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Gemeinschaft organisieren gegen die AfD
Bewegt euch! über gewerkschaftliche Arbeit gegen den Rechtsruck.
Prekäres Leben hat viele Gesichter, auch im Osten: entwertete Arbeit, entwertete Erinnerungen, entwertete Ideale, entwertetes zu Hause, Vereinzelung, stimmlos sein und vieles dazwischen und darüber hinaus. Ob die Sozialdemokratie in der Lage gewesen wäre, solchen Auswüchsen kapitalistischer Selbst- und Fremdausbeutung etwas entgegenzusetzen, sei dahingestellt. Sucht man diese in Brandenburg, sucht man ohnehin vergebens – sie ist weg, hat sich zwanzig Jahre neoliberalisiert und nun selbst demontiert. Dabei wäre es gerade abseits der schicken Berliner Randgebiete Aufgabe großer Gewerkschaften und Parteien, für die in diesem Sinne Prekarisierten einzustehen. Hier übernehmen diese Aufgabe nun rechte und nur vermeintlich soziale Bewegungen wie »Ein Prozent« oder »Zukunft Heimat«. Mediales Dauerfeuer und permanente Aktionen vor Ort binden die Menschen in die sogenannte Bewegung ein. Sie kommen gern, sie fühlen sich ernst genommen und die AfD sorgt als parlamentarischer Arm für die bürgerliche Anschlussfähigkeit. So besuchen Hunderte regelmäßig die Veranstaltungen von AfDler Christoph Berndt in Cottbus, wo der Bevölkerungsaustausch beschworen und Hetzparolen skandiert werden. Geschickt wird oben und unten in fremd und eigen umgestrickt, Misstrauen gestiftet, Hass gesät. 20 Prozent der Brandenburger*innen lieben das rassistische Spektakel.
Dabei hätte gerade in der Lausitz das Thema Kohle die Gewerkschaften als sozialen Player auf den Plan rufen sollen. Hat es auch, doch selbst angesichts der Kohleausstiegspläne, schaukelte sich die IG Bergbau gemütlich durch die üblichen standardisierten Tarifrunden. Progressive oder gesamtgesellschaftliche Ideen für den Raum Lausitz mit 10.000 Betroffenen erspart man sich im Sinne des selbstvergessenen »weiter so«. Doch die AfD spring gern ein und verspricht Steuervergünstigungen für Unternehmen. Die Gewerkschaft scheint dieser Entwicklung ratlos gegenüberzustehen. Nicht, dass hier keine Massen mobilisiert werden würden. Doch was bleibt schon übrig nach ritualisierten Tarifrunden, die immer wieder sozialpartnerschaftlichen Burgfrieden zwischen Kapital und Arbeitnehmer*innen sicherstellen? Viel nicht, außer dem Inflationsausgleich.
Was wir besser machen können: unten anfangen
Rassistische und sexistische Spaltung spielt nicht nur identitätspolitisch eine Rolle, sondern hat durchaus eine funktionale Dimension im Kapitalismus. Rassismus verhindert gemeinsame Klassenerfahrung, Solidarität und gemeinsame Kämpfe. Wo Menschen sich als konkurrierende Fremde begegnen, ist Zusammenstehen undenkbar. Hier sollte Gewerkschaftsarbeit ansetzen. Auch als radikale Linke sollten wir uns an dieser Stelle mit einer konsequenten Klassenpolitik von unten in Arbeitskämpfe und soziale Kämpfe einmischen. Erfolgreich werden wir damit aber nur, wenn wir Menschen dazu ermächtigen, sich als wirkungsvolle politische Subjekte zu erleben, die ihre Kämpfe selbstbestimmt und aus eigener Kraft führen können. Neben der dafür nötigen Bildungsarbeit muss Gewerkschaft dabei vor allem eines: Solidarität organisieren.
In Jena, Dresden, Leipzig und seit kurzer Zeit auch im Brandenburgischen Potsdam versuchen das die Syndikate und Sektionen der Freien Arbeiter*innen Union (FAU). Neben bekannteren Kämpfen und Kampagnen wie die der DeliverUnion, geht es hier vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe im Arbeitsalltag: Lohnnachforderungen, unrechtmäßige Kündigungen, miese Arbeitsbedingungen. Im Unterschied zu den DGB-Gewerkschaften ist die FAU aber nicht nur institutionelle Interessenvertretung mit Dienstleistungsmentalität. Wer um den Lohn geprellt wird, lernt in Zusammenarbeit mit den anderen, wie man sich den am besten zurückholt und dabei den Bossen richtig auf die Nerven fällt. Das kann auf juristischem Weg passieren oder durch direkte Aktionen, damit öffentlich wird, was für ein Ausbeuterbetrieb hier in der Nachbarschaft sitzt. Wie Kämpfe verlaufen, entscheiden die Betroffenen und die lokalen Gegebenheiten, selten beschränken sich unsere Mittel auf juristische Drohgebärden. Dadurch sind wir vor allem eines: unglaublich lästig. Diese Form von »Drohkulisse« hat sich schon in vielen Fällen als wirksam erwiesen. Das Wichtigste aber ist, dass wir zusammen nach Mitteln und Wegen suchen, Entscheidungen über Strategie und Aktion gemeinsam treffen. Was bleibt, ist das Gefühl, nicht allein zu sein, sich wehren zu können. Vor allem aber werden die eigenen Bedürfnisse legitimiert, weil wir sie ernst nehmen und teilen. Für viele bedeutete das einen Lernprozess: Es ist in Ordnung, sich der neoliberalen Leistungsdoktrin entgegenzusetzen, das ist weder persönliches Versagen, noch ist der Anspruch auf ein freieres Leben unverschämt.
Rechte Politik wird stärker, wenn linken Perspektiven fehlen
So stellte beispielsweise die Universität Potsdam jahrelang bewusst unrechtmäßig Studierende für Verwaltungstätigkeiten ein, um damit die Tarifbedingungen zu umgehen, was gleichzeitig die Position Tarifbeschäftigter aushöhlt. Zusammen mit Studierenden der GEW haben wir erreicht, dass wenigstens einige Stellen künftig nach Tarif bezahlt werden. Ein nächster Schritt wäre der Aufbau einer Betriebsgruppe, in der sich Studierende, der akademische Mittelbau und Beschäftigte der Universitätsverwaltung zusammen organisieren. Aus dem gemeinsamen Kampf versprechen wir uns eine vielschichtigere und inklusivere Perspektive auf strukturelle Schieflagen in der Bildung und größere Handlungsmacht.
»Studisgutbezahlt?!«, so der Name unserer Kampagne, war ein erster größerer Erfolg in Potsdam. Zwar wird die FAU in der vergleichsweise starken Szenelinken freundlichst aufgenommen. Jedoch scheint trotz Debatten um Organisierung und neue Klassenpolitik der Gedanke an basisorientierte Gewerkschaftsarbeit als eine Möglichkeit, die Linke wieder anschlussfähiger und stärker werden zu lassen und auch, um gesellschaftlicher Spaltung etwas entgegenzusetzen, kaum präsent. Dabei stecken gerade linke Menschen oft in prekären Arbeitsverhältnissen. Hierfür die FAU in Anspruch zu nehmen, würde bedeuten, den eigenen Klassenstandpunkt zum Thema zu machen – vielleicht ist das insbesondere in der Ostlinken eine Schwierigkeit. Ebenso aber müsste man dafür die Sphäre der mit Dringlichkeit zu führenden, permanenten Abwehrkämpfe gegen Rechts verlassen, sich mit neuen Perspektiven und Strategien vertraut machen. Ein Dilemma, allein rein kräftemäßig. Jedoch wird rechte Politik stärker, wenn wir ihr keine aktuellen linken Perspektiven entgegensetzen. Bleiben wir bei Abwehrkämpfen stehen, verharren wir in der reinen Negation rechter Positionen, verschlafen den Aufbau von Strukturen und Netzwerken und vor allem: tun wir nichts für unsere eigene Lebensperspektive. Soziale Kämpfe mit und für andere sind auch Kämpfe für uns selbst, für unsere eigenen Visionen und Möglichkeiten – vielleicht können wir hieraus genug Kraft schöpfen. Schaffen wir es nicht, auf dieser Strecke wieder ansprechbar und aktiv zu sein, lassen wir die Faschisten auf diesem Terrain stark werden; das fordert noch größere Gegenwehr und so geht das immer fort. Ergebnis dieses Prozesses sind bereits jetzt linke Kräfte, die sich ausgebrannt in die »Szene« zurückziehen. Wollen wir – gerade im Osten – nochmal etwas reißen, müssen wir aufpassen, dass uns nicht auch noch die letzte klassenkämpferische Perspektive im Kampf gegen Rechts verloren geht. Vor dem historischen Hintergrund des DDR-Zwangsregimes mag es schwerfallen, doch es ist höchste Zeit, unseren Klassenbegriff zu aktualisieren, am besten in der Praxis – sonst können wir uns als radikale Linke bald dem Schicksal der Sozialdemokratie anschließen.
Bildet Banden, aber vergesst nicht, eure lokale Basisgewerkschaft zu unterstützen
Im Anarchosyndikalismus ist eigentlich schon ein Grundstock an Werkzeugen vorhanden, den man für den »linken Aufbruch«, wie ihn die IL Leipzig thematisiert, brauchen kann. Außerdem werden basisdemokratische, solidarische Formen des Zusammenlebens gleich in der Gewerkschaftsarbeit an sich erprobt und gelebt. Das muss nicht bedeuten, dass syndikalistische Organisierung das Allheilmittel gegen Rechtsruck und Kapital wäre. Auf der Unteilbar-Demo in Dresden drängte Carolin Emcke, die Frage zu stellen, wie wir Gemeinschaft organisieren und gestalten sollten. Aus unserer Perspektive müssen wir diese Frage nicht nur stellen. Gerade wenn wir nicht in der Situation für politische Maximalforderungen stecken, sollten wir uns umso mehr mit maximaler Energie und vor allem tätig mit den möglichen Antworten auf diese Frage auseinandersetzen. In einem ersten Schritt haben wir, wie Unteilbar deutlich macht, Bündnisse geschmiedet, die Vielfalt, Widerstand und Solidarität sichtbar und die Linke wieder ansprechbar machen. Wenn wir Menschen nicht nur erreichen, sondern die herrschenden Verhältnisse ändern wollen, brauchen wir eine Philosophie der Tat, die im Alltag aufzeigt, wie gelebte Solidarität aussieht, wie gerechteres und inklusives Zusammenleben funktioniert und wie Selbstwirksamkeit außerhalb ökonomischer Zwangsregime verwirklicht werden kann. Das Intervenieren in Arbeitsverhältnisse ist dafür ein guter Ausgangspunkt, hierzu allerdings muss das Thema endlich wieder als gesamtlinkes Projekt in den Vordergrund rücken.
Noch wirksamer könnte eine Organisierung aus dem Arbeitsalltag heraus werden, wenn wir auch hier anfangen, Bündnisse zu schmieden und unterschiedliche soziale Kämpfe und Gruppen zu verbinden. Einen Ansatz dafür bieten Konzepte wie das der Solidaritätsnetzwerke, eines davon besteht seit circa zwei Jahren in Cottbus. Gewerkschaftliche und soziale Kämpfe ermöglichen, Menschen zu emanzipieren und zu politisieren, Gegenentwürfe direkt umzusetzen und vor allem, die Würde des Einzelnen wieder herzustellen. Jeder Mensch, den wir hierbei mitnehmen, bedeutet ein Kreuz weniger bei der AfD, aber auch einen Schritt weiter in andere Verhältnisse.
Dieser Text ist Teil der»nd«-Debattenserie »Bewegt euch!«.
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