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Zwischen Kommerz und Politik

Europas größtes Lesbisch-Schwules Stadtfest in Schöneberg läutet die Pride Week ein

  • Julian Seeberger
  • Lesedauer: 4 Min.

Schon beim Durchschreiten des riesigen Regenbogentors spürt man die wummernden Bässe, nach wenigen Metern kommt man kaum mehr voran. Uniformierte Männer, quasi nackte Frauen, Dragqueens und erste Fetisch-Outfits fallen ins Auge, während man sich im Gedränge unausweichlich nahe kommt. Reger Alkoholausschank flankiert den Weg in unverkrampftem Wechsel mit Ständen von Ministerien und Parteien. Und zwischen alldem in größter Selbstverständlichkeit: Heteros und Kinder. Ohne Zweifel, in seinem bereits 27. Jahr ist das Lesbisch-Schwule Stadtfest in Schöneberg längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

In dem bunten Mischmasch findet sich daher so allerhand: Von Wassereis in Penis-Form über schwule Schuhplattler bis hin zu bekannten Politikern. »Weit über 350 000 Besucher aus der ganzen Welt« erwarten die Organisatoren bis Sonntagabend, und erklären stolz, »das unangefochten größte Event seiner Art« auszurichten. Auch in den Straßen um den traditionell von der queeren Community geprägten Nollendorfplatz findet sich kaum ein Haus ohne Regenbogenflagge. Doch nicht nur hier ist dieses Symbol für Offenheit und Toleranz derzeit sehr präsent: Längst haben Unternehmen das liberale Image der Stadt für sich entdeckt und sich zu PR-Zwecken angeeignet. Die Sponsoren des Festes sind dann auch entsprechend stark präsent.

Nicht alle Besucher finden das gut: »Natürlich ist Berlin schon seit Jahrzehnten eine lebenswerte Stadt für Homosexuelle, in der es eine wirkliche Akzeptanz gibt - das Fest hier ist ja auch schon ein halbes Familien- oder Volksfest«, erklärt Besucher Marc Clemen. »Aber die Art, wie Stadt und Konzerne das nach außen tragen und propagieren, hat sich schon gewandelt, ist offensiver und mehr geworden«, sagt der 26-Jährige. Währenddessen manövriert er sich mit seinem Begleiter durch die Menge, lehnt Werbeflyer - die zumeist mit Kondomen überreicht werden - mal ab und mal nicht und kommentiert die Outfits und Erscheinung anderer Männer. Dass das Fest für Organisationen auch eine Möglichkeit sein kann, sich in entspannter Atmosphäre zu präsentieren, sehen die beiden ambivalent: »Das Fest dreht sich mittlerweile eigentlich weitestgehend um Party, Party, Party, während die Politik zusehends in den Hintergrund geraten ist«, findet Clemen. Für die Parteien sei das Ganze eher eine Alibiveranstaltung, sind sich die beiden einig.

Trotz des ganzen Kommerzes zeigt sich das Fest auch kritisch und mit klarer Positionierung. Auf eine Talkshow mit dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert folgt ein Chor, der unter großem Applaus »Bella Ciao« singt - eine Hymne italienischer Antifaschisten und Widerstandskämpfer. Gerichtet ist das Lied gegen den italienischen Innenminister Matteo Salvini und seine Politik der Abschottung Europas.

Im Anschluss eröffnet Klaus Wowereit (SPD) offiziell das Fest unter dem Motto »Gleiche Rechte für Ungleiche - weltweit!«. »Die besorgniserregenden Wahlergebnisse in vielen Ländern zeigen es: Demokratie muss Tag für Tag erkämpft werden«, meint der ehemalige Bürgermeister. Wowereit erinnert auch an den 50. Jahrestag der Kämpfe um die Homosexuellen-Bar Stonewall Inn in New York. Diese seien aus Übergriffen der Polizei auf friedliche Menschen entstanden. »Wenn wir heute zusammen hier stehen und so ein Fest feiern, dann verdanken wir das auch den Aktivisten von damals, den mutigen Männer und Frauen, die sich gewehrt haben, für Menschenrechte und gegen Ausgrenzung.«

Ein Höhepunkt des Festes ist die Verleihung des Rainbow Award, der dieses Jahr an das Modellprojekt »All Included« des Jugend-Museums Schöneberg geht. Als »nicht nur mutig, sondern auch einzigartig« lobt der Laudator, dass das Projekt mit und für Jugendliche und Kinder erarbeitet wurde und den musealen Raum verlasse, um auch in Klassenzimmern über sexuelle Vielfalt zu informieren.

Marc Clemen und sein Begleiter sind in der Zwischenzeit wieder in der Menge zwischen Einhornluftballons und Regenbogen-Artikeln verschwunden, um sich zu amüsieren. »Klar ist es voll, wie immer halt. Aber es ist schön, dass es das gibt«, sagen sie zum Abschied. Für sie kann die Pride Week rund um den Christopher Street Day nun kommen.

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