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»Wir brauchen kein SIWANA mehr«
SPD-Fraktionschef Raed Saleh kündigt ein Umdenken in der Investitionspolitik an
In dieser Woche sind die neuen finanziellen Entlastungen für Eltern in Kraft getreten. Das beitragsfreie Schulessen kommt, das kostenfreie Schülerticket gibt es ...
... es kommt noch viel mehr. Seit dem 1. August gibt es zum Beispiel keine Hortgebühren mehr für die erste und zweite Klasse. An der Vision von der bezahlbaren Stadt arbeiten die SPD und ich bereits seit Jahren.
Aber es gibt doch auch gut verdienende Eltern in Berlin. Muss die Politik diese Familien ebenfalls entlasten?
Die Frage ist doch, ob Bildung etwas kosten darf. Ich möchte in Berlin eine gute Bildung haben – gebührenfrei für alle. Natürlich will ich damit auch die hart arbeitende Mittelschicht entlasten. Ich möchte, dass am Ende mehr Geld übrig bleibt im Portemonnaie der Leute. Das ist ein ursozialdemokratischer Traum.
Ein Traum, der viel Geld kostet. Wäre es nicht wichtiger, den Mangel an 20 000 Schulplätzen zu beheben, der offenbar bevorsteht?
Man darf die Vision der gebührenfreien Bildung nicht gegen die Qualitätssicherung ausspielen. Im Senat haben wir früh die Priorität auf Schulneubau und Sanierung gelegt.
Die Schulbauoffensive scheint aber nicht ausreichend zu sein.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und ich hatten gemeinsam die Idee, 5,5 Milliarden Euro in Schulneubau und Schulsanierung zu investieren. Wir haben uns das ehrgeizige Ziel gesteckt, dass wir innerhalb von zehn Jahren alle Schulen »angefasst« haben wollen. Und ich sage an der Stelle auch deutlich, dass ich von der Bildungsverwaltung erwarte, dass man sich dort zu 100 Prozent auf das Vorhaben konzentriert.
In Ihre Verantwortung fällt die Haushaltspolitik. Es stehen schwierige Gespräche zum Doppelhaushalt 2020/2021 bevor, es gibt weniger zu verteilen. Können Sie Ihre Versprechen wie etwa eine Berlin-Zulage für Beschäftigte im Öffentlichen Dienst überhaupt halten?
Mein Versprechen findet sich im Senatsbeschluss zum Haushalt wieder: Es gibt eine Wahlfreiheit, entweder ein monatliches ÖPNV-Ticket zu nehmen oder die 150 Euro Zulage.
Berlin verzeichnete viele Jahre Überschüsse. Seit 2014 wurde, maßgeblich von der SPD-Fraktion initiiert, daraus das »Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt« gespeist, das inzwischen um einen Nachhaltigkeitsfonds erweitert wurde, Stichwort SIWANA. Wie bewerten Sie diese Art der Investitionspolitik rückblickend?
Damals wollten wir mehr Investitionen im Bereich Infrastruktur ermöglichen. Wir lagen bei den Investitionen seinerzeit auf der Skala der Bundesländer auf dem zweitletzten Platz. Seitdem haben wir die Investitionsmittel drastisch erhöht – für Schulen, Kitas, Straßen, für neue Polizeiabschnitte und Feuerwachen. Wir wollten nicht weiter auf Verschleiß fahren, daher hat sich das Sondervermögen bewährt.
In dem SIWANA-Topf lagern inzwischen mehrere Milliarden Euro.
Es gibt zurzeit mehr Geld, als wir für Bauaktivitäten tatsächlich nutzen können. Zudem haben sich die Baukosten bundesweit insgesamt erhöht. Und dennoch war es richtig, dass wir ein Sondervermögen geschaffen haben, weil wir in die Zukunft investiert haben.
Rücken Sie vom SIWANA-Konzept ab?
Heute würde ich allerdings sagen, dass man in der nächsten Legislatur tatsächlich überlegen muss, ob das SIWANA in dieser Form überhaupt noch notwendig ist.
Heißt das, Sie wollen das Sondervermögen auflösen?
Wir müssen es hinbekommen, dass wir nicht mehr diese Anzahl an Nachtragshaushalten haben, wie wir sie zuletzt hatten. Und wir hatten immer in Milliarden-Euro-Dimension SIWANA-Projekte. Das Projekt der nächsten Legislatur muss es deshalb sein, viel mehr über den regulären Haushalt zu operieren und dort die Finanzmittel zu verankern und nicht mehr über das Sondervermögen.
Das Ende des SIWANA ist nahe?
Mittelfristig brauchen wir kein SIWANA mehr.
Das Prinzip des Konsolidierens und des Investierens, das die SPD auch beim Sondervermögen verfolgt hat, bleibt bestehen?
Selbstverständlich. Wer Politik mit Weitblick machen will, muss das Thema soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft zusammendenken. Maximale soziale Gerechtigkeit, wenn es etwa darum geht, Familien zu entlasten. Auf der anderen Seite brauchen wir, um eine Stadt erfolgreich zu führen, wirtschaftliche Vernunft. Da gehört der Schuldenabbau dazu.
Soziale Gerechtigkeit ist ein gutes Stichwort. Ein Thema, bei dem viele Berliner denken, dass es in der Stadt derzeit nicht sozial gerecht zugeht, ist das Thema Wohnen. Ist das Wohnen die soziale Frage?
Wir haben seit einigen Jahren eine sehr angespannte Wohnmarktsituation. Bereits in der letzten Legislatur haben wir mit zahlreichen Maßnahmen versucht, dem Trend der steigenden Mieten entgegenzusteuern. Wir haben zum Beispiel das Zweckentfremdungsverbot und den Milieuschutz durchgesetzt. Wir merken aber, dass all diese Instrumente nicht mehr ausreichen. Wir brauchen viel radikalere Lösungen, um bezahlbare Mieten im Wohnungsmarkt zu sichern.
Eine Lösung bietet die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Die Aktivisten wollen Immobilienfirmen mit jeweils mehr als 3000 Wohnungen enteignen. LINKE und Grüne unterstützen das Volksbegehren. Was denkt der SPD-Fraktionschef dazu?
Als Staat enteignen wir permanent. Wir enteignen etwa, wenn es darum geht, neue Verkehrsinfrastruktur und neue Stadtquartiere zu bauen. Als deutscher Sozialdemokrat bin ich selbstverständlich für einen Staat, der Instrumente aus der Verfassung nutzt, um das Gemeinwohl zu schützen.
Da wird sich die Initiative freuen, wann unterschreiben Sie?
Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« sehe ich sehr kritisch. Ihre Forderung lehne ich ab. Ich bin gegen willkürliche Enteignungen, und die Zahl von 3000 Wohnungen ist nichts anderes als Willkür. Es gibt gute Vermieter, die mehr als 3000 Wohnungen haben, und es gibt schlechte, die über weniger verfügen. Als Sozialdemokrat kann ich es nicht gutheißen, dass Menschen etwas weggenommen werden soll, nur weil sie eine bestimmte Anzahl von Wohnungen besitzen. Ich lehne die Initiative auch deswegen ab, weil ich keine Signale von politischem Chaos aus Berlin in die Welt senden möchte. Wir brauchen die Investoren und eine funktionierende Wirtschaft. Ich bin für Politik mit Augenmaß.
Eben waren Sie noch für radikale Lösungen.
Es gibt ja schließlich auch noch andere Maßnahmen gegen die galoppierenden Mieten als Enteignungen. Da wäre zum Beispiel ...
... der Mietendeckel, eine Idee, die die SPD zuerst öffentlich aufgriff. Soll der Mietendeckel der Enteignungs-Initiative den Wind aus den Segeln nehmen?
Das sind zwei getrennte Paar Schuhe. Es ist aber schon so, dass die Kampagne an Unterstützung verloren hat, seit wir den Mietendeckel in die Diskussion gebracht haben.
Gehen Sie davon aus, dass der Mietendeckel kommen wird? Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich zuletzt widersprüchlich geäußert.
Der Wissenschaftliche Dienst zweifelt nicht die Rechtskonformität des Mietendeckels an, sondern sagt, dass man zur Umsetzung ein Landesgesetz benötigt. In Berlin wollen wir genau diese eigene Regelung schaffen.
Kommen wir zum Neubau. Rot-Rot-Grün verfehlt die selbst gesteckten Neubau-Ziele. Wer hat Schuld?
Als rot-rot-grüne Koalition sitzen wir in einem Boot. Wir erreichen und verfehlen unsere Ziele gemeinsam. Nichtsdestotrotz erwarte ich von Bausenatorin Katrin Lompscher (LINKE), dass sie den Neubau zu ihrer Priorität macht.
Macht Sie das nicht?
Es steht mir nicht zu, Frau Lompscher zu bewerten. Die Zahlen geben es aber nicht her.
Zuletzt stiegen die Neubauzahlen, dennoch werden aus der SPD ständig neue Projekte ins Spiel gebracht, auch das Tempelhofer Feld.
Ich bin gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes. Ich möchte, dass der überwiegende Teil der Fläche weiterhin von allen Berlinerinnen und Berlinern als Erholungsraum genutzt werden kann. Was ich mir gut vorstellen kann, ist eine behutsame Randbebauung des Areals.
Da sind Sie in der SPD nicht alleine. Sind Sie so schlechte Verlierer? Der Volksentscheid 2014 hat doch ein deutliches Votum ergeben.
Ich hatte damals große Bauchschmerzen mit der Idee der riesigen Gedenkbibliothek Klaus Wowereits. Heute ist die Situation eine andere: Wir wollen keine privaten Bauträger auf das Feld lassen, sondern Genossenschaften und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, die für 6,50 Euro pro Quadratmeter Wohnungen anbieten.
Ohne Zweidrittelmehrheit können Sie den Volksentscheid nicht im Abgeordnetenhaus kippen.
Wir brechen uns keinen Zacken aus der Krone, wenn wir die Berlinerinnen und Berliner noch einmal dazu befragen. Dazu bräuchte es nur die Koalitionsparteien. Warum sich LINKE und Grüne so stur stellen, das verstehe ich nicht. Wir werden unsere Forderung, dass wir mehr Bürgerbeteiligung wollen, spätestens bei der nächsten Wahl aufgreifen. Ich bin überzeugt, dass die Mehrzahl der Berlinerinnen und Berliner eine stärkere Bürgerbeteiligung will.
Sie sprechen bereits über Wahlkampf, die nächste Abstimmung ist noch zwei Jahre hin. Derzeit wird die SPD bei 15 Prozent gemessen, wie wollen Sie das ändern?
Wir ringen um unsere Vision von der bezahlbaren Stadt. Wir werden dann einen anderen Bundestrend haben. Am Ende liegt die SPD vorne, davon bin ich überzeugt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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