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»Oberflächliche Ausreden«
Ältestenrat der LINKEN übt scharfe Kritik an der Wahlanalyse der Parteiführung zur EU-Parlamentswahl
Jörg Schindler referiert über die in Italien verhaftete Kapitänin der »Sea Watch 3«, über die Waldbrände und den Hambacher Forst, über die rot-grün-rote Koalition in Bremen und den Streit der Großen Koalition zum Tierwohl. Erst auf Nachfrage geht der Bundesgeschäftsführer auf der montäglichen Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus auf die Sitzung des Parteivorstands vom Wochenende ein, der zum wiederholten Mal zusammengekommen war, um Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis der EU-Parlamentswahl zu beraten.
Die Debatten seien noch nicht zu Ende, sagt der Bundesgeschäftsführer, womit er Fragen nach vorzeigbaren Beschlüssen vorbeugt. Dass man aber bereits erste Schlüsse gezogen habe, sagt er auch. So zum Beispiel ist es nach Schindlers Worten nötig, künftig die ökologische und die soziale Frage besser zu verbinden. Auch die Partei müsse sich verändern. Mit Blick auf die verunsicherte Wählerschaft im Osten will die Parteiführung künftig »kollektiv neue Schwerpunkte setzen«, um gerade auch junge Menschen zu erreichen. Beteiligungsmöglichkeiten sollten verbessert, Feedback erleichtert werden. Die erfolgreichen Kampagnen der Partei wie zu Pflege und Wohnen jedoch wolle man fortsetzen.
Die von einer Gruppe von 13 Bundestagsabgeordneten erhobenen Vorwürfe gegenüber der Parteiführung hätten am Wochenende keine Rolle gespielt, so Schindler. Die Abgeordneten hatten in einem Thesenpapier scharfe Worte über eine nach ihrer Auffassung gescheiterte Wahlkampfstrategie gefunden. Unter anderem kritisieren sie, dass die LINKE vor allem bei Arbeitern und Arbeitslosen an Zustimmung eingebüßt hatte und dieses Ergebnis auf unzureichende Antworten der Partei im Wahlkampf auf die soziale Frage zurückgeführt. Der Bundesgeschäftsführer nennt diesen Vorwurf jedoch ungerechtfertigt. Man habe die soziale Frage im Wahlkampf in den Vordergrund gestellt. Ohnehin, so Jörg Schindler, sei er lediglich in diesem einen Papier erhoben worden.
Doch auch der Ältestenrat der Linkspartei spricht von einer schwindenden kulturelle Bindung der LINKEN »zu den arbeitenden Armen, den Arbeitslosen und dem vom System abgehängten Teil der Jugend«. In einer an den Parteivorstand übermittelten »Mitteilung« des Beratungsgremiums nach der letzten Ältestenratssitzung vom Anfang des Monats kommen die Mitglieder damit zu einem ähnlichen Befund wie die 13 Bundestagsabgeordneten. »Der Wahlausgang ist für die Partei die LINKE, mit Ausnahme des Ergebnisses der Bremischen Bürgerschaftswahl, als schwere Niederlage zu betrachten.« Der »Markenkern unserer Partei als fundamentale Gegnerin des kapitalistischen Systems und als konsequente Vertreterin ostdeutscher Belange« drohe verloren zu gehen. Bremen sei hier die Ausnahme, heißt es mit Blick auf die Verbesserung des Wahlergebnisses bei der Landtagswahl am 26. Mai gegenüber der letzten Wahl um 1,8 Prozentpunkte. Das offizielle Erscheinungsbild der Partei hingegen werde, so konstatieren die Mitglieder des Ältestenrats, »durch eine Mischung von pseudo-professioneller Langeweile und links-grünen Attitüden bestimmt«.
Deshalb sei eine schonungslose Aufarbeitung der Wahlergebnisse und der gesamtpolitischen Lage erforderlich, heißt es in der Mitteilung, die vom Ehrenvorsitzenden der Partei und Vorsitzenden des Ältestenrats, Hans Modrow, unterzeichnet ist. »Ungenügende Führungsanalyse« verhindere eine »gründliche, kritisch-konstruktive Einschätzung von Schwächen und Fehlern in der Wahlstrategie«. Was der Ältestenrat selbst von der bisherigen Wahlanalyse hält, darüber unterrichtet er die Parteiführung ohne jeden Versuch der Diplomatie. Deren Reaktion auf den Ausgang der EU-Parlamentswahl sei »unangemessen und von oberflächlichen Ausreden gekennzeichnet. Dies gilt erst recht angesichts der eigenen Ankündigungen und Erwartungen vor der Wahl.« Nicht die Summe einzelner Fehler im Wahlkampf sollten im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen, heißt es, »sondern die Schwächen politischer Führung und fehlende Dynamik auf den Wechsel von Massenstimmungen. Wenn bisher galt, die Kommunen sind eine feste Basis für DIE LINKE, dann zeigen die Wahlergebnisse gerade andere Zeichen. Größere Rückschläge mit Verlusten bis an 50 Prozent in mittleren und Kleinstädten mussten konstatiert werden.«
Der Ältestenrat schreibt in düsterer Voraussicht: »Die alte Aussage über ein sozialdemokratisches Jahrhundert erfüllt sich nicht. Es wird auch kein Grünes Jahrhundert geben, da die Klimafrage mit neuen Kämpfen um Ressourcen die Frage nach Krieg und Frieden mit neuer Schärfe stellen wird.« Und er konstatiert kritisch: »Die linken Kräfte in der EU decken die tieferen Zusammenhänge dieser Prozesse kaum auf.«
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