Der AfD ein Dorn im Auge

Zivilgesellschaftliche Initiativen in Sachsen müssen eine Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten fürchten

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.

Im August 2018 wertete die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt eine Große Anfrage aus. Mit 236 Fragen hatte sie den Verein »Miteinander e.V.« ausgeforscht, der gegen Rechtsextremismus aktiv ist: dessen Arbeit, das Netzwerk, die Finanzierung. Nun eröffnete der damalige Fraktionschef André Poggenburg die Attacke: Die Tätigkeit von »Miteinander« sei ein »Spuk, der beendet werden muss«, sagte er. Man werde alle Hebel ziehen, um ihm staatliche Förderung und Gemeinnützigkeit zu entziehen: »Wir werden das durchfechten bis zum Letzten.«

In Dresden hat man die Vorgänge in Magdeburg genau verfolgt: die Anfragen im Landtag, dann die von der AfD beantragte, von Teilen der CDU mitgetragene Einsetzung einer Enquetekommission »Linksextremismus«, zuletzt sogar AfD-Pläne für einen Untersuchungsausschuss zum Thema. Die Methoden, mit der die Partei im Nachbarland Kritiker mundtot zu machen versucht, seien »eine Blaupause«, sagt Michael Nattke. Er ist Referent im Kulturbüro Sachsen, einem Verein, der 2001 mit dem Ziel gegründet wurde, die demokratische Zivilgesellschaft im Freistaat zu stärken. Man betreibe dabei »keine Werbung für oder gegen einzelne Parteien«, betont Nattke. Allerdings steht der Verein für Werte: Gleichheit aller Menschen, Weltoffenheit, Toleranz. Es ist eine Perspektive, aus der die AfD als »nicht wählbare Partei« erscheint.

Es steht allerdings zu befürchten, dass viele sächsische Wähler diese Beurteilung nicht teilen. Bei der Landtagswahl am 1. September wird ein Siegeszug der Rechtspopulisten erwartet. 2014 waren sie mit damals »nur« 9,7 Prozent erstmals in einen Landtag eingezogen; jetzt dürfte es Umfragen zufolge mindestens so viel sein wie 2016 in Sachsen-Anhalt, als die AfD 24,3 Prozent holte. Nicht ausgeschlossen, dass sie im Freistaat stärkste Partei wird; nicht undenkbar, dass sie danach erstmals an einer Regierung beteiligt wird. Das, sagt Nattke, wäre »das Todesurteil für Demokratiearbeit in Sachsen«.

Zivilgesellschaftliche Initiativen wie das Kulturbüro, aber auch der Sächsische Flüchtlingsrat oder alternative Kulturzentren sind der AfD schon jetzt ein Dorn im Auge. Mit kleinen Anfragen werden praktisch im Wochentakt Informationen beispielsweise über jene Projekte gesammelt, die Mittel aus dem Förderprogramm »Weltoffenes Sachsen« erhalten. Das empfinde man »erst einmal nicht als Bedrohung«, sagt Nattke. Die Ressourcen und politischen Möglichkeiten der AfD, den Vereinen auf dieser Grundlage Unannehmlichkeiten zu bereiten, sind begrenzt - noch. Untersuchungsausschüsse etwa müssen von einem Viertel der Abgeordneten beantragt werden. Im aktuellen Landtag stellt die AfD seit dem Abgang der Ex-Chefin Frauke Petry samt vierer Getreuer aber nur neun Abgeordnete.

Die Zahl wird sich deutlich erhöhen - und damit auch die Kraft, nicht genehme Initiativen und Vereine nach dem bereits in Sachsen-Anhalt praktizierten Muster unter Druck zu setzen und in ihrer Arbeit zu behindern. Wer das ist, daraus macht die AfD kein Hehl. In ihrem »Regierungsprogramm« für Sachsen ist zu lesen, die Förderung »politisch tätiger Vereine« solle »allenfalls mit größtem Augenmaß« erfolgen und mit einer »Extremismusklausel« verknüpft werden. Namentlich erwähnt wird im Programm die Initiative »Schule ohne Rassismus«, die einen »Kampf gegen die AfD« führe. Deren Landeschef Jörg Urban präzisierte unlängst, »auf die Finger schauen« und Fördergeld streichen wolle man »linksextremen« Vereinen und Demokratieinitiativen. Ein von ihm genanntes Beispiel: der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR).

Vize-Geschäftsführer Thomas Hoffmann ist nicht überrascht. »Wer sich für die Rechte Geflüchteter engagiert, ist der AfD ein Dorn im Auge«, sagt er. Weil der Flüchtlingsrat etwa Informationen über bevorstehende Abschiebungen weitergebe, werde er von AfD-Politikern regelmäßig als Teil einer so genannten »Abschiebeverhinderungsindustrie« attackiert.

Allerdings: Die Förderpolitik des Freistaats bleibt davon unberührt. Der SFR erhält Fördermittel aus einem Topf für »integrative Maßnahmen«, der nach dem Eintritt der SPD in eine Regierung mit der CDU 2014 geschaffen wurde. Damit wird Asylberatung angeboten, die es zuvor »25 Jahre in Sachsen nicht gegeben hat«, sagt Hoffmann. Wie diese Gespräche geführt werden, kann der gegen angebliche »Masseneinwanderung« wetternden AfD nicht gefallen: »Wir beraten ergebnisoffen.« Die AfD dagegen will selbst geduldete Flüchtlinge nur auf eine »mittelfristige Rückkehr« vorbereiten, wie es in ihrem Wahlprogramm heißt.

Wie stark die Arbeit etwa des SFR durch eine eventuelle AfD-Regierungsbeteiligung beeinträchtigt würde, ist offen. Zumindest ein Teil der Projekte wird direkt vom Bund finanziert; das Land hätte auf die Vergabe also keinen Zugriff. Anders ist das bei vielen Projekten zur Demokratieförderung. Für diese gibt der Bund zwar Geld; ausgereicht und aufgestockt wird es aber vom Freistaat, der auch die Förderbedingungen formuliert. Nach Informationen des »nd« haben Demokratieinitiativen das zuständige Bundesministerium für Familie und Soziales gebeten, seine Förderung künftig direkt an die Träger zu zahlen, aber ohne Erfolg. Die Vergabe bleibt vom politischen Willen in Sachsen abhängig - und zwar nicht nur im Land, sondern auch in den Kommunen, wie Michael Nattke vom Kulturbüro anmerkt. Bei den lokalen »Partnerschaften für Demokratie« etwa, die viele Projekte unterstützten, werde über die Mittelvergabe in Gremien entschieden, denen Vertreter der örtlichen Parlamente angehören. Auch dort ist die AfD seit der Kommunalwahl im Mai ein mächtiger Akteur, in zwei Kreistagen und vielen Gemeinderäten sogar als stärkste Kraft.

Leidtragende dieses Rechtsrucks sind nicht die nur von der AfD als »linksextrem« angesehenen Demokratievereine. Auch Einrichtungen wie die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Queeres Netzwerk Sachsen, deren 15 Mitgliedsvereine sich für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt engagieren, sehen schwierigen Zeiten entgegen. Zwar sei die LAG »noch nicht namentlich als Feindbild markiert«, sagt Sprecher Martin Wunderlich. Doch er gibt sich keinen Illusionen hin, welche Auswirkungen es hätte, wenn die »vielfaltsfeindliche« AfD regieren würde. In ihrem Wahlprogramm erhebt diese das »traditionelle« - von Wunderlich als »heteronormativ« bezeichnete - Familienmodell zur Basis allen Handelns; dagegen sollten »abweichende« Lebensmodelle »nicht mehr Raum einnehmen, als sie im Alltagsleben haben«.

Zudem zieht die AfD gegen eine vermeintliche »Frühsexualisierung« zu Felde. Zu deren Vertretern zählte sie in einer Großen Anfrage vom Sommer 2018 in verunglimpfender Absicht auch Vereine wie Gerede e.V. aus Dresden oder RosaLinde e.V. aus Leipzig. Beide sind Mitglieder der LAG. Diese wiederum werde, sagt Wunderlich, »zu 100 Prozent« aus Geldern des SPD-geführten Ministeriums für Gleichstellung und Integration finanziert. Säße die AfD am Kabinettstisch, dürfte dieses Ressort verschwinden. Und die LAG, sagt deren Sprecher, »müsste mit Sicherheit zumachen«.

Wie aber ist der Gefahr zu begegnen? Viele Initiativen, sagt Nattke, suchten den Schulterschluss; im Netzwerk »Tolerantes Sachsen« etwa tauscht man Erfahrungen dazu aus, wie auf politischen Druck von außen so reagiert werden kann, dass die eigentliche Vereinsarbeit nicht zum Erliegen kommt. Manche nehmen auch vorsorglich Kontakt zu Rechtsanwälten auf, um sich gegen Diffamierung und Falschdarstellungen wehren zu können. Vor allem aber will man die verbleibende Zeit bis zur Wahl nutzen, sagt Michael Nattke. Die »Werte des Grundgesetzes«, für die auch das Kulturbüro stehe, sollten »über den Sommer hinweg in Sachsen noch stärker gemacht werden«.

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