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Hamburg lernt von Brandenburg Toleranz
Justizsenator Till Steffen (Grüne) informierte sich in Nauen über die Stärkung der Zivilgesellschaft
In Hamburg gibt es keine Neonazis. Das wird dort gesagt. Aber es stimmt nicht. Denn es gebe in der Stadt doch fremdenfeindliche und antisemitische Übergriffe, sagt Justizsenator Till Steffen (Grüne).
Deshalb ist er mit dem Zug nach Nauen im Havelland gefahren, trifft sich dort im Altstadt-Café mit der Landtagsabgeordneten Ursula Nonnemacher (Grüne) und mit Markus Klein, dem Geschäftsführer des brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung. Die erzählen ihm etwas über das Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg«. Es könnte ein Vorbild für Hamburg werden, ein Exportschlager, findet Nonnemacher.
So würde es einmal anders herum laufen. Nicht wie bisher würde der Westen oberlehrerhaft versuchen, dem in dieser Hinsicht angeblich unterentwickelten Osten erst einmal die seiner Ansicht nach mustergültige Demokratie beizubringen. Hier würde der Westen vom Osten lernen.
Natürlich ist Hamburgs Justizsenator Steffen, der aus dem hessischen Wiesbaden stammt, auch deshalb gekommen, weil in Brandenburg in zwei Wochen Landtagswahl ist und seine Partei jede prominente Unterstützung gebrauchen kann. Aber er zeigt sich wirklich aufgeschlossen und fragt interessiert nach, wie Brandenburg in den 1990er Jahren auf eine Welle rechter Gewalt reagierte. Nachhilfe gibt ihm mit Ursula Nonnemacher allerdings - das ist der Witz bei der Sache - ebenfalls eine gebürtige Wiesbadenerin.
Aber die Fakten stimmen natürlich alle. Brandenburg hatte in den 1990er Jahren ein massives Problem mit Neonazis. Es gab auch einen Übergriff auf eine Gemeinschaftsunterkunft von Namibiern in Wittenberge. Die damalige Ausländerbeauftragte Almuth Berger erkannte, dass unbedingt etwas getan werden muss. Im Potsdam sagte ihr eine Mitarbeiterin im Sozialministerium: »Ich habe einen Bruder in Gelsenkirchen. Der ist Sozialarbeiter und ein bisschen abenteuerlustig.«
So erzählt Markus Klein die Geschichte, die er vom Hörensagen kennt. Es war in Brandenburg die Geburtsstunde der Mobilen Beratungsteams gegen Rechts. Der Sozialarbeiter sei bei den Namibiern mit eingezogen und habe versucht zu helfen. Weil das in Wittenberge so gut funktioniert habe, kamen sie in Potsdam auf die Idee, so ein Team auch nach Schwedt zu schicken, wo es ebenfalls rechte Attacken gegeben hatte. Doch dort wollte sich niemand beraten lassen. »Wir haben hier keine Schwierigkeiten mit Neonazis«, habe es geheißen. Das Beratungsteam galt als Nestbeschmutzer. Es war noch ein langer Weg, bis Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) die Probleme mit Neonazis ehrlich ansprach. 1998 kam das Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg«. Nachdem Stolpe die Schwierigkeiten klar angesprochen hatte, erkannten immer mehr Bürgermeister, das ein Verschweigen nicht helfen würde, dass es sogar ein Zeichen von Stärke sei, nicht drum herum zu reden, sondern etwas zu unternehmen. Das hat den Beratungsteams die Arbeit leichter gemacht.
Der Treffpunkt in Nauen ist mit Bedacht gewählt. Hier wurde im August 2015 eine Turnhalle in Brand gesetzt, kurz bevor dort provisorisch Flüchtlinge untergebracht werden konnten. Der frühere NPD-Stadtverordnete Maik Schneider steht gegenwärtig wegen dieses Brandanschlags in einem Revisionsprozess vor Gericht. Es gab außerdem politisch motivierte Anschläge auf Autos und auf das Büro der Linkspartei. Inzwischen ist die NPD in Brandenburg in der Bedeutungslosigkeit versunken. Ihre Wähler hat die AfD fast komplett aufgesogen. Die ist heute das Problem. Der AfD-Landesverband wird dominiert von Björn Höckes Flügel. Die sogenannte bürgerliche Mitte der AfD spielt hier praktisch keine Rolle. »Das geht sehr stark in Richtung Rechtsextremismus, teilweise ist die Grenze überschritten«, sagt Ursula Nonnemacher. »Man darf sich nicht in die Tasche lügen. Die werden als stärkste Kraft aus der Landtagswahl am 1. September hervorgehen.«
Die Grünen könnte in Hochstimmung sein. Ihnen werden 16 Prozent prognostiziert - so viel wie noch nie. Doch die AfD bereitet Nonnemacher Kopfzerbrechen. Den Wählern zu sagen, was für eine Partei das sei, helfe nicht, hat sie herausgefunden. Dann ist es noch so, dass die AfD in den Umfragen schon seit 2016 bei Werten zwischen 16 und 23 Prozent steht. Es ist seitdem für sie nicht mehr vorwärts gegangen. Doch durch die Medienberichterstattung seit der Europawahl im Mai 2019 entstehe das Gefühl, die AfD werde von Woche zu Woche stärker. Hier braucht es offenbar neue Handlungskonzepte.
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