Johnson stößt auf Widerstand

Im Vereinigten Königreich wächst der Zorn wegen der geplanten Parlamentsschließung

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Entscheidung des Brexit-Betonkopfes Boris Johnson, das britische Parlament für fünf Wochen im entscheidenden Zeitraum vor dem britischen Austrittsdatum aus der EU Ende Oktober nach Hause zu schicken, hat unter EU-Freunden für Empörung gesorgt. Es kam zu spontanen Demonstrationen in London und elf anderen britischen Städten von Edinburgh und Cardiff bis Bristol und Brighton.

Vor den geschlossenen Eisentoren der Downing Street, Amtssitz von Premier Johnson, sammelte sich die aufgebrachte Menge. Mit Parolen wie »Rettet unsere Demokratie, stoppt den Putsch!« riefen sie nach Johnsons Rücktritt. Sie skandierten: »Niemand hat für Dich gestimmt!« Das ist aber nicht ganz richtig. Etwa 94 000 meistens weiße, reaktionäre, im Schnitt 57 Jahre alte Tories haben Johnson in einer Basisabstimmung zum Parteichef gewählt. Daraufhin wurde er als Vertreter der stärksten Partei zum Premier ernannt. Er stützte sich auf einen verschwindend geringen Prozentsatz der insgesamt mehr als 60 Millionen Briten.

Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer und Finanzexperte John McDonnell waren dabei, aber auch Europa-Freunde an der Basis wie Jane Keane, die dem Reporter des linksliberalen »Guardian« erzählte, sie habe gerade eine Krebs-OP hinter sich und Angst, dass nötige Arzneimittel nach eigener Aussage des Gesundheitsministers Matt Hancock bald fehlen könnten. Aber es ging der 54-Jährigen auch um Grundsätzliches. Die Konservativen, vor allem Johnson selber, haben jahrelang behauptet, ein No-Deal-Austritt aus der EU käme nicht in Frage, jetzt peilten sie aber genau dies an und kein Parlamentarier dürfe etwas dagegen machen.

Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottlands, sagte in Edinburgh, die selbstherrliche Entscheidung, kurzfristig ohne Parlament zu regieren, könnte das Ende der Demokratie bedeuten. Mitglieder ihrer Nationalistenpartei forderten sie sogar auf, den Termin einer zweiten Volksabstimmung zu benennen - für die Trennung des Landes nördlich des Tweed von London und die Spaltung Britanniens. Auch zu Hause Gebliebene zeigten ihren Unmut: 1,3 Millionen unterschrieben binnen Stunden einen Aufruf gegen Johnsons Suspendierung des Parlaments. Bis dieser Bericht erscheint, liegt die Zahl der Unterzeichner vermutlich bei mehr als zwei Millionen.

Unter den Tories überwiegt bisher Begeisterung über den Schachzug ihres Chefs, der ihre Taktik des allerhärtesten Brexits vor Kritik im Unterhaus schützt. Rechte wie der Ex-Minister Iain Duncan Smith geben an, Johnsons Linie werde die widerspenstigen Europäer endlich zur Räson bringen. Sie würden die lästige Frage der irischen Grenze zu den Akten legen und vor Johnsons Drohung kuschen, den fälligen britischen Scheidungsbeitrag zu streichen. Jacob Rees-Mogg, der die Suspendierung vor der Queen auf ihrem schottischen Landsitz Balmoral vertreten musste, spielte gar den Anlass herunter. Wie Johnson bereits gesagt habe, sei die »Proroguing« vom Parlament eine Alltagsgeschichte, eine neue Regierungserklärung sei sowieso lange fällig.

Aber auch Kritiker meldeten sich aus den Tory-Reihen. Ex-Finanzminister Philip Hammond fand das Verfahren inakzeptabel. Er überlegt, nächste Woche mit Labour, Liberalen und Nationalisten im Parlament gegen einen No-Deal-Brexit zu stimmen. Ruth Davidson, der selbst Gegner einer erfolgreiche Wiederbelebung der Tories in Schottland bescheinigen, trat von ihrem Posten als Oppositionsführerin im Edinburgher Parlament zurück. Angeblich spielten vor allem familiäre Gründe eine Rolle für diesen Schritt. Davidson hat vor einigen Monaten mit ihrer Partnerin einen Sohn geboren.

Aber sie ist als resolute Gegnerin von Johnson und Brexit seit 2016 bekannt und wollte wohl auch gegen ihn protestieren. Mit Davidsons Ausscheiden dürften es die Nationalisten bei ihrer geplanten zweiten Unabhängigkeitsabstimmung in zwei Jahren leichter haben, und ihr unfreiwilliger Wahlhelfer, der in Schottland unbeliebte Johnson, bleibt ihnen vorerst erhalten.

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