- Kommentare
- Fridays for Future
Angst vor den Klimaretterinnen
Lorenz Gösta Beutin über Marktgläubige, die die Segelreise der Klimaaktivistin Greta Thunberg durch den Kakao ziehen
Es ist schon ein starkes Stück, wie sich die glühenden Anhänger von Turbo-Kapitalismus und Neo-Nationalismus, die Verteidiger steigender Mieten und Meeresspiegel dieser Tage ins Zeug legen, um die Segelreise der Klimaaktivistin Greta Thunberg durch den Kakao zu ziehen. »Fünf Menschen gehen segeln, damit ein Mädchen nicht fliegen muss. Reporterscharen, Kamerateams reisen (fliegen?) nach Plymouth, um das große Schauspiel um die kleine Person zu verfolgen«, rechnet die »FAZ« jede kleinste Bewegung der Klimaschützerin nach CO2-Ausstoß und Öko-Bilanz vor - stellvertretend für alle Klimaschutzgegner.
Auch die neue »Flugscham« wird zur Diffamierung des politischen Gegners aus dem Hut gezaubert. Die rechte CDU in Hamburg macht es der noch rechteren AfD in Berlin gleich und »entlarvt« per parlamentarischer Anfrage die »Doppelmoral« der Senatsregierungen. Diese würden Klimaschutz fordern, aber – Skandal! – immer noch ins Flugzeug steigen.
Die FDP hetzt gegen die größte, jüngste und weiblichste Politbewegung der vergangenen Jahre und beklagt einen »Klimaabsolutismus« durch Klimaschutz, der »alles andere dem unterordnet«. In der FridaysForFuture-Bewegung mache sich »eine gewisse Tendenz zur Radikalisierung« breit, raunt es durch die Lindner-Partei.
Derweil wird »Hypermoralisierung« durch Umweltbewusstsein beklagt. Klimanotstand sei demnach die Ausrufung der »Ökodiktatur«, Kritik am Porschefahren auf Lebenszeit das »Ende der Freiheit«. E-Roller werden als Verkehrswende verkauft, weniger Plastiktüten als Rettungsmaßnahme für Deutschlands verpasste Klimaziele, eine CO2-Steuer als Allheilmittel der Klimapolitik aus dem Hut gezaubert. Merkel erinnert sich ihrer Pfarrerskindheit und privatisiert mit ihrer Predigt für »mehr Demut vor der Natur« jede staatliche Klimaschutz-Verantwortung. Kurzum: Das Dauerfeuer aus Diskreditierung, Nebelkerzen und Politikverweigerung läuft auf Hochtouren - und das nicht nur wegen des schwindelerregenden Umfragehochs der Grünen.
Tatsächlich ist es die Angst vor den Klimaretterinnen, welche die Etablierten umtreibt. Mit voller Wucht hat die Klimakrise nicht nur die Funktionsweise, sondern auch die Folgen des profitgeilen Nach-mir-die-Sintflut-Wirtschaftens mit seinen sozialen und ökologischen Ungerechtigkeiten auf die Titelseiten und in die Abendnachrichten katapultiert.
Nie wurden so viele Klimagase ausgestoßen wie heute. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Klimakrisenfolgen sind spürbar. In Deutschland jagt ein Rekord-Hitzejahr das andere. Wälder vertrocknen, Missernten gefährden die Landwirte, die Gesellschaft diskutiert das Ende von Kohlekraftwerken und Verbrennungsmotoren. In Südamerika steht der Amazonas in Flammen, in Indien und Pakistan dürfen Menschen wegen Hitze-Todesgefahr ihre Häuser nicht verlassen, in Ostafrika sterben zehntausende am Dürre-Hunger, die sterbenden Gletscher in Island sind dagegen nur ein Witz.
So wie der Kapitalismus einige wenige Jackpot-Gewinner auf Kosten vieler Verlierer hat, so sind die Nieten auch in der Klimakrise ungleich verteilt. In der Fachsprache heißt das: Klima(un)gerechtigkeit. Es ist eben nicht die Kleinbäuerin in Mali, die für die Temperaturen von über 50 Grad in ihrer Lehmhütte verantwortlich ist. Eingebrockt haben uns die Industriestaaten und ihre Konzerne die Klimakrise. China und Co. folgen heute dem im Westen entstandenen und oft mit Gewalt verbreiteten Wohlstandsversprechen.
Es ist nicht der türkische Uber-Fahrer in Berlin mit drei Kindern, der Schuld ist an seinem Dieselmotor mit Schummel-Software, sondern die Autohersteller, die bis heute ihr Geschäftsmodell verteidigen. Nicht die Nachbarin mit Ölheizung im Keller ist Schuld daran, dass Heizöl billig und Ökostrom teuer ist.
Der Kohlekumpel kann nichts dafür, dass er im Bergwerk mehr Cash verdient als ein radfahrender Essenskurier. Keine Lehrerin, die im mehr schlecht als recht bezahlten Stressschuljob zu große Klassen unterrichtet, kann was dafür, dass das Flugticket nach Ibiza für den wohlverdienten Urlaub billiger ist als eine Bahnfahrt nach Rügen. Es gibt eben kein ökologisches Leben in einem System, das Mensch und Natur gleichermaßen ausquetscht.
Genau diese Schlussfolgerungen sind es, vor denen die Reichen und Mächtigen Angst haben: Dass die Klimakrise diese doppelte Ausbeutung sichtbar macht. Was, wenn die Mehrheit keine Lust mehr hat auf zu wenig Lohn, schlechte Arbeit und zu viel Umweltzerstörung? Was, wenn die Mehrheit nicht mehr bereit ist für die Schäden, die sie selbst nicht zu verantworten haben, zur Kasse gebeten werden, während die Reichen weiter SUV fahren, die Klimaanlage anschmeißen und dabei den Armen vorwerfen, sie seien nicht öko?
Lesen sie auch: Regierung »simuliert« Klimaschutz. Umweltverbände verlangen von der Koalition mehr Anstrengungen bei der CO2 -Einsparung
Die Klimakrise hat das Zeug für einen Bewusstseinswandel, weil die herkömmlichen Reparaturversuche, so sieht es derzeit aus, dazu führen werden, dass sich die alten Ungerechtigkeiten zwischen Oben und Unten weiter verschärfen. Weniger Kapitalismus wagen, der Wirtschaft in die Speichen greifen, die Bewältigung der Krise als Chance für mehr Gerechtigkeit nutzen - das ist das Gebot der Stunde.
Die Menschen wollen nicht von Diskussionen genervt werden, ob »eine Mengensteuerung über den ETS-Emissionshandel oder doch ein Preissignal über eine CO2-Bepreisung« das Klimaproblem lösen. Immer mehr Menschen spüren, dass das Klima und nicht der Kapitalismus gerettet werden muss. Die LINKE muss dafür sorgen, dass sich das rumspricht: Eine Krise braucht einschneidende Antworten, kein neoliberales business as usual.
Die Klimakrise, verursacht durch das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle, hat das Zeug zum Brandbeschleuniger. Die Klimakrise bringt die Verhältnisse ins Rutschen, die Kapitalismusschmelze hat begonnen. Bei Erdrutschen und Bränden wird wieder aufgebaut. Meistens sieht das neue Haus dann nicht aus wie das alte.
Lorenz Gösta Beutin ist Klima- und Energiepolitiker der Linken im Bundestag.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.