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Mit Streik und Boykottaufrufen
Frankreichs Deliveroo-Kuriere sind in den Ausstand getreten / Der Lieferdienst zieht sich aus Deutschland zurück
Der Essenslieferdienst Deliveroo stellt noch in dieser Woche seinen Dienst in Deutschland ein. Das gab das Unternehmen am Montag bekannt. Nun wolle sich Deliveroo darauf konzentrieren, »seine Aktivitäten in anderen Märkten auf der ganzen Welt auszubauen«. Einer dieser Märkte ist Frankreich. Dort sind die Fahrer das Symbol der Prekarität auf dem Arbeitsmarkt. Doch sie haben begonnen, sich zu wehren: Die Fahrradboten der Start-up-Firma Deliveroo sind in einen Streik getreten, der schon seit Anfang des Monat anhält. Sie wehren sich gegen die Entscheidung des Unternehmens, die Tarife zu kürzen und vor allem das Minimum von 4,70 Euro für eine Fahrt abzuschaffen.
»Wir müssen immer mehr fahren und verdienen dabei trotzdem viel weniger als früher, und zudem wird die Konkurrenz immer schärfer«, meint Serge I. am Rande einer Demonstration streikender Fahrradboten auf dem Pariser Platz der Repu-blik. Er und seine Kollegen betonen, dass ihre Einkünfte durch die Neuregelung der Tarife von Deliveroo um 30 bis 50 Prozent eingebrochen sind. Hervé M., der sich extra einen gebrauchten Motorroller gekauft hat, um so viele Touren wie möglich zu machen, rechnet vor: »Früher habe ich brutto 2500 bis 3000 Euro im Monat verdient, heute sind es bestenfalls 1500 Euro, also eine glatte Halbierung der Einnahmen.«
Alle Boten sind ihrem Status nach »Autoentrepreneur« (Einzelunternehmer) und müssen somit sämtliche Kosten selbst decken, alle Sozialabgaben allein abführen und Unternehmenssteuern zahlen. Dass immer mehr Jugendliche, die keine andere Chance zum Berufseinstieg sehen, eine Tätigkeit als Fahrradbote als Ausweg sehen und sich anmelden, hat wohl Deliveroo veranlasst, dieses Überangebot zu nutzen, um die Tarife für die Boten zu drücken und so noch mehr zu verdienen.
Offiziell heißt es in einer Mitteilung von Deliveroo: »Durch die Veränderung der Tarifbedingungen wird besser der Zeitaufwand widergespiegelt, den der Bote für die Ausführung seines Auftrags benötigt.«
Die Fahrradboten wehren sich, indem sie die mit Deliveroo zusammenarbeitenden Restaurants und die Kunden des Dienstes zum Boykott der Firma aufrufen. Jérôme Pimot, Sprecher der Botenvereinigung »Collectif des livreurs autonomes de Paris« (CLAP) sagt: »Wir wollen Druck auf den Umsatz und damit die Gewinne von Deliveroo ausüben, denn das ist die einzige Sprache, die diese Leute verstehen. So wollen wir faire Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis mit ihnen erzwingen.«
CLAP ist aus den Reihen der Boten heraus entstanden, weil die meisten traditionellen Gewerkschaften wenig mit diesen neuen Formen der Arbeit anzufangen wissen, wo die Beschäftigten extrem versprengt sind und auch untereinander immer nur kurz und flüchtig miteinander in Kontakt kommen. »Wir setzen viel auf die sozialen Medien, denn die Boten sind alle pausenlos im Internet und da tauschen wir uns aus, stimmen uns ab und organisieren unsere Aktionen«, erläutert Daniel Zemor, der CLAP-Vorsitzende, der selbst schon lange mit dem Marktführer Deliveroo gebrochen hat und lieber für dessen kleinere Konkurrenten Uber Eats und Stuart fährt.
Trotz des Streiks hält Deliveroo vorläufig noch an seinen Tarifänderungen fest und will offensichtlich nicht vor dem Druck der Straße einknicken. Doch die Kampfaktion, die zunächst auf Paris beschränkt war, wo Deliveroo und vergleichbare Expresslieferfirmen besonders verbreitet sind, hat sich bereits auf Provinzstädte wie Lyon, Toulouse, Bordeaux, Nizza, Tours, Nantes und Besançon ausgedehnt. Dabei wird nicht zuletzt das ganze Geschäftsmodell, bei dem Internetunternehmen ausschließlich auf selbstständige »Autoentrepreneurs« zurückgreifen, infrage gestellt. In Spanien haben Gerichte bereits solche Unternehmen dazu verurteilt, »scheinselbstständige« Boten, künftig wie fest angestellte Mitarbeiter zu entlohnen, für sie Sozialabgaben abzuführen und ihnen auch soziale Vergünstigungen wie bezahlten Urlaub zu gewähren. In Frankreich hat ein einzelner Fahrradbote mit seinem Anwalt ein vergleichbares Gerichtsurteil durchgekämpft. Es ist jedoch noch nicht rechtskräftig, weil die Gegenseite Berufung eingelegt hat.
Von der Regierung haben die streikenden Fahrradboten nicht viel Unterstützung zu erwarten. Im Sinne der gegenwärtigen Reformen, die durchweg auf mehr »Liberalisierung« in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt zielen, sieht das neue Mobilitätsgesetz lediglich eine »Sozial-Charta« vor, in der sich Internetfirmen freiwillig zu bestimmten Mindestnormen verpflichten sollen.
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