleichsam die neoliberal-medienkranke Variante der sadistischen Volksdroge sadistischer Rechtsextremismus.
Die Verzweiflungstat ist zugleich der »final kick«, die »Entladung«; eine Drogenkarriere, die nicht allein im »Versumpfen« und »Verdämmern« endet, ist nicht selten auf einen solchen final kick, auf den »goldenen Schuss«, den »ultimativen Trip« ausgerichtet. Die mörderische Aktion ist das letzte Stadium von Rechtsextremismus als harte Droge. Das Mörderische lauerte indes schon von Anbeginn darin.
Durch den Rechtspopulismus in seinen verschiedenen Formen konnte der Rechtsextremismus zur »Volksdroge« werden, das heißt: Ihr Gebrauch ist weitgehend akzeptiert, mehr noch, ein allzu expliziter Verzicht darauf wird als gefährliche Spielverderberei, elitäre Ziererei, wenn nun eben nicht als Verrat betrachtet. Durch eine allfällige Verharmlosung, Vertuschung und Maskierung (»kranker Einzeltäter«) wurde die Entwicklung zur Killerdroge unterstützt.
Natürlich wäre es fahrlässig, den Rechtsextremismus vollkommen auf den Drogen-Charakter zurückzuführen, da sind zu viele handfeste Interessen, zu viel Berechnung, zu viel Macht im Spiel. Für ganze Gruppen, männerbündische Gewalthorden hier, Herrenmenschen dort, die den Verlust ihrer Klassenprivilegien nie verwunden haben, nur zum Beispiel. Aber nicht minder fahrlässig wäre es, diese Drogenwirkung vollkommen außer acht zu lassen und Rechtsextremismus als, vielleicht falsche, »Meinung« oder »Überzeugung« zu behandeln, oder aber als reine Verschwörungsnotbremse eines wieder einmal in den Krise geratenen Kapitalismus.
Die Frage ist daher nicht so sehr, wie man »mit Rechten reden« könnte, sondern die, wann jemand, der von der weichen Droge des Rechtskonservatismus zur gefährlicheren Droge des Rechtspopulismus und von dort zur harten Droge des Rechtsextremismus wechselt, noch zu retten wäre oder zur Umkehr aus eigenen Stücken fähig. Darum sind die Dealer mit den weichen Drogen, die rechten in der CDU/CSU, die unbedingt ein Bündnis mit der AfD wollen, bevor ihnen LINKE oder Grüne vielleicht das eine oder andere Geschäft verderben, so gefährlich für diese Gesellschaft.
Der Nährboden für das Machtinstrument wie für die Droge Faschismus sind Feigheit, Opportunismus, Korruption. Eine liberale Drogenpolitik ist, auch was diese sehr spezielle Droge namens Rechtsextremismus anbelangt, ganz und gar nicht laissez faire. Gesellschaft ist unter anderem der Ort, an dem Toleranz und Abwehr ausgehandelt werden. Es ist (hoffentlich noch) Zeit für eine Entgiftung und eine Therapie gegen die Volks- und Killerdroge Rechtsextremismus.
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