Streit um den Dorsch

Die Fangvorgaben der EU sorgen bei Fischern und Umweltschützern für Ärger

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich hat die EU-Kommission im Juli ein sofortiges Fangverbot für Dorsche in der östlichen Ostsee erlassen. Damit will sie den angeschlagenen Bestand vor einem »drohenden Zusammenbruch« bewahren. »Wir müssen rasch handeln, um den Bestand zum Wohle der Fische und im Interesse der Fischer wieder aufzufüllen«, sagte Umwelt- und Fischereikommissar Karmenu Vella. Doch Ausnahmen machen einen Fang des bedrohten Fisches weiterhin möglich, was die Umweltorganisation WWF aufregt: »Ein uneingeschränkter Fangstopp bis Dezember hätte dem Dorschbestand die unentbehrliche Atempause verschaffen können«, erklärt der WWF.

Allerdings wird der Dorschbestand nicht allein durch die Fischerei belastet. Auch zu niedriger Salzgehalt, hohe Wassertemperaturen und wenig Sauerstoff führen zur Dezimierung des Bestandes. Ein weiterer Verursacher ist die Landwirtschaft. Überschüssige Nährstoffe gelangen in Grund- und Oberflächengewässer, erklärt das Umweltbundesamt in Dessau, »wo sie weitreichende Auswirkungen auf den Naturhaushalt haben«.

Das EU-Fangverbot stützt sich auf Erkenntnisse des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES). Dieser hatte im Mai seine Fangquotenempfehlungen für die Ostseebestände für 2020 veröffentlicht. Laut den Wissenschaftlern befinden sich die Bestände des westlichen Herings sowie des westlichen und östlichen Dorsches in einem kritischen Zustand. Für den westlichen Hering und den östlichen Dorsch empfiehlt der ICES daher Null-Quoten, also einen Fangstopp für beide »Brotfische«.

Seit der Reform der »Gemeinsamen Fischereipolitik« im Jahr 2014 zielt die Europäische Union auf eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meere. Ziel ist ein »maximal möglicher Dauerertrag«. Die ICES-Meeresforscher schätzen dazu die vorhandene Biomasse der einzelnen Fischarten und legen entsprechende Fangempfehlungen vor. Diesen folgen die europäischen Landwirtschaftsminister jedoch nicht in jedem Punkt. Schließlich müssen die Politiker unterschiedliche Interessen berücksichtigen, etwa die der großen Fangflotten in Südwesteuropa oder der Küstenfischer im Norden; soziale Aspekte im Mittelmeerraum sind ebenso einzukalkulieren wie der Tourismus in Badeorten am Atlantik.

Bereits 2018 empfahl der ICES für den westlichen Ostsee-Hering einen Fangstopp, doch wurde dieser von den Mitgliedstaaten ignoriert. So bewilligt die EU auch jetzt Ausnahmen. Fischerei, die nicht gezielt auf Dorsch geht, bleibt erlaubt. Allerdings sind höchstens zehn Prozent des Fisches als Beifang gestattet. Außerdem unterliegen Boote unter zwölf Metern Länge - also kleine Kutter und Angelausflügler - keiner Beschränkung. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) freute sich, »dass die kleine Küstenfischerei ausgenommen wurde«. Der Deutsche Fischerei-Verband (DFV) in Hamburg reagierte jedoch mit »Empörung«. Die EU riskiere mit ihrer »extremen Sofortmaßnahme« den Zusammenbruch von Fischereibetrieben. Außerdem »ignoriere« die Kommission aktuelle wissenschaftliche Gutachten.

Selbst dem ICES zufolge wird der Fangstopp im zweiten Halbjahr 2019 sowie 2020 voraussichtlich lediglich zu vier Prozent mehr Dorsch in der Ostsee führen, weil die natürliche Sterblichkeit drei- bis viermal höher ist als die Entnahme durch die Fischerei. Für den Fischerei-Verband bedeutet das wiederum, dass der Rückgang der Fische vor allem auf Umwelteinflüsse zurückzuführen ist.

Küstenfischer bezweifeln dennoch nicht den »schlechten Zustand«: Die Größe des östlichen Dorschbestandes liegt heute bei etwa 65 000 Tonnen. Damit ist der Bestand weit davon entfernt, den maximal möglichen Dauerertrag zu liefern, die Art ist jedoch nicht akut vom Aussterben bedroht. »Die von der Kommission getroffenen Maßnahmen sind deshalb überzogen«, kritisiert DFV-Generalsekretär Peter Breckling. Man habe in den vergangenen Jahren bereits auf die vollständige Nutzung der Ostdorsch-Quote in Mecklenburg-Vorpommern verzichtet. Im vergangenen Jahr lag die Ausnutzung mit 356 Tonnen gerade mal bei einem Viertel.

Empörung herrscht bei den Fischern auch wegen des »rücksichtslosen Verfahrens«. Ganz plötzlich hätten die Genossenschaften ihre Leute von der See holen müssen. »Das ist so, als würde man morgens nichtsahnend zur Arbeit gehen und wird mittags rausgeschmissen.«

Von den 1400 Haupterwerbsfischern im Jahre 1989 sind nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums von Mecklenburg-Vorpommern heute noch 230 Unternehmen übrig. Ihr Verband sieht in der Vollbremsung einen Präzedenzfall. Deshalb ist man in Gesprächen mit Behörden und Juristen, um sich gegen die Maßnahmen rechtlich zu wehren - und gibt sich der Hoffnung hin, dass ein neuer EU-Kommissar die Entscheidung wieder zurücknehmen werde.

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