Die Besten sind kein Vorbild

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bleibt in ihrer WM-Analyse wenig selbstkritisch

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 3 Min.

Ihren Laptop hatte Martina Voss-Tecklenburg in den Helmut-Schön-Tagungsraum der DFB-Zentrale zwar mitgebracht, aber nicht aufgeklappt. Die Bundestrainerin schaffte es, ihre Analyse der Weltmeisterschaft auch ohne Powerpoint-Präsentation anzustellen. Während Joachim Löw nach dem WM-Desaster der Männer vor einem Jahr eine teils wirr anmutende Aufarbeitung betrieb, entschied sich die 51-Jährige für eine prägnante Zusammenfassung der wichtigsten Thesen. »Wir brauchen größeren Widerstand in allen Bereichen. Wir haben nicht zu 100 Prozent geschafft, eine stabile Achse im Team herzustellen. Wir müssen die Hierarchien stärken und die Haltungsfragen stellen«, führte die Trainerin am Dienstag in Frankfurt am Main aus.

Damit ging sie auf ein Kernproblem ein, das das vorzeitige WM-Aus der deutschen Fußballerinnen im Viertelfinale gegen Schweden bedingte. Warum gingen sie am 29. Juni bei der Gluthitze in Rennes nach dem ersten Gegentor ein wie eine Primel, die nicht mehr gewässert wird? »Die ersten 20 Minuten waren top«, sagte die Bundestrainerin, »nach den Gegentoren fehlte es an Mut, Festigkeit und Widerstandskraft.« Nun muss der Mentalitätswandel ohne die Olympischen Spiele 2020 - den Startplatz hatten die Titelverteidigerinnen ja auch verspielt - und mit einer sportlich nur bedingt aussagekräftigen EM-Qualifikation gelingen.

Der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften Joti Chatzialexiou plädierte in diesem Zusammenhang langfristig für die Abschaffung der B-Juniorinnen-Bundesliga (»gut gemeint, hilft aber nicht weiter«) - und dafür, die weiblichen Talente so lange wie möglich im männlichen Bereich mitspielen zu lassen. Voss-Tecklenburg wünscht sich kurzfristig mehr Testspiele auf hohem Niveau wie das Freundschaftsspiel am 9. November beim WM-Halbfinalisten England. Geplant ist daher auch die Teilnahme am Algarve-Cup 2020.

Die Weltmeisterinnen aus den USA und deren Frontfrau Megan Rapinoe hält die Bundestrainerin nur bedingt für ein Vorbild. Weil: »Die machen 35 Länderspiele im Jahr, sind drei Monate zusammen und ständig in den Medien präsent. Da sind wir noch nicht.« Sie sieht zudem, dass gesellschaftliche Probleme (»Gleichmacherei auf vielen Ebenen«) in ihren Bereich abstrahlen. Ihr Prinzip der »offenen Türen« habe beim Turnier in Frankreich nur »bedingt funktioniert«, zumindest nicht so, wie es sich die intern für ihre Offen- und Direktheit geschätzte DFB-Trainerin es sich gewünscht hätte. Offenbar scheuten vor allem die jungen Spielerinnen den Meinungsaustausch mit dem Trainerteam, das übrigens unverändert weiterarbeitet.

Nicht allzu weit wollte die 125-fache Nationalspielerin die Pforte für eigene Versäumnisse öffnen: Für ihre umstrittene Aufstellung zum Schweden-Spiel mit der ins defensive Mittelfeld versetzten Sturmführerin Alexandra Popp, der Hereinnahme der bis dahin nur als Randfigur geltenden Linda Dallmann oder der Einwechslung der an einem Zehenbruch leidenden Spielmacherin Dzsenifer Marozsan habe es in jedem Einzelfall Gründe gegeben, »aber am Ende war das in der Summe vielleicht ein Ticken zu viel Veränderung.« Insofern räumte Voss-Tecklenburg hier indirekt Fehler ein. Ein bisschen mehr Selbstkritik hätte an dieser Stelle nicht geschadet.

Ansonsten strotzt die Bundestrainerin schon wieder vor Tatendrang, und will auch viel Zeit und Energie für einen konstruktiven Meinungsaustausch mit den zwölf (männlichen) Trainern der Frauen-Bundesliga verwenden. Bereits am kommenden Montag treffen sich die Nationalspielerinnen in Kassel zur Vorbereitung auf die ersten EM-Qualifikationsspiele gegen Montenegro am 31. August und das Auswärtsspiel drei Tage später in Lwiw gegen die Ukraine. Gemeinsam - fast alle Spielerinnen des WM-Kaders sind auch jetzt wieder dabei - sollen erst einmal die Rückschlüsse aus dem Turnier in Frankreich aufgearbeitet werden. Für personelle Veränderungen etwa in der Stammbesetzung der Innenverteidigung ist dann immer noch Zeit. Nur dass es in Zukunft nicht einfacher werde - erst recht nicht bei der Europameisterschaft 2021 in England - steht für Voss-Tecklenburg fest. »In den letzten acht Jahren hat es im Frauenfußball einen Quantensprung gegeben.«

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