Macht ist keine Landschaft

Wie stellt man Gewalt dar? Ein deutsch-namibisches Ausstellungsprojekt zwischen Aufarbeitung und Verzerrung.

  • Jemima Beukes
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Weißwaschen der Geschichte - das werfen einige Nama und Ovaherero in Namibia den Macher*innen der Kunstausstellung »Ovizire. Somgu: From Where Do We Speak?« vor. Die Ausstellung wurde 2018 in Hamburg eröffnet und ist nun in der National Art Gallery of Namibia in Windhoek zu sehen.

Erarbeitet wurde die Ausstellung von namibischen und deutschen Künstler*innen und Historiker*innen im Rahmen eines Projekts unter Leitung des Hamburger Historikers Jürgen Zimmerer. Erst 2015, so sagte Zimmerer bei der Eröffnung, habe er erfahren, dass das Ethnologische Museum in Hamburg mehr als 3500 Fotografien aus dem kolonialen Afrika in seinem Besitz hat, davon 1000 allein aus Namibia. »Kein anderes afrikanisches Land wurde so tiefgreifend von Deutschland verändert wie Namibia«, sagte er und verwies auf die intensive und traumatische geteilte Vergangenheit von Namibia und Deutschland.

Die gezeigten Arbeiten der namibischen Künstler*innen Vitjitua Ndjiharine, Nicola Brandt, Nashilongweshipwe Mushaandja, Hildegard Titus und Isabel Katjavivi setzen sich in Multimedia-Installationen, Fotografien und Collagen mit dem Genozid an den Nama und Ovaherero auseinander. Bei einem Gang durch die Galerie stellt sich jedoch das Gefühl ein, dass die Künstler*innen teils vorsichtig um die Fakten herumschleichen. So ist etwa das Bild des kontroversen »Reiterdenkmals«, eine Statue zu Ehren verstorbener deutscher Soldaten und Zivilisten, mit »Landschaften der Macht« überschrieben. Wenig greifbar wird so die tatsächliche Bedeutung des Bildes. Und diese Ambiguität ist allgegenwärtig. Viele Bilder sind mit eher vagen und willkürlichen Beschreibungen versehen, wie etwa »Legacies of Whiteness« (Vermächtnis des Weißseins), anstatt das Publikum mit prägnanten Informationen über die abgebildeten Ereignisse aufzuklären.

Ohne Frage sieht man aber auch Installationen, wie etwa die in Dünensand getauchten Schädel, über welche die Besucher*innen stolpern, über die man ins Stocken gerät - und ins Nachdenken über die Menschen, die gestorben sind und in flachen Gräbern in der Wüste Namib begraben wurden.

Gordon Joseph, ein Nachkomme der Nama, ist der Ansicht, dass diese Ausstellung, wie auch andere von ausländischen Regierungen finanzierten, die Geschichte weiß wasche und die brutale Erfahrung der Nama und Ovaherero während des Genozids verharmlose. Insbesondere der Ausdruck »entangled history« in der Einleitung zur der Ausstellung - ein in der Forschung oft verwendeter Begriff, um die Verschränkung von Geschichte(n) zu beschreiben - hat ihn verärgert. »Nicht nur der Genozid war brutal und diese Zeit war brutal. Die Nama erleben immer noch die Auswirkungen dieser Zeit. Sie sollte nicht als gemeinsame Vergangenheit beschrieben werden, eine Vergangenheit, von der wir uns versuchen zu erholen und mit der wir versuchen klarzukommen.«

Von anderer Seite wurde die Ausstellung durchaus als wichtiger Augenöffner und als faszinierende Verarbeitung alter Archivbilder beschrieben, welche die Menschen über die Vergangenheit nachdenken lassen. Doch: »Einige der Bilder wurden verändert, um Denkanstöße zu geben«, sagt ein Experte, der anonym bleiben will. Und genau diese Modifizierung der Bilder ist es, die Menschen wie Joseph und Esther Muinjangue, Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation in Namibia, irritieren und die sie als »komplette Verzerrung« der Geschichte interpretieren.

»Menschen wurden wie Sklaven behandelt, sie trugen keine Kleidung. Das war Teil der brutalen Geschichte. Warum sollte man das verfälschen? Wie soll man Menschen über die Geschichte aufklären, wenn man ihre Flecken reinwäscht?« fragt sich Joseph.

Die mitwirkende deutsche Historikerin Ulrike Peters ist betroffen angesichts dieser Kritik. Für sie war es eine »moralische Entscheidung« die brutalsten Bilder in ihrer unverarbeiteten Form gerade nicht zu zeigen, um keine alten Wunden wieder aufzureißen. »Die Kolonialgeschichte ist in Deutschland nicht sehr bekannt und ich würde sagen, dass man in Deutschland eine sehr weiß gewaschene Idee dieser Geschichte hat. Gerade deshalb wollten wir dieses Thema aufgreifen und es in Deutschland und Namibia publik machen. Ich bin überrascht, dass die Menschen hier so darüber denken«, so Peters. »Wir haben uns dagegen entschieden. Wir wollten niemanden entblößen. Diese Menschen wurden oft nackt fotografiert, ohne um Erlaubnis gefragt zu werden. Sie mussten Zwangsarbeit leisten und wurden brutal kategorisiert. Wir wollten diese Gewalt nicht reproduzieren.«

Auch wenn die Ausstellung für die einen vieles ungesagt lässt, sehen andere Besucher*innen darin den Anfang eines Gesprächs über die langfristigen Folgen von Kolonialismus, Genozid und Gewalt - auch für die Wirtschaft des Landes.

Zu den ökonomischen Auswirkungen von Kolonialismus und Genozid auf die Nama und Ovaherero arbeitet auch die beteiligte Künstlerin Hildegard Titus. Viele der Nama und Ovaherero sind heutzutage als Vertragsarbeiter oder Hausangestellte tätig. In ihrer Installation greift Titus dieses Missverhältnis auf, indem sie die Uniform einer Hausangestellten zeigt. Als Teil ihrer Präsentation lief die Künstlerin selbst als Hausangestellte verkleidet durch das Gebäude: Niemandem fiel das auf. Sie will damit die Ungleichheit aufzeigen, die bis heute zwischen weißen und Schwarzen Menschen in der namibischen Gesellschaft herrscht, wo Schwarze Frauen als Hausangestellte die Norm sind. Übersetzung: Ulrike Wagener

Die Ausstellung »Ovizire. Somgu: From Where Do We Speak«, gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung, ist vom 11.7. bis 24.8. in der National Art Gallery of Namibia (NAGN) in Windhoek zu sehen.

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