Schönheitsfehler nach Zulassung

Das aktuell teuerste Medikament der Welt basiert zum Teil auf manipulierten Daten

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Mai hatte die US-Regulierungsbehörde FDA das Gen-Therapeutikum Zolgensma des Schweizer Pharmaherstellers Novartis zugelassen. Mit einem Preis von etwa zwei Millionen Dollar pro Einmaldosis gilt es als das teuerste Medikament der Welt. Die FDA will nun wissen, warum der Basler Konzern manipulierte Daten aus Produkttests an Tieren erst am 28. Juni offenlegte - und damit nach der Zulassung des Mittels. Die Regulierungsbehörde droht dem Konzern mit zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen, betont aber, dass das Wirkprofil des Mittels gegen eine schwere Form der Spinalen Muskelatropie (SMA) von den Unregelmäßigkeiten nicht betroffen sei.

Die US-amerikanische Novartis-Tochter Avexis hatte die Daten im Rahmen des biologischen Zulassungsantrages eingereicht, sie waren von der FDA geprüft worden. Die jetzigen Bedenken seien lediglich auf einen kleinen Teil der Daten aus einer großen Masse der zur Zulassung eingereichten Informationen begrenzt und betreffen nur den Antrag auf eine Vermarktungslizenz. Die Behörde geht davon aus, dass sich an der positiven Einschätzung der Studien an Menschen nichts ändere.

Zolgensma war im Mai für Kinder unter zwei Jahren zugelassen worden. Es ist die erste reguläre Genersatztherapie zur Behandlung der meist tödlich verlaufenden Erbkrankheit. SMA kommt in vier verschiedenen Grundtypen vor, sie führt beim Typ 1 in der Regel schon vor Vollendung des zweiten Lebensjahres zum Tode durch Atemschwäche. Diese spezielle Form des Muskelschwundes betrifft in den USA jährlich etwa 400 Neugeborene und ist eine der wichtigsten genetischen Ursachen für den Säuglingstod.

Auslöser der SMA ist ein erblicher Defekt im Gen SMN1. Wird dieser von beiden Eltern vererbt, können spezialisierte Nervenzellen im Rückenmark nur kurzzeitig überleben. Wenn die Impulse dieser Motoneuronen nicht an die Muskeln im ganzen Körper weitergeleitet werden, können sich diese auch nicht entwickeln. Mit Zolgensma wird eine funktionsfähige SMN1-Variante in die Körperzellen eingeschleust und muss dazu nur einmalig verabreicht werden. Den hohen Preis des Medikaments begründet Novartis auch damit, dass die Therapie lebenslange Behandlungen unnötig machen kann. Vor der Zulassung war sogar ein Preis zwischen vier und fünf Millionen US-Dollar pro Dosis im Gespräch.

Alternativ ist bislang nur Spinraza des Herstellers Biogen als Therapie zugelassen, auch in der Europäischen Union. Die Therapie damit kostet die Kassen in Deutschland im ersten Jahr 621 354 Euro. Im zweiten Jahr sinken die Kosten auf etwa die Hälfte, aber es muss weiter eine Erhaltungsdosis in größerem Abstand gegeben werden. Durch dieses Medikament wird das Fortschreiten der SMA aber nur verzögert.

Zolgensma wurde von der 2010 gegründeten US-Firma Avexis entwickelt, die sich auf Gentherapien spezialisiert hat. Sie wurde 2018 von Novartis für 8,7 Milliarden US-Dollar übernommen. Der Preis des neuen Mittels zieht aktuell die Aufmerksamkeit der Investoren auf Novartis, wobei das Basler Unternehmen noch nichts über die Umsatzentwicklung seit der Zulassung mitteilte. Fast 80 Prozent der Erlöse von Novartis stammen aus patentierten Arzneimitteln.

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