Für das Recht auf Krieg

Bei der japanischen Oberhauswahl strebt Premierminister Shinzo Abe eine Zweidrittelmehrheit an. Dann könnte er die Verfassung ändern.

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Durch die Blume sagte es der Premier ziemlich deutlich: »Der stärkste Fokus dieser Oberhauswahl liegt auf der Frage, ob wir eine neue Ära der Stabilität einläuten können.« Und Stabilität, daran ließ Shinzo Abe bei einer Pressekonferenz Anfang der Woche keinen Zweifel, wäre nur durch einen klaren Wahlsieg erreicht. Bekommen nämlich seine rechtskonservative Liberaldemokratische Partei (LDP) und ihr verbundene Strömungen eine Zweidrittelmehrheit, dann könnte die Regierung endlich das ihr wichtigste aller Themen anpacken.

Kaum ein politisches Thema wurde in Japan in den letzten Jahren so heiß diskutiert wie dieses: Ist die pazifistische Verfassung, die dem Land mit Artikel 9 jedes Recht auf Kriegsführung abspricht, noch zeitgemäß? Shinzo Abe betont seit seiner Wahl zum Premierminister Ende 2012, eine Umschreibung des obersten Gesetzestextes sei unvermeidlich. Er will Artikel 9 zumindest abschwächen, möglichst aber ganz abschaffen. Eine seit 2014 geltende Interpretation der Verfassung, nach der sich Japan im Fall einer Bedrohung sowie eines Angriffs auf strategische Partner sehr wohl militärisch verteidigen dürfe, hat der Premier bereits veranlasst. Damit diese aber auf festen Beinen steht, braucht er eine Revision der Verfassung. Hierfür hofft Abe nun bei der Wahl am Sonntag auf die nötige Mehrheit im Oberhaus, der schwächeren der zwei Kammern des japanischen Parlaments.

Es wäre das erste Mal, dass die Nachkriegsverfassung des ostasiatischen Landes geändert würde. Die Hürden für so einen Schritt sind mit Absicht hoch: Sowohl im Unter- als auch im Oberhaus bräuchte Abe jeweils Zweidrittelmehrheiten, anschließend müsste noch ein Volksentscheid ausgerufen werden. Denn als die Siegermacht USA nach dem Zweiten Weltkrieg Japans Verfassung schrieb, war das Ziel, sie vor Übergriffen einzelner politischer Strömungen zu schützen. Ähnlich wie Deutschland war Japan zuvor in den Faschismus abgedriftet, obwohl das Land eine liberale Verfassung hatte.

Mit entsprechender Vehemenz wird die Debatte über das Thema geführt. Die Gegner einer Verfassungsänderung argumentieren, niemand dürfe am pazifistischen Gesetzestext rütteln, weil dieser die Friedfertigkeit Japans nach 1945 garantiere. Zudem habe man, einerseits als Aggressor im Zweiten Weltkrieg, andererseits als Opfer der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki, eine besondere Verantwortung, weltweit für Konfliktlösungen ohne Waffengewalt einzutreten.

Dagegen führen die Befürworter einer Verfassungsrevision ins Feld, dass insbesondere Artikel 9 die Handlungsfähigkeit beschränke. Nationalisten, Shinzo Abe eingeschlossen, stören sich zudem daran, dass dieser Passus von einem anderen Staat oktroyiert wurde. Zudem sei Japans bisheriger Pazifismus untragbar geworden, da sich mit China und Nordkorea zwei Länder in der Nachbarschaft befänden, die seit Jahren aufrüsten und sich teilweise unberechenbar verhielten. Japan, das ob seiner Verfassung auch nicht der NATO angehört, müsse sich aber gegen mögliche Aggressoren wehren können.

Um möglichst viele Wähler von seiner Sache zu überzeugen, schürt der Premier auch Ressentiments gegenüber dem Ausland. Jahrelang hat sich Abe Wortgefechte mit Chinas Präsident Xi Jinping über Territorialkonflikte geliefert. Ende 2018 beschloss Japan zudem den Austritt aus der Internationalen Walfangkommission, um mit Anfang Juli, also kurz vor der nun anstehenden Oberhauswahl, wieder kommerziellen Walfang zu betreiben. Während im Land kaum noch Nachfrage nach dem Fleisch der Tiere besteht, appelliert dieser Schritt an nationale Traditionen und sendet die Botschaft, dass man sich vom Ausland nichts diktieren lasse.

Anfang des Monats beschränkte Abes Regierung auch noch den Export von Elektronikgütern ins ungeliebte Südkorea, was die dortige Hightechbranche hart trifft. Hintergrund war hier ein Gerichtsurteil in Seoul vor rund zwei Jahren, das von japanischen Konzernen für deren Zwangsarbeitereinsatz in Südkorea während des Zweiten Weltkriegs Schadenersatzzahlungen forderte. Japan betrachtet dieses Kapitel durch einen früheren Vertrag bereits als abgegolten und will das Urteil nicht anerkennen.

Ende Juni noch ließ sich Premier Abe noch als Hüter des Multilateralismus feiern, als er in Osaka den G20-Gipfel organisierte und dort alle Länder zur Verständigung in globalen Fragen wie Handel und Klimawandel aufrief. Im April hatte er sich zudem Forderungen der Unternehmensverbände nach einer Lockerung der Regeln für Arbeitsimmigration gebeugt, weil das Land akut an Arbeitskräftemangel herrscht. Mit den Handelssanktionen gegen Südkorea befriedet Abe nun, kurz vor der Oberhauswahl, noch das nationalistische Lager. Ob dies reichen wird, ist ungewiss. Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo dürfte Abe eine klare Mehrheit erreichen, allerdings waren Mitte der Woche noch 40 Prozent der Wähler unentschlossen.

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