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Voll gut drauf
Ein zivilgesellschaftliches Bündnis stemmt ein Festival für Demokratie in Müncheberg
Stefan Hintze hat wenig geschlafen. »Es ist unglaublich, wie viele Menschen hier mitgeholfen haben«, sagt der Pressesprecher des Alternativen Jugendprojekts »Horte« aus Strausberg, während er am Samstagnachmittag über die Festwiese der Stadt Müncheberg im Landkreis Märkisch Oderland blickt. Es ist angenehm warm, Seifenblasen treiben durch die Sommerluft, bunte Wimpel flattern. Auf der Bühne stellt Marcus Staiger, Rapper und Journalist, der als Moderator durch den Nachmittag führt, gerade die Teilnehmer*innen einer Diskussionsrunde zum Thema Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer vor.
Am Ende ist es geradezu ein kleines Festival geworden, mit einer großen Bühne und einem vollen Kunst- und Kulturprogramm, vielen Ständen und vor allem: vielen Besucher*innen. Die sechste Veranstaltung der »Wannwennnichtjetzt«-Tour ist ein ziemlicher Erfolg und Stefan Hintze, als einer der vielen Organisator*innen freut sich, dass bisher alles gut gelaufen ist - »aber es war schon wahnsinnig anstrengend«, sagt er. Die »Horte«, erzählt der 26-Jährige, sei von Anfang an mit dabei gewesen, als es im Frühjahr hieß, es solle eine Tour durch die ostdeutschen Bundesländer geben, in denen in diesem Jahr Landtagswahlen angesetzt sind - und wo hohe Stimmanteile für die rechtsextreme AfD als sicher gelten. Es geht deshalb darum, zivilgesellschaftliche und demokratische Netzwerke vor Ort zu stärken. Allerdings, und das ist auch Hintze wichtig, soll es hier nicht um eine einmalige Angelegenheit gehen: »Wir brauchen die Bündnisse ja immer und wir werden sie nach den Wahlen noch mehr brauchen.«
Die Wahl für den regionalen Tourstopp von »Wannwennnichtjetzt« sei auf Müncheberg gefallen, weil hier politisch die Stimmung dem Anliegen gegenüber aufgeschlossen war, sagt Hintze. »Die Stadt hat uns von Anfang an unterstützt.« Die stellvertretende Müncheberger Bürgermeisterin Maria Buch spricht an diesem Nachmittag auch die einleitenden Grußworte: »Wir wollen hier in Müncheberg mit einer vielfältigen und toleranten Demokratie arbeiten.« Ihr seien, so Buch, »bunte Wiesen lieber als Monokultur.«
»Wie stark die AfD ist, sieht man in den umliegenden Orten der Region in der Regel an der Dichte der geklebten Wahlplakate«, sagt Fabian Brauns. Er koordiniert die Jugendverbandsarbeit beim Kreis- Kinder- und Jugendring Märkisch-Oderland e.V. (KKJR). Sein Verein hat das Fest in Müncheberg mit Infrastruktur unterstützt. »Wir haben hier in der Gegend viele Menschen, die sich für Kultur und Vielfalt engagieren. Aber das ändert nichts daran, dass 20 bis 30 Prozent der Leute ihr Kreuz bei der AfD machen.«
Auch Anna Kowalczyk hat bei der Vorbereitung des Programms geholfen, als Einzelperson. Die 41-Jährige ist Kleingärtnerin in einem Müncheberger Ortsteil. »In meiner Laubenkolonie haben 50 Prozent die AfD gewählt und ich war zunächst ratlos, was ich damit machen sollte. Als ich von der Tour gehört habe, dachte ich: Das ist vielleicht eine Chance, um mich zu vernetzen.« Kowalczyk sagt, bei einer so großen Veranstaltung habe sie noch nie zuvor mitgeholfen. Die ganze Zeit sitzt sie mit dem Ablaufplan in der Nähe der Bühne, begrüßt Redner oder Künstler.
Dabei ist auch der Schriftsteller Karsten Krampitz, der das Programm mit einer Lesung aus der vor fünf Jahren erschienenen Anthologie »Kaltland« eröffnet. Auch Krampitz stammt aus der Region, er ist geborener Rüdersdorfer. Zwei ältere Frauen hören ihm aufmerksam zu. Eine von ihnen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat ein Schild bei sich, auf dass sie geschrieben hat: »Lieber solidarisch als solide arisch«. Den Spruch, erzählt sie, habe sie im vergangenen Jahr im Mai in Berlin beim Protest gegen eine AfD-Demonstration gelesen: »Der ist doch gut, oder?«, fragt die 75-jährige Münchebergerin. »Ich finde es nicht besonders mutig, so etwas zu tun, aber ich weiß auch, wozu manche, die hier die AfD wählen, fähig sind.« Sie überlege dennoch, einmal zu einem der 14-tägigen Stammtischtreffen der AfD im Müncheberger Ratskeller zu gehen - »aber nicht, um mit denen zu diskutieren«. Es sind Leute wie die 75-Jährige, die an diesem Nachmittag das Bild von den Besucher*innen prägen - neben vielen jungen Menschen, die sich politisch engagieren und dabei als Landwirt*innen oder Handwerker*innen in der Region arbeiten, so wie beispielsweise die Kollektivist*innen vom Hof Bienenwerder oder die Zimmerleute, die von der Sommerbaustelle an der ehemaligen jüdischen Ausbildungskolonie Neuendorf am Sande nach Müncheberg gekommen sind.
Gegen Abend wird auf der Bühne das Dokumentartheater »Asylmonologe« aufgeführt. Über 60 Leute hören den Sprecher*innen zu, auch Omer Abdalaziz Ahmed. Der 27-Jährige aus dem Sudan hat zuvor eine Rede als Geflüchteter gehalten, der in Müncheberg lebt.
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Hannah Eberle, die sich für die Interventionistische Linke engagiert und in deren Umfeld die Idee für die Tour entstanden ist, zeigt sich beeindruckt angesichts des »Kraftakts der lokalen Akteure«. Das, was hier entstanden sei, so Eberle, dürfe jetzt nicht aufhören. Wie es weitergeht, wird wohl bald verabredet.
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