Queeres Sachsen: Schulterschluss statt Angst

AfD-Erfolg bei der Landtagswahl könnte Arbeit queerer Organisationen erschweren/ Studie zeigt drastisches Ausmaß an Hassgewalt gegen LGBTI im Freistaat

  • Paula Balov
  • Lesedauer: 5 Min.

Die queere Community in Sachsen blickt mit Besorgnis auf die bevorstehende Landtagswahl am 1. September. Aktuellen Prognosen zufolge kann die AfD mit einem starken Wahlergebnis rechnen. Für LGBTI-Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen) und queere Organisationen hatte die nun auslaufende Legislaturperiode mit CDU und SPD in der Regierung positive Veränderungen erwirkt. Der 2017 verabschiedete »Aktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen« schrieb Ziele und Maßnahmen gegen Homo- und Transfeindlichkeit fest. Queere Verbände befürchten nun einerseits, dass ein Wahlerfolg der AfD mit Einschnitten in queerer Antidiskriminierungsarbeit einhergehen wird. Andererseits könne das Erstarken der AfD auch Homo- und Transfeindlichkeit in der Gesellschaft weiter normalisieren.

Der LSVD Sachsen (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) hatte an die Parteien Wahlprüfsteine geschickt. Sie forderten LINKE, Grüne, SPD, CDU, FDP und AfD dazu auf, Fragen zu ihren queerpolitischen Forderungen zu beantworten, beispielsweise, ob Regenbogenfamilien unterstützt, das Beratungsangebot für queere Geflüchtete gefördert und queerfeindlicher Hasskriminalität entgegengewirkt werden soll. Ein wichtiger Wahlprüfstein war die Frage nach der Ausfinanzierung des »Aktionsplans zur Akzeptanz der Vielfalt von Lebensentwürfen«. Dieser sei, wie Michel Röhricht vom LSVD Sachsen gegenüber »nd« äußert, »maßgeblich«, um die Arbeit queerer Verbände langfristig abzusichern. »Wir wünschen uns, dass auch konservativ eingestellte Parteien wie die CDU die Notwendigkeit erkennen, für diese nicht unerhebliche Bevölkerungsgruppe etwas zu tun.« Die Antworten der LINKEN, Grünen, SPD fielen überwiegend bejahend aus. FDP und vor allem die CDU zeigten sich wechselhaft bis zurückhaltend, während die AfD jegliche Unterstützung für queere Projekte untersagte.

»Wir registrieren sehr genau, wie sich die politische Großwetterlage bei den Parteien, aber auch das gesellschaftliche Klima verändert«, sagt Martin Wunderlich vom Dachverband LAG Queeres Netzwerk Sachsen e. V. gegenüber »nd«. Der Dachverband versteht sich als Interessenvertretung queerer Menschen gegenüber Politik, Gesetzgebung, Verwaltung und Zivilgesellschaft im Freistaat Sachsen. Er ist zu 100 Prozent von staatlichen Geldern abhängig und finanziert sich zurzeit durch die Mittel der Richtlinie für Chancengleichheit. Je nach Wahlausgang und neu gebildeten Bündnissen im Landtag könnten Fördermittel gesichert und ausgebaut, oder aber gekappt werden. »Falls eine selbsternannte Alternative für Deutschland bei der nächsten Staatsregierung mit am Kabinettstisch sitzen sollte, können wir davon ausgehen, dass das gravierende Einschnitte für unsere Arbeit zur Folge haben wird. Im schlimmsten Fall werden uns sämtliche Mittel gestrichen.«

Der LSVD Sachsen hatte Wahlprüfsteine an die Parteien mit queerpolitischen Forderungen geschickt. Die Antworten wurden in dieser Grafik visualisiert.
Lächelnder Smiley: Partei befürwortet die Forderung. Neutraler Smiley: Die Antwort ist vage. Trauriger Smiley: Partei lehnt die Forderung ab.
Der LSVD Sachsen hatte Wahlprüfsteine an die Parteien mit queerpolitischen Forderungen geschickt. Die Antworten wurden in dieser Grafik visualisiert. Lächelnder Smiley: Partei befürwortet die Forderung. Neutraler Smiley: Die Antwort ist vage. Trauriger Smiley: Partei lehnt die Forderung ab.

Die Dringlichkeit für queere Aufklärungsarbeit in Sachsen hatte zuletzt eine im Juni veröffentlichte Studie über Gewalterfahrungen von LGBTI-Personen belegt. Sie zeigte, dass homo- und transfeindliche Gewalt in Sachsen immer noch Alltag ist. Die Studie wurde vom LAG Queeren Netzwerk Sachsen e. V. initiiert und in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Soziale Arbeit an der Hochschule Mittweida durchgeführt. 267 Menschen nahmen daran teil. Mindestens 1672 hassmotivierte Übergriffe fanden in den letzten fünf Jahren in Sachsen statt. Berichtet wurde von Beleidigungen, Bedrohungen, Stalking, Eigentumsdelikten sowie leichter bis schwerer Körperverletzung. Auch Volksverhetzung wurde als Tatbestand in Betracht gezogen, da sich einige Täter in ihren Äußerungen auf die Vernichtungspraxis des Nationalsozialismus bezogen hatten. Trans Menschen waren besonders häufig von Gewalt betroffen: 79 Prozent der Befragten gaben an in den letzten fünf Jahren bedroht worden zu sein.

Dem drastischen Ausmaß an Hasskriminalität steht die geringe Bereitschaft die Vorfälle anzuzeigen gegenüber: Nur 30 der Teilnehmer*innen meldeten die Übergriffe. Es kann somit von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Die Entscheidung keine Anzeige zu erstatten, wurde häufig mit geringem Vertrauen in die Polizei begründet und der Sorge, nicht ernst genommen zu werden. »Ich halte die Polizei für nicht vertrauenswürdig und selbst für transfeindlich,« schreibt eine betroffene Person, die in der Studie zitiert wird. »Es ist die erste Studie über Gewalterfahrungen von queeren Menschen in Sachsen« betont Martin Wunderlich. »Sie gibt uns endlich eine wissenschaftlich basierte Faktengrundlage, die es uns ermöglicht, an das Innenministerium, die Polizei und die Justiz in Sachsen heranzutreten und Maßnahmen einzufordern.« Mit der Grundlage sollen Opferschutzverbände, Polizeibeamt*innen und das Landeskriminalamt für LGBTI-spezifische Belange sensibilisiert werden.

Die Sorge liegt nahe, dass sich durch den Wahlerfolg der AfD das gesellschaftliche Klima für queere Menschen weiter verschlechtern wird. Martin Wunderlich lehnt jedoch den Begriff »Rechtsruck« ab. Die Dominanz tradierter Familien- , Rollen- und Geschlechtervorstellungen und die darin verankerte Homo- und Transfeindlichkeit sei nicht erst mit der AfD oder Pegida aufgekommen: Diese Gruppierungen würden höchstens Symptome darstellen. »Das sind Entwicklungslinien, die seit Jahrzehnten die Gesellschaft in Sachsen prägen. Wir können in den letzten Jahren lediglich eine Radikalisierung feststellen.«

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Martin Wunderlich und Michel Röhricht sind weit davon entfernt sich von den Wahlprognosen und »Worst-Case-Szenarien« einschüchtern zu lassen. Der LSVD Sachsen und der Dachverband LAG Queeres Netzwerk e. V. arbeiten konsequent an ihren Projekten weiter, die teilweise bis 2021 vorausgeplant sind. In Antizipation der Landtagswahl stellen sich queere Verbände und Aktivist*innen in Sachsen gesellschaftlich breiter auf und suchen den Schulterschluss zu anderen zivilgesellschaftlichen, anti-rassistischen und anti-sexistischen Projekten. Der LSVD Sachsen und der Dachverband LAG Queere Netzwerk e. V. sind ein Teil des »Unteilbar«-Bündnisses, das am 24. August, direkt eine Woche vor der Landtagswahl, zu einer bundesweiten Großdemonstration in Dresden aufgerufen hat.

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