Ihr Name steht für Widerstand
Clara Zetkin wäre 150 Jahre alt - gefeiert wird im kleinen Kreis
Vor 150 Jahren wurde Clara Zetkin im sächsischen Wiederau geboren. In der DDR galt sie als sakrosankt, heute regiert »verordnetes Vergessen«.
Das Geburtstagskind steht in Folie verpackt. Ein Maler weißt die Fassade der Dorfschule von Wiederau; die Statue von Clara Zetkin soll vor Farbklecksen bewahrt werden. Sorgfalt, die spät kommt.Das erste Mal, sagt Ursula Bergmann, kippte Zetkin 1989. Damals, erzählt die Ortschronistin, stand die Plastik des Bildhauers Harald Stephan an einer Kreuzung mitten im Ort. Einst hatte ihr dort ein Kriegerdenkmal weichen müssen. Nun wollte man lieber wieder der Toten des I. Weltkriegs gedenken und nicht mehr der Frau, die nach dem Ja ihrer Genossen zu den Kriegskrediten 1914 meinte, »wahnsinnig zu werden oder mich töten zu müssen«. Das Kriegerdenkmal wurde wieder aufgebaut, Zetkin vom Sockel gestürzt: »Sie verschwand im Gebüsch.«
Lenken statt Gedenken
Ursula Bergmann hat Clara Zetkin in Wiederau kommen und gehen sehen. Als Zehnjährige erlebte sie die Einweihung der Gedenkstätte, mit der seit 1952 die bekannteste Tochter des mittelsächsischen Dorfes geehrt wurde. Sie sah Busse, die zu ihrem 100. Geburtstag Tausende Schüler und Werktätige in den Ort brachten. Aus jenem Jahr 1957 ist im Museum ein Zitat überliefert: »Das, wofür Clara Zetkin und die besten der Arbeiterklasse ein Leben lang gekämpft haben, ist in der DDR Wirklichkeit.« Davon sollte sich später auch Bergmann überzeugen, die als Lehrling die Gedenkstätte besuchte, was sie als »Pflichtveranstaltung« empfand. Nicht nur sie: Mit Ende der DDR »kam niemand mehr ins Museum«. Statt dessen zog eine Fahrschule ein: Lenken statt Gedenken.
Noch einmal stürzte man Zetkin 1993 - ausgerechnet zum Frauentag am 8. März, der auf ihre Initiative hin seit 1910 gefeiert wird. Ins Gestrüpp des Vergessens verbannt wurde sie damals indes nicht nur in ihrem Geburtsort. In Berlin intervenierte 1994 selbst Bundeskanzler Helmut Kohl, damit eine Straße ihres Namens entkleidet wurde. Sie sollte, sagt die Autorin Florence Hervé, auch im Osten des Landes einem »verordneten Vergessen« anheimfallen. In der alten Bundesrepublik hat das Tradition, sagt die Französin, die sich an 1982 erinnert. Da widmete die neue Regierung Mitterrand Zetkin eine Briefmarke. In der Bundesrepublik, so Hervé kürzlich auf einer Konferenz des Leipziger Zentrums für Frauen- und Geschlechterforschung, sei das »undenkbar«.
Das Verschweigen hat Gründe; schließlich war Zetkin eine führende deutsche Kommunistin, die schon Kaiser Wilhelm II. »die gefährlichste Hexe des deutschen Reiches« nannte. Da gehörte Zetkin, die heute vor 150 Jahren geboren wurde, mit dem russischen Emigranten Ossip Zetkin ohne Trauschein lebte, zwei Söhne hatte und später den 18 Jahre jüngeren Maler Friedrich Zundel heiratete, noch zu den führenden Köpfen der Sozialdemokratie. 1916 gründete sie die Spartakusgruppe mit, 1919 trat sie in die KPD ein, für die sie noch ein Jahr vor ihrem Tod 1933 als Alterspräsidentin den Reichstag eröffnete.
Angesichts dieser Biografie und ihrer Publikationen zu Frauenfragen, Klassenkampf, Bildung und Kultur verwundert es wenig, dass Zetkin in der DDR nicht nur Briefmarken gewidmet wurden. Sie sei als »sakrosankt« behandelt worden und habe »in der Taditionspflege unter den Frauen den ersten Rang« eingenommen, sagt Hans-Jürgen Arendt. Er gehörte einer Forschungsgemeinschaft zu Frauen und Arbeiterbewegung an, die an der Pädagogischen Hochschule »Clara Zetkin« in Leipzig eingerichtet wurde und nicht zuletzt über die Namenspatronin forschte - so weit das eben ging.
Werke nur im Archiv
Denn zwar war die Zetkin-Forschung in der DDR »stark inspirierend« für die internationale wissenschaftliche Arbeit, so Arendt. Zugleich gab es aber »Verzerrungen und Ungenauigkeiten«. Vor allem das schwierige Verhältnis Zetkins zur KPD-Führung um Ernst Thälmann sei »weitgehend entproblematisiert« worden. Weil aus parteipolitischen Gründen Quellen nur teilweise offengelegt wurden und andere Dokumente unzugänglich in Moskau lagerten, gelangte die DDR-Forschung laut Arendt schließlich »an einen toten Punkt«.
Die Folgen sind auch zum 150. Geburtstag Zetkins noch zu spüren. Zwar gibt es seit den 50er Jahren eine dreibändige Werkedition. Eine Gesamtausgabe der Reden und Briefe fehlt aber bislang ebenso wie eine »große wissenschaftliche, ihrem Wesen differenziert gerecht werdende Biografie«, so Arendt. Immerhin gibt es seit 1993 die viel gelobte Biografie des Franzosen Gilbert Badia. Deren Absatz sei freilich symptomatisch für das Interesse an Zetkin, sagt Mitübersetzerin Hervé: In Frankreich wurden 2000 Exemplare im Erscheinungsjahr verkauft, in Deutschland binnen sechs Jahren.
Dass Zetkin allenfalls im kleinen Kreis gefeiert wird, ist auch in ihrem Geburtsort nicht zu übersehen. Zwar ist die Schule samt Museum renoviert; auch eine neue Ausstellung über Zetkin gibt es. Doch deren Entstehen ist nur rührigen Frauen wie Ursula Bergmann zu danken, die 1992 nach 23 Jahren als Trikotagen-Näherin eine ABM bekam, sich um Dorfgeschichte kümmerte und dabei neu für Zetkin zu interessieren begann. Diese habe sich »bis an die Grenzen ihrer Gesundheit politisch engagiert und war trotzdem auch Frau und Mutter«, sagt Bergmann. Sie sei »heute aktueller denn je«.
Das sehen nicht viele so. Das Gästebuch in Wiederau enthält einige Dutzend Einträge von PDS-Gruppen, Landfrauen oder Besuchern aus Stuttgart. Im dortigen Ortsteil Sillenbuch lebte Zetkin lange; heute gibt es dort die neben Wiederau und Birkenwerder dritte, sehr aktive Gedenkstätte. Die Häuser in den beiden Ost-Kommunen ringen dagegen um Geld. In Wiederau gab es jetzt erstmals eine kleine Förderung. Eine offizielle Ehrung Zetkins aber ist im Freistaat Sachsen zum 150. Geburtstag nicht geplant.
Scharfe Zitate für Linke
Meist halten vor allem Linke und Frauengruppen die Erinnerung wach. In Leipzig werden heute an einem der noch existierenden Zetkin-Denkmäler »Blumen niedergelegt und einige scharfe Sachen zitiert«, sagt Christel Hartinger. Die Literaturwissenschaftlerin hatte für ihre Genossen in der Linkspartei schon zum Gründungsparteitag ein paar solcher »scharfen« Stellen herausgesucht, bei denen es um die Rolle von Frauen in sozialistischen Parteien geht - ein brandaktuelles Thema in der Linken.
Generell gehöre Zetkin zu den wichtigsten Bezugsfiguren für die neue Linke, meint Klaus Kinner. Der Geschäftsführer der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen verweist auf die geistige Nähe zwischen Luxemburg und Zetkin und deren Ideal der Partei als »Sammlungsbewegung, nicht als Kaderorganisation«. Zetkin habe früh »Fehlentwicklungen« wie die Stalinisierung der KPD erkannt. Zwar gehöre es zu ihrer »Tragik«, dass sie vor dem Bruch zurückschreckte: »Sie wollte bei den Massen bleiben und erkannte nicht, dass die Mittel den Zweck bereits desauvoiert hatten.« Dennoch gehöre sie »zu den Kommunisten, die unbedingt zu tradieren sind«.
Anderen fällt Erinnerung schwerer. In der Sozialdemokratie ist Zetkin kein Thema; in feministischen Kreisen gibt es neben Wertschätzung auch Kritik, weil Zektin mit ihrer Ablehnung bürgerlicher Positionen als »Spalterin der Frauenbewegung« gilt. Vor allem aber tue man sich in der Bundesrepublik aus einem Grund »noch immer sehr schwer mit einer unverkrampften Auseinandersetzung«, sagt Flo...
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