Eigentum verpflichtet zur Nachhaltigkeit

Über 50.000 Metaller demonstrierten in Berlin für einen fairen und nachhaltigen Umbau der Wirtschaft

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Berliner Tiergarten war am Samstag fest in Arbeiterhand. Vielen Metallern stand die Freude ins Gesicht geschrieben, dass mit über 50.000 Anwesenden die Mobilisierung stärker ausgefallen war als erwartet. Viele waren erstmals in ihrem Leben bei einer solchen Veranstaltung. Bei einer Mischung aus Demo und Open-Air-Konzert machte sich ein »Wir-Gefühl« breit. Unter dem Motto »Fair-Wandel« hatte die IG Metall in die Hauptstadt mobilisiert, um in Zeiten der Digitalisierung und des Klimawandels für einen fairen und nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zu demonstrieren. Am Ende des Tages konnte die größte DGB-Gewerkschaft als Erfolg verbuchen, dass sie auch im Hochsommer mobilisieren kann.

Dass bei den Umbrüchen in den Betrieben arbeitende Menschen oft auf der Strecke bleiben und die Ängste vor dem Verlust gut bezahlter Jobs real sind, zeigte schon die vorgeschaltete Demo der IG-Metall-Jugend durch das Regierungsviertel. »Arbeitsplätze bleiben an der Spree«, so ein Banner aus dem Siemens-Dynamowerk in Berlin-Spandau, wo vor einem Jahr eine drohende Schließung abgewehrt wurde, aber Stellenabbau droht. »Wir können Energiewende«, war die Botschaft aus dem Moabiter Gasturbinenwerk. Ein Betriebsrat von Infineon in Dresden beklagte, dass sehr viele Lehrlinge nicht übernommen würden. Facharbeiter würden als Leiharbeiter eingestellt und landeten nach zwei Jahren wieder auf der Straße.

Dabei waren nicht nur die Herausforderungen bei Klimawende und Digitalisierung ein Thema. Die Gewerkschafter machten auch über Missstände ihrem Ärger Luft. Viele trugen aus Protest gegen das anhaltende West-Ost-Gefälle T-Shirts mit der Aufschrift »35 reicht. Keine Zeit für neue Mauern«. Denn während für westdeutsche Metaller seit den 1990er Jahren die 35-Stunden-Woche im Tarifvertrag steht, sind es im Osten immer noch 38 Stunden. Lehrlingen aus Sachsen-Anhalt brennt auf den Nägeln, dass die Fahrt zur Berufsschule zum Luxus wird, weil es weder Azubiticket noch Benzingeld gibt. »Stillstand hat noch nie etwas bewegt«, so die Aufschrift auf zahlreichen T-Shirts. »Keiner mag Kapitalisten« und »Chabos wissen, wer enteignet wird«, hatten junge Metaller aus Bayern in Anlehnung an einen bekannten Rapsong auf Plakate geschrieben. So wolle man sich mit der Berliner Bewegung »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« solidarisieren, sagte Leo von der IG-Metall-Jugend Neu-Ulm/Günzburg.

Andere Transparente forderten ein klares Profil der Gewerkschaft gegen Rüstungsexporte, Aufrüstung und Militarisierung. Für einen »Systemwandel statt Klimawandel« und einen Generalstreik machten sich Berliner Klimaaktivisten stark. »Fridays for Future, IG Metall, wir sind solidarisch gegen Kapital«, riefen sie gemeinsam mit hessischen Metallern, die demonstrativ auf ihren T-Shirts für eine Vergesellschaftung von Schlüsseindustrien warben, wie sie §2 der Gewerkschaftssatzung fordert.

Kämpferisch gab sich auch Gewerkschaftschef Jörg Hofmann. Die Klimakatastrophe sei »von Menschen gemacht« und müsse jetzt auch von Menschen gestoppt werden, rief er der Menge zu. »Eigentum verpflichtet zum nachhaltigen Wirtschaften«, ermahnte er die Besitzer der Produktionsmittel und warf ihnen angesichts des Abbaus von Arbeitsplätzen »soziale Kälte« vor. Digitalisierungsgewinne seien in gute Arbeit zu investieren, statt in den Taschen der Aktionäre zu landen. Die Politik müsse mit einem Transformationskurzarbeitergeld die Umschulung auf neue Technologien und Produkte ermöglichen sowie ein flächendeckendes Netz von Ladestationen für E-Autos einrichten. Mit einer Schuldenbremse sei die notwendige Energie- und Verkehrswende nicht zu machen, so Hofmann.

Weil die IG Metall ihre Ziele nicht allein erreichen kann, kamen Verbündete zu Wort. »IG Metall und VdK haben zusammen 4,3 Millionen Mitglieder. Wir werden gehört«, so Verena Bentele vom Sozialverband VdK. »Gewinne gehören uns allen«, rief sie aus und forderte eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung und eine einheitliche Rentenversicherung für alle. Über einen »historischen Schulterschluss« freute sich Olaf Tschimpke vom Naturschutzbund NABU. »Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Keil zwischen Klimaschutz und Beschäftigteninteressen getrieben wird«, betonte er und lobte die französische Gewerkschaft CGT, die einen 66-Punkte-Katalog für eine sozial-ökologische Wende erstellt hatte.

Die größte Betriebsdelegation bildeten gut 1500 Beschäftigte aus dem Bamberger Bosch-Werk, die »tief beeindruckt« die Rückreise antraten, so Matthias Gebhardt von der örtlichen IG Metall. Angesichts sinkender Nachfrage nach Teilen für Verbrennungsmotoren bangen sie um ihre Zukunft und drängen auf die Umstellung der Produktion auf alternative Antriebstechniken. »Ob Brennstoffzelle oder Wasserstoffantrieb, das könnten wir alles, man muss uns nur lassen«, so eine Arbeiterin. Vorstellungen von VW-Chef Herbert Diess, dass der Elektromotor allein selig mache und stillgelegte AKW wieder in Betrieb gehen müssten, seien »völlig indiskutabel«, sagte Gebhardt.

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