• Politik
  • Verband Deutscher Kapitäne

Retten ohne Einschränkung

Wilhelm Mertens vom Verband Deutscher Kapitäne über das Sterben im Mittelmeer

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die italienischen Behörden haben den Hausarrest gegen die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete aufgehoben, die Ermittlungen dauern jedoch an. Was hat die Nachricht der Freilassung bei Ihnen ausgelöst?

Wir begrüßen die Freilassung der Kapitänin Carola Rackete außerordentlich. Die richterliche Überprüfung ihrer Festnahme hat die Legalität ihres Handelns festgestellt - und zwar eindeutig. Bis auf den Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Migration sind alle Anklagepunkte aufgehoben worden.

Hat die Kapitänin korrekt gehandelt?

Carola Rackete hat sich im Spagat zwischen Moralität und Legalität für moralisches Handeln entschieden.

Was meinen Sie damit?

Die Kapitänin hatte eine Fürsorgepflicht für die Menschen auf ihrem Schiff. Um dieser nachzukommen, musste sie in den Hafen von Lampedusa einlaufen - wofür sie jedoch keine Genehmigung bekam. Sie tat es trotzdem. Dieser Entscheidung ist Respekt zu zollen.

Über zwei Wochen musste die »Sea-Watch 3« umherirren. Die EU-Staaten konnten oder wollten sich nicht einigen. Wie bewerten Sie das Verhalten des Staatenbundes?

Die EU wälzt die drängenden Fragen, wie die der Migrationspolitik, auf Einzelpersonen ab - in diesem Fall auf die Kapitäne. Damit nimmt sie deren Kriminalisierung durch inkompetente, populistische Politiker in Kauf. Es ist unerträglich, mit welcher Ignoranz und Inkompetenz der Staatenbund hier agiert.

Welche Rolle spielt dabei Deutschland aus Ihrer Sicht?

Wir können nicht erkennen, dass die Bundesregierung und die gewählten Vertreter Deutschlands im EU-Parlament eine europäische Lösung herbeiführen.

Die EU finanziert und bildet dafür die libysche Küstenwache aus, die Geflüchtete auf dem Mittelmeer abfängt und zurück ins Land bringt. Immer wieder gibt es auch die Forderung, dass zivile Schiffe gerettete Flüchtlinge nach Libyen bringen sollen. Ist das eine Option?

Nach meinem Kenntnisstand gilt Libyen nicht als sicherer Staat, in den man Flüchtlinge bringen kann oder darf.

Unter welchen Umständen sind Kapitäne zur Rettung von Schutzsuchenden oder Schiffbrüchigen im Mittelmeer verpflichtet?

Die Pflicht zur Rettung von Menschen in Seenot ist als Ausdruck der Menschlichkeit tief verankert in der Jahrhunderte alten maritimen Tradition. Sie gilt gemeinhin als ungeschriebenes »Völkergewohnheitsrecht«. Kodifiziert wurde die Pflicht zur Seenotrettung unter anderem im »Internationalem Übereinkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (Solas)«, im »Internationalem Übereinkommen über Seenotrettung (SAR)« sowie im »Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ)«.

Können diese Übereinkommen durch nationales Recht so einfach aufgehoben werden?

Diese Abkommen sind internationales Recht, von allen europäischen Staaten anerkannt und ratifiziert. Sie können nicht durch nationales Recht aufgehoben werden.

Macht es für Sie einen Unterschied, ob ein Geflüchteter im Mittelmeer oder ein Yacht-Urlauber in der Ostsee gerettet werden muss?

Die humanitären Prinzipien der Seenotrettung gelten ohne Einschränkung für alle und an jedem Ort.

»Sea Watch« befürchtet, dass durch die zeitweilige Festnahme von Rackete vor allem ein Signal an andere zivile Schiffe gesendet werden sollte. Wächst unter zivilen Kapitänen die Angst vor einer möglichen Repression im Falle einer Seenotrettung?

Die Angst fährt immer mit. Einen verantwortungsvollen Kapitän wird sie aber nicht davon abhalten, in Seenot befindliche Menschen zu retten.

Haben Sie von Fällen gehört, wo deutsche Kapitäne ziviler Schiffe oder in Deutschland registrierte Schiffe an Geflüchteten im Mittelmeer vorbeigefahren sind?

Nein.

Was ist notwendig, um das Sterben auf dem Mittelmeer sowie die Kriminalisierung der Seenotretter zu beenden?

Der Verband Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere fordert, dass die Bundesregierung und die gewählten Vertreter im EU-Parlament auf eine längst überfällige europäische Lösung drängen. Dies muss in allen EU-Gremien geschehen, deutlich intensiver und aggressiver als bisher, und unter Androhung geeigneter Konsequenzen. Dem sinnlosen, aber offensichtlich politisch bewusst in Kauf genommenen Sterben im Mittelmeer muss ein Ende bereitet werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -