Zwischen Trotz und Trotzki

Zum Hundertsten: Frida Kahlos Leben gespiegelt in ihren Liebesbriefen

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.
Sie ist wie ein farbiges Band um eine Bombe!« So pointiert umschrieb André Breton die unablässige Energie der am 6. Juli 1907 geborenen Malerin, die sich vor allem durch ihre Selbstporträts in prächtigen mexikanischen Gewändern in die Kunstgeschichte eingeschrieben hat. Die hartnäckige Auseinandersetzung mit ihrer weiblichen Rolle - forciert durch die schmerzhaften Folgen eines schrecklichen Jugendunfalls, der sie zu Kinderlosigkeit verurteilte - machte die bedeutendste Malerin Lateinamerikas seit den 1970er Jahren zu einer Identifikationsfigur vieler Frauen. Der mexikanische Maler Diego Rivera meinte einmal, Frida sei die erste Frau in der Kunstgeschichte gewesen, die sich »mit schonungsloser Aufrichtigkeit den Themen widmete, die ausschließlich Frauen betreffen«. Ihr Leben an der Seite berühmter Männer wie dem Maler Diego Rivera, Heinz Berggruen oder Leo Trotzki trug ein Übriges zur Mythenbildung bei - und provozierten eine Flut an - nicht unbedingt immer fundierten - Biografien und auch manche Verfilmung. Die Malerin konnte jedoch nicht nur mit dem Pinsel umgehen, sondern griff auch immer wieder zur Feder, um ihre Sehnsüchte wie oft energischen Positionen zu artikulieren. Zum 100. Geburtstag erschien nun eine Auswahl »ihrer schönsten Liebesbriefe«, wie der Klappentext verspricht. Das Buch setzt 1923 ein mit den schwärmerischen Briefen an ihren Jugendfreund Alejandro Gómez Arias, die schon erstaunlich viele Charakterzüge durchschimmern lassen. Bezeichnenderweise macht sich das ziemlich frühreife und zudem intelligente Mädchen bereits gegenüber ihrem ersten Schwarm um ein Jahr jünger. Als sie, Tochter eines deutschen Juden ungarischer Abstammung und einer mexikanischen Mutter, zur anspruchsvollen Preparatoria (einer Eliteschule, die auf ihr Medizinstudium vorbereiten soll) zugelassen wird, macht sie sich sogar drei Jahre jünger (!), sodass noch Ende der 1990er Jahre in ihrem Geburtshaus - der »casa azúl« - diese Legende fortgeschrieben wird. Der Grund: Im Jahre 1910 fand die glorreiche mexikanische Revolution statt - und Frida möchte eine Tochter dieses Ereignisses sein. Trotz also nicht zu übersehender Eitelkeit spricht gerade aus diesen Jugendbriefen entwaffnende, herzerfrischende Offenheit, wenn sie im Neujahrsbrief von 1924 gesteht, dass sie bei der Beichte vor der Kommunion drei Sünden vergessen habe: »und es waren schwere Sünden«. Klammheimlich will sie mit dem Jugendfreund in die USA ausbüchsen: »Denn sieh mal, Alex, wir sollten etwas aus unserem Leben machen, findest Du nicht? Wir wollen doch nicht so blöd sein und unser ganzes Leben in Mexiko verbringen!« In etliche dieser Briefe lässt sie erläuternde Zeichnungen einfließen - und der Leser wundert sich, warum der Verlag diese nicht abgedruckt hat. Mit entschiedenem Nachdruck sucht sie Alejandro das gleiche Quantum an unbedingter Zuneigung abzupressen, das sie selbst für ihn hegt - ein Anspruch, den sie ihr ganzes Leben hindurch erheben wird, wobei durchaus auch zwei Geliebte zugleich darum angesucht werden. Der Busunfall im September 1925, der ihr die Hüfte grausam durchbohrt und bei ihrem Freund nur blaue Flecken zur Folge hat, fesselt sie, die sich selbst stets als »echte Herumtreiberin« sieht, an Korsett und Bett: »... ich führe ein Leben als Blumentopf und komme nicht über den Balkon hinaus.« Schofelig entzieht sich der glimpflich Davongekommene monatelang und weicht einer Begegnung aus unter Verweis auf den Besuch bei einer imaginären Tante. Doch Frida wiegt sich in Illusionen und reizt in ihren Korrespondenzen die ganze Skala zwischen echtem Jammern, Todeswünschen, gelegentlichem Galgenhumor und permanentem Bedrängen aus bis zur Selbstaufgabe, der später zur Superemanzipierten Stilisierten: »Du bist mein ganzes Ich!« Übrigens soll sie jenseits der larmoyanten Briefseiten enorm tapfer und unter Aufbietung guter Laune ihr Schicksal ertragen haben. Um Alejandro endgültig von Frida loszueisen, verordnen ihm die Eltern 1928 eine Europareise, auch Berlin ist darunter. Schade, dass die zahlreichen Anspielungen in den Briefen so spärlich kommentiert werden. Auch wenn die von ihr kultivierte Sprache »fridesco« sich oft einer definitiven Dechiffrierung entzieht, so wüsste man doch gerne, was Kahlo mit »Rembrandts Elbe« oder mit Botticellis »Schöner Schlafender« wohl meint. Merkwürdig, dass sie mit diesem blassen Burschen noch bis 1946 kommuniziert, obwohl schon längst ein anderes Kaliber ihr Liebesleben bestimmt: das mexikanische Urgestein Diego Rivera. Seit 1929 mit ihr verheiratet, entriss er Frida ihrer Verzweifelung und eröffnete ihr neue Dimensionen des Lebens, zu denen vor allem die Malerei gehörte. Über die tieferen Motive dieser recht elementaren Liebe ist schon viel spekuliert worden: Frida sehnte sich schon als Mädchen nach einem Zwilling, Diego hatte sogar mal einen leibhaftigen - und sprach offensichtlich einen starken Mutterimpuls in seiner Geliebten an, die 1932 schrieb: »Ich bete Dich an, Diego. Es tut mir leid, dass ich meinen Kleinen ganz allein gelassen habe, obwohl Du mich brauchst.« Obgleich auch Frida nichts anbrennen lässt, strapazieren doch seine permanenten Affären ihre Toleranz über Gebühr, sind ihr selbst ein Rätsel, da »Du und ich uns im Grunde genommen von Herzen lieben«. Später wird sie resümieren, ihr seien zwei Unfälle widerfahren: »Der eine geschah, als ich von einer Straßenbahn überfahren wurde, der andere ist Diego.« Gemeinsam mit ihm unterstützt sie den 1937 ins mexikanische Exil geflohenen Trotzki, der fortan zwei Jahre heimlich in der »casa azúl« wohnen konnte. Frida kann dem »thrill« einer Amoure mit dem politisch Verfolgten nicht widerstehen, hat ihn aber schon bald satt. Er hingegen wirbt um ihre Zuneigung mit den Mitteln des Intellektuellen, leiht ihr Bücher, schreibt ihr flehende Briefe. Im vorliegenden Band wurde leider nur ihr Selbstbildnis vom 7. November 1937 abgebildet, auf dem sie ihm einen Geburtstagsbrief widmet ohne erkennbare Anspielungen. Da war die Geschichte schon längst in eine gute Freundschaft umgewandelt worden. Ihre leidenschaftliche Episode mit dem jung verheirateten Heinz Berggruen, der als Riveras Assistent arbeiten sollte, und welche dieser gar mit »Tristan und Isolde« vergleicht, findet im Band keinen Niederschlag. Umso ergiebiger und voller Furor ist ihre Korrespondenz mit dem Fotografen Nickolas Murray dokumentiert, dem wir hinreißende Fotoporträts der Künstlerin verdanken, den sie ebenfalls als »Mi Niño« verzärtelt und oft vermisst »mit jeder Faser meines Herzens«. Angewidert zeigt sie sich 1939 von der Bohème in Paris, wo Breton ihr eine Einzelausstellung einrichten half. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund: »Du kannst Dir nicht vorstellen, was diese Leute für Kanaillen sind. Ich könnte kotzen.« Lieber hocke sie sich auf den Markt von Toluca und verkaufe Tortillas, »als etwas mit diesen schäbigen Pariser "Künstlern" zu tun zu haben. Sie sitzen stundenlang in den "Cafés" wärmen ihre feinen Ärsche ... und verpesten die Luft mit immer neuen Theorien, die nie Wirklichkeit werden.« Sie sieht Europa vor die Hunde gehen, zumal »diese Taugenichtse den Hitlers und Mussolinis Tür und Tor öffnen«. Gegen diesen »Abschaum« lobt sie Diego und Nick als »richtige Männer«. Auf die Scheidung von Rivera 1939 folgt ein Jahr später die Wiederverheiratung. Wenn auch dieses eine Jahr ihr Auf-sich-selbst-Gestelltsein befördert, so bedeutet ihr ein Dasein ohne die Grundierung durch Riveras Anwesenheit beinahe nichts. Zunehmende Schmerzen greifen die Arbeits- und Lebenslust an. So schreibt sie 1940 geknickt an Diego: »Ich habe den Schluss gezogen, dass ich auf ganzer Linie gescheitert bin ... Ich habe zehn Jahre mit Dir gelebt und Dich letzten Endes nur genervt und gelangweilt, ich habe zu malen begonnen, und niemand macht sich etwas aus meinen Bildern.« Doch das sind Stimmungsschwankungen. Ende 1952 präsentiert sie sich voller Elan, so wie er sie offenbar am liebsten mag, seine indigene Königin: »Mein Junge, hier ist deine Gefährtin, fröhlich und stark, wie es sein sollte.« Bis zu ihrem Tode am 13. Juli 1954 strebt sie die unbedingte Symbiose an mit ihrem »Jungen«, was zuweilen nach Uterusträumen klingt, nach einem vollständigen Fallenlassen: »Ich bitte Dich um Gewalt im Sinn-Losen, und Du gibst mir Gnade, Nest, Licht, Wärme ... Jeden Augenblick ist er mein ...

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